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Türkei
Friedensaufruf als Verbrechen

Mehr als 1.000 türkische Akademiker unterzeichneten Anfang 2016 einen Appell für Frieden in den Kurdengebieten der Türkei. Mehr als 100 von ihnen wird ab heute in Istanbul der Prozess gemacht. Der Vorwurf: Der Friedensaufruf sei Terrorpropaganda gewesen.

Von Karin Senz | 05.12.2017
    Sicherheitskräfte der Polizei gehen am 10.2.2017 vor der Universität in der türkischen Hauptstadt Ankara bei einem Einsatz gegen Demonstranten vor, die gegen die Entlassung von 330 Akademikern protestieren.
    Im Februar ging die türkische Polizei vor der Universität in der Hauptstadt Ankara gegen Demonstranten vor, die gegen die Entlassung von 330 Akademikern protestieren. (imago / Depo Photos)
    "Wir werden siegen, weil wir immer und immer wieder Widerstand leisten werden", rufen die Demonstranten, als sie durch die Straßen von Istanbul ziehen - begleitet von einem großen Polizeiaufgebot, einige Beamte in zivil, die anderen in voller Montur. Es sind fast mehr Polizisten da als Demonstranten. Semra Celik ist eine von ihnen.
    Kaum eine Zeitung druckt Solidaritätsaufruf
    "Facebook, Twitter und Co reichen einfach nicht, um wirklich viele Menschen auf die Straßen zu bringen", sagt sie. Und kaum eine Zeitung druckt in diesen Zeiten den Solidaritätsaufruf für die angeklagten und inhaftierten Akademiker, Journalisten und Anwälte ab.
    Für die demonstriert auch Asli Odman. Auch sie hat den Friedensappell für die Kurdengebiete unterschrieben. Auch sie ist eine der weit über 100 angeklagten Akademiker. Ihr Prozeß ist sie einer der ersten. Im 10-Minutentakt sollen die vielen Fälle in Istanbul verhandelt werden. Asli Odman kennt das schon aus den Verhören.
    Viele Akademiker wurden entlassen
    Die junge Historikern nimmt kein Blatt vor den Mund, obwohl sie ihren Job noch hat, im Gegensatz von Bülent Sik. Er ist einer der vielen Akademiker, die wegen des Friedensappells entlassen wurde. Seit einem Jahr lebt er vor allem von seinem Ersparten. Wie lange er das noch durchhält, weiß er nicht
    "Ich komme irgendwie zurecht. Man kann da nicht sagen, wie's weiter gehen wird. Für mich ist das aber auch nicht so wichtig, weil ich glaube, dass das alles nicht so weitergehen wird. Außerdem nehme ich Gelegenheitsjobs an, kleine Schreibaufträge. Die sind zwar nicht gut bezahlt, aber ich komme über die Runden."
    "Schwere Situation schweißt zusammen"
    Bülent Sik ist noch nicht angeklagt. Die Fälle in Antalya, wo er lebt, kommen später dran, erzählt er. Der Friedensaufruf sei Terrorpropaganda gewesen, so die Vorwürfe. Darauf stehen mehrere Jahre Gefängnis. Die junge Historikerin Asli Odman schockt das nicht.
    Von Angst spürt man in ihren Worten nichts, im Gegenteil, die zierliche Frau wirkt kämpferisch. "Diese schwere Situation schweißt zusammen", sagt sie.
    Kaum Erwartungen an ein faires Verfahren
    Auch Semra Celik betont: Angst hat sie nicht, obwohl ihr Mann erst zehn Monate im Gefängnis war. Ihr Mann Önder arbeitet bei der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet. Er kam zwar im Sommer frei, der Prozess gegen ihn und Kollegen läuft aber noch - seine Erwartungen an ein faires Verfahren sind nicht groß.
    "Da haben wir Zweifel. Diese Zweifel gab's schon im Journalisten-Prozess, also unserem, dem Cumhuriyet-Prozess. Und auch was die Akademiker angeht, glaube ich nicht, dass das auf den rechten Weg kommen wird, solange sich Justiz und Rechtssystem in der Türkei nicht normalisieren."
    Belastung für die Familie
    Im Cumhuriyet-Prozeß, ist auch der bekannte Journalist Ahmet Sik angeklagt, der seit knapp einem Jahr in Haft ist. Es ist Bülent Siks Bruder. Der ist sich der Belastung für seine Familie bewußt.
    "Es ist vor allem für meine Eltern schwer, weil sie schon sehr alt sind. Ansonsten geht's uns aber gut, unser Leben geht weiter, wir haben Kinder."
    Damit die eine Zukunft in der Türkei haben, fordern sie "Adalet " - zu Deutsch "Gerechtigkeit" - und zwar jetzt und sofort!