Kunstsicherung 2.0

Von Jürgen König · 16.09.2013
Ein Pergament aus dem 4. Jahrhundert nach Christus ist heute noch mit bloßem Auge gut zu lesen. Es ist aber nicht sicher, dass wir auch noch Daten, die wir auf Disketten, USB-Sticks und in Clouds abspeichern, in einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten noch lesen können. Für digitales Kulturerbe setzen sich jetzt zahlreiche Experten ein.
So manches Foto hat im Karton auf staubigen Dachböden Jahrzehnte überdauert.
Die Fotos von heute, Filme, Videos - wo überdauern sie?

"Digitale Inhalte sind fragil. Sie unterliegen einer rasanten technischen Entwicklung. Es besteht dringender Handlungsbedarf bei der Archivierung, da digitale Inhalte und Informationen sonst unwiederbringlich verloren sind."

So beginnt der "Berliner Appell", hervorgegangen aus der "Initiative Nachhaltigkeit in der Digitalen Welt", die wiederum von mehreren öffentlichen wie privaten Partner unterhalten wird. Das Institut für Museumsforschung wie auch das Kompetenznetzwerk "nestor" etwa sind beteiligt.

Dort arbeiten Bibliotheken, Archive und Museen zu den Themen Langzeitarchivierung und Langzeitverfügbarkeit digitaler Quellen zusammen. Oder auch die "offene Experten- und Interventionsplattform" "Internet & Gesellschaft Collaboratory": Für das Themenfeld "Kulturelles Erbe” ist dort der Rechtsanwalt Paul Klimpel zuständig. Er stellte den "Berliner Appell" vor:

"Auch wenn das jetzt sehr nach Alarmismus klingt, aber wir sind einfach im Moment in einer Situation, wo so ein Scheideweg sich auftut. Also wenn wir jetzt nicht digitale Langzeitarchivierung, Nachhaltigkeit von Digitalien als Herausforderung annehmen, dann wird sehr viel verloren gehen, und es ist jetzt schon absehbar, dass viel verloren geht."

Mit dem "Berliner Appell" sollen ein öffentliches Problembewusstsein geschaffen und verbreitete Missverständnisse beseitigt werden:

"Tatsächlich muss man noch sehr dafür kämpfen, dass dieses Missverständnis "Digitalisierung" als Begriff, "Zugänglichmachung" als Begriff und "Langzeitarchivierung" - dass das konzeptionell getrennt wird. Weil die Vorstellung häufig ist, wenn es erst digitalisiert ist, dann ist das ja archiviert - und das ist nicht so. Das heißt einfach, dass ein Format vorliegt, das sowohl eine Archivierung ermöglicht als auch einen Zugang ermöglicht, aber ob man das eine oder andere tut, ist mit diesem Begriff der Digitalisierung ja noch nicht beantwortet."

Der Zugang zum digitalen Erbe sei durch neue Technologien so leicht wie noch nie und biete "großen Nutzen für Bildung und Forschung". "Verlässliche Finanzierungsmodelle" seien nötig und "geregelte technische Rahmenbedingungen", standardisierte Datenformate etwa. Die digitale Langzeitarchivierung brauche "verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen", sie müsse gezielter Ausbildungs- und Forschungsschwerpunkt an Universitäten und Fachhochschulen werden und vor allem: Sie müsse - in öffentlicher Verantwortung und "im Rahmen einer nationalen beziehungsweise europäischen Strategie" - als dauerhafte Aufgabe begriffen werden.

"Digitalisierungsprojekte" gebe es genug, doch seien sie allesamt zeitlich befristet, auch digitale Archive wie die "Deutsche Digitale Bibliothek" oder "Europeana" würden lediglich Strukturen für den Zugang zum digitalen Erbe schaffen, nicht aber Strukturen für die Langzeitarchivierung. Auch Jürgen Keiper von der Stiftung Deutsche Kinemathek weiß noch keinen wirklichen Weg hin zur digitalen Langzeitarchivierung, aber:

"Aber ich finde, wir müssen diesen Prozess anstoßen, darüber zu reden, wie er aussehen könnte. Wir haben einen Föderalismus in Deutschland, das heißt, es muss auch irgendwie eine Struktur, die föderale Aspekte berücksichtigt; das kann eine zentralisierte Institution sein, das kann auch dezentral sein, weil mittlerweile ja auch sehr verschiedene Datenverbindungen organisiert sind.

Und dann sind die Fragen des Rechts zu klären, es sind die Fragen der Auswahl zu klären, auch dafür muss es irgendwie einen Vorschlag geben. Ich finde es wichtig, diesen Startpunkt zu definieren und zu sagen: 'Wir benennen jetzt einfach mal zehn Menschen, die sich mit diesen Fragen die nächsten zwei Jahre beschäftigen, einen Plan vorlegen!' - und man dann in eine Realisierungsphase übergeht."

Vor allem zur Frage der Auswahl strebt der "Berliner Appell" einen "gesellschaftlichen Diskurs" an. Filme, Videos, Fotos, Spiele, Blogs, Websides? Was soll archiviert werden? Die Leiter vieler deutscher Universitätsbibliotheken haben den Appell schon unterschrieben, dies taten auch der Präsident des Bundesarchivs, der Direktor des Computerspielemuseums, der Geschäftsführer der Deutschen Digitalen Bibliothek.

Den Diskurs zu organisieren, hat sich noch niemand gefunden, auch der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Bernd Neumann, schwieg bis jetzt. Dabei dürfte es ihn - wie auch die Nachfolgerin oder den Nachfolger im Amt - alles andere als kalt lassen, dass Europa bei der digitalen Langzeitarchivierung den entsprechenden Anstrengungen in den USA nicht viel entgegenzusetzen hat, was mithin für die globale Präsenz europäischer Kulturtraditionen in, sagen wir, 50 Jahren, nichts Gutes verheißt:

"Wir richten uns an alle politischen Entscheidungsträger und alle gesellschaftlichen Gruppen, dieses Thema jetzt ernst zu nehmen und auf die Agenda zu setzen und eine Agenda zu schaffen für Nachhaltigkeit in der digitalen Welt."

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