Wunschembryonen

Die falsche Angst vor Gentech-Babys

Übertragung der Körperzelle von einer Frau in eine entkernte Eizelle derselben Spenderin
Übertragung der Körperzelle von einer Frau in eine entkernte Eizelle derselben Spenderin © picture alliance / dpa / epa
Von Ulrich Woelk · 06.09.2016
Angesichts neuer Gen-Editing-Verfahren flammt eine Debatte über die ethischen Grenzen des Machbaren auf. Doch die Warnung vor Babys aus dem Baukasten geht Schriftsteller Ulrich Woelk genauso zu weit wie das Lob der "natürlichen" Zeugung. Warum, fragt er, sollte der Zufall bei der Zeugung besser sein als der Wunsch, das Beste für die Kinder zu tun?
Welche frischgebackenen stolzen Eltern kennen das nicht: Kaum wieder daheim, geht es seitens von Verwandten und Freunden beim Baby-Besuch auch schon los: "Ganz der Vater!", "Ganz die Mutter!" oder vielleicht auch: "Ganz der Opa!" Mit der Wirklichkeit hat das zwar meist nicht viel zu tun, aber es zeigt doch: Die Zeugung ist eine Lotterie. Die Gene der Eltern vermischen sich, und welche Merkmale sich am Ende durchsetzen und ausprägen, entzieht sich unserem Einfluss. So ist es, seit es Menschen, ja überhaupt Leben gibt – doch vielleicht nicht mehr lange.
CRISPR/Cas9 nennt sich ein gentechnisches Verfahren, mit dem sich das Erbgut beinahe so gezielt manipulieren lässt wie eine Word-Datei mit Copy-und-Paste-Tasten. Die 2012 entwickelte Technologie ist im Labor zudem einfach zu handhaben und kostengünstig. Das bedeutet: Gen-Editing – die gezielte Veränderung des Erbguts von Embryonen – könnte schon bald zum Standardangebot von Fertilitäts- und Kinderwunschkliniken gehören.

Eine Extraportion Egoismus

Solange es dabei um die Bekämpfung von genetisch bedingten Krankheiten geht, sehen die meisten darin auch kein gravierendes ethisches Problem. Doch was, wenn Eltern den Wunsch äußern, die Intelligenz ihres Kindes zu steigern, um ihm bessere Erfolgschancen in einer immer komplexer und härter werdenden Gesellschaft zu sichern? Was ist mit Zielstrebigkeit oder gar Egoismus? Bloß kein mitfühlendes, soziales Weichei, das im globalkapitalistischen Survival of the Fittest unter die Räder kommt!
Einmal angenommen, solches wäre gezielt und sicher machbar – Tatsache ist, dass wir das noch lange nicht wissen -, würden Eltern eine solche Technologie auch in Anspruch nehmen?

Gentechnischer Alptraum?

Die Macht des Zufalls bei der Zeugung in irgendeiner Weise zu zügeln, ist ein alter Menschheitswunsch und tief in uns verankert. Noch heute findet man Leitfäden im Internet, mit denen es angeblich möglich sein soll, das Geschlecht des Kindes beim Zeugungsakt zu beeinflussen. Und natürlich gehören auch die modernen Standardverfahren der Pränataldiagnostik in diesen Bereich. Was also wäre die gezielte genetische Manipulation von Embryonen? Eine logische Konsequenz aus all dem oder die Überschreitung einer gefährlichen Grenze? Traum oder Alptraum?
Gegner solcher Eingriffe argumentieren oft mit dem Begriff der "Natürlichkeit". Die Natürlichkeit der Zeugung dürfe nicht angetastet werden. Menschen hätten ein Recht auf die Zufälligkeit ihrer Entstehung. Und in der Tat: Wie wäre es, wenn wir wüssten, dass wir eine besondere musikalische, sprachliche oder technische Begabung nicht haben, weil der Zufall sie uns zugelost hat, sondern unsere Eltern sie uns bewusst per Genskalpell haben einpflanzen lassen?

Der Zufall ist nicht freundlich, sondern blind

Wir Deutschen sind traditionell sehr zurückhaltend, wenn es um genetische Manipulationen geht. Die Begriffe Natur und Natürlichkeit haben bei uns einen enorm hohen Stellenwert. Doch vielleicht sind wir, wie so oft, zu skeptisch.
Denn es geht entschieden zu weit, das Konzept der Zufälligkeit über das des Wissens und Handelns zu stellen. Der Zufall ist nicht freundlich, sondern blind. Er kennt weder ethische Grundsätze noch ist er empathisch. Wieso sollte man dem Zufall bei der Zeugung mehr zutrauen als dem verständlichen Wunsch von Eltern, das Beste für ihre Kinder zu tun? Und wer sagt, dass eine genmanipulierende Menschheit irgendwann nur noch aus blonden Hünen mit einem IQ von 200 und Doppelgängerinnen von Angelina Jolie oder Keira Knightley bestehen würde?
Sowohl Schönheitsideale als auch Verhaltensnormen sind in erster Linie kulturell geprägt und viel zu unterschiedlich und zahlreich, um sie gleichsam durch einen menschlichen Einheitsklon abdecken zu können. Neben dem Hang zur Konformität haben Menschen immer auch den Wunsch, Individuum und einzigartig zu sein. Jeder möchte sich in seinem Kind wiederfinden und nicht ein vielleicht ideales, aber ihm letztlich fremdes Wesen großziehen. Nein - dann schon lieber den Opa oder die Oma.

Ulrich Woelk, geboren 1960 in Köln, studierte Physik in Tübingen und Berlin. Sein erster Roman, "Freigang", erschien 1990 und wurde mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Seit 1995 lebt Ulrich Woelk als freier Schriftsteller in Berlin.

Seine Romane und Essays sind unter anderem ins Chinesische, Französische, Englische und Polnische übersetzt. Zuletzt erschienen die Romane "Joana Mandelbrot und ich" (2008), "Was Liebe ist" (2013) und "Pfingstopfer" (2015).

Der Schriftsteller Ulrich Woelk
© Bettina Keller
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