Kunstmuseum Basel

Meister der Oberfläche

Der Künstler Charles Ray mit einer seiner Skulpturen im Kunstmuseum Basel
Der Künstler Charles Ray mit einer seiner Skulpturen im Kunstmuseum Basel © dpa / picture alliance / Georgios Kefalas
Von Johannes Halder · 15.06.2014
Die stählernen Figuren des amerikanischen Bildhauers Charley Ray oszillieren zwischen Naturalismus und Klassizismus. Das Kunstmuseum Basel zeigt ein gutes Dutzend neuer Werke des 61-Jährigen.
Ein splitternackter Junge, schneeweiß und überlebensgroß, der einen zappelnden Frosch am Bein gepackt hat, das ist das bekannteste Werk des Plastikers Charles Ray. Bis vor einem Jahr stand die tonnenschwere Figur aus massivem Edelstahl in Venedig an der sogenannten Dogana, der spitzen Landzunge in der Lagune am alten Zollhaus – eine Art Wahrzeichen und viel fotografierte Touristenattraktion.
Jetzt begegnen wir dem nackten Knaben im Kunstmuseum Basel als Blickfang am Ende einer langen Raumflucht. Doch vorher erleben wir eine Reihe nicht weniger spektakulärer Werke, allen voran das demolierte Wrack eines Unfallwagens, der bei einem tödlichen Zusammenstoß zu Schrott gefahren wurde. Ray hat das ganze Fahrzeug akribisch in Fiberglas nachgebildet und alles in einem neutralen Hellgrau eingefärbt. Es ist die plastische Transformation eines einstmals chrom- und lackglänzenen Vehikels in ein leblos tristes Memento Mori - ein atemberaubender Anblick.
Manche seiner Themen findet Ray buchstäblich auf der Straße. Da steht in einem anderen Raum ein mächtiger Raupenschlepper, ein detailgetreuer Guss aus massivem Aluminium. Ray hatte davon gehört, dass ein solches Gefährt seit Jahrzehnten verlassen auf einem abgelegenen Gelände stand.
Charles Ray: "Also ging ich raus, holte den Raupenschlepper und zerlegte ihn in alle Einzelteile, tausende von Teilen. Meine Assistenten formten diese dann Stück für Stück nach, von Hand, in Ton, auch das ganze Innere. Was man hier sieht, ist nur die Spitze eines Eisbergs. Es sind vier oder fünfmal mehr Teile, als man sieht."
Es sind diese inneren Werte, also auch das, was man nicht sieht, worauf es Ray ankommt - ein metaphysischer Aspekt. „Tractor", also Raupenschlepper, hat er das Werk von 2005 genannt. "Heute", sagt Charles Ray, "würde ich es 'Philosophisches Objekt' nennen."
Charles Ray: "If I could rename it I would call it 'Philosophical Object."
Und doch spielt die Oberfläche, also die Spitze des Eisbergs, auch bei anderen Werken eine Rolle. Es sind meist nackte Figuren von Männern, Kindern oder Frauen, die vage an antike Vorbilder erinnern, teils aus Metall gegossen, teils maschinell aus massivem Edelstahl gefräst.
"Für mich ist das eine ganz einfache und klare Sache"
In ihrer metallisch glanzpolierten Haut oder ihrem makellosen Weiß sehen sie aus, als habe Ray die griechische Antike mit der Konsumwelt von Jeff Koons oder dem Alltag von heute verschnitten.
Früher hat Ray auch konstruktivistische Plastiken gemacht, minimalistische Gerüste und Gerippe aus Stahl, und dass er letztlich wieder bei der menschlichen Figur gelandet ist, erklärt er ganz pragmatisch:
Charles Ray: "Für mich ist das eine ganz einfache und klare Sache. Es ist Kunst. Es ist, was es ist und ich muss nichts hineindeuten. Und das ist ein guter Ausgangspunkt für meine Arbeit."
Doch banal sind die Figuren nicht, und bunt ist hier schon gar nichts. Nicht um die Dinge, sondern um Menschen geht es Ray, und ihre Nacktheit ist existenziell. Eine Frau, leicht unterlebensgroß und detailreich unseren Blicken ausgesetzt; ein Junge, der mit einem Spielzeugauto spielt; ein hockender Mann, der sich die imaginären Schuhe bindet, und einer, der dasteht wie ein antiker Held.
Auf einer belebten Straße in Los Angeles hatte Ray einst eine schlafende Obdachlose entdeckt und sie eine Stunde lang aus allen Winkeln fotografiert, um sie später nachzubilden. Hier liegt sie nun vor uns auf ihrer Bank, herausgefräst aus massivem Edelstahl, fast drei Tonnen schwer, und ihr Gewicht korrespondiert mit der Schwere ihres Schlafs.
Charles Ray: "Für mich hat ihr Schlaf etwas Geologisches, als ob ein Berg schläft. Sie schlief da auf der Straße und war nicht aufzuwecken. Und als ich sie so sah, dachte ich: Im Schlaf sind wir doch alle gleich, auch der reichste Mann. Sie war in einem tiefen, schweren Schlummer. Und so gesehen ist das Gewicht sehr wichtig."
Ray ist bei alledem ein Perfektionist, ein Meister der Oberfläche. An vielen Werken hat er mit seinen Assistenten jahrelang gearbeitet.
Charles Ray: "It's a long, very long process. The more help you get, the longer it takes."
Ja, so ist es: je mehr Hilfe man hat, desto länger dauert es. Zwei Werke für die Basler Schau sind deshalb gar nicht erst fertig geworden, darunter ein riesiges Reiterstandbild, das mit dem Mythos der klassischen Denkmalskunst spielt und den Klischees vom amerikanischen Westernhelden. Ross und Reiter, gut 9 Tonnen schwer, und im Sattel – der Künstler selbst. Schade, das hätten wir gerne gesehen.

Die Ausstellung ist im Kunstmuseum Basel und im Museum für Gegenwartskunst bis zum 28. September 2014 zu sehen.

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