Kunsthistoriker über Maria Sibylla Merian

"Sie war eine singuläre Erscheinung"

Das Bild "Green iguana" von Maria Sibylla Merian wird im Rembrandthaus in Amsterdam ausgestellt (handout). Dem außergewöhnlichen Leben der Naturforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian (1647-1717) widmet das Rembrandthaus in Amsterdam eine umfangreiche Ausstellung. Die rund 100 Aquarelle von Pflanzen und Insekten unterstreichen den bis heute gültigen Rang der gebürtigen Frankfurterin als der bedeutendsten Wissenschaftlerin und Künstlerin ihrer Zeit. Erstmals untersucht die von Samstag an (bis 18. Mai) geöffnete Schau auch den Anteil der beiden Töchter am Gesamtwerk Merians. dpa/lnw (ACHTUNG: Bildverwendung nur im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die erwähnte Ausstellung) +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
Ein Kupferstich von Maria Sibylla Merian - er zeigt einen Leguan. © dpa / Museum Rembrandthaus
Martin Sonnabend im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 13.01.2017
Maria Sibylla Merian hatte Mut: Ende des 17. Jahrhunderts reiste die Kupferstecherin und Naturforscherin ins ferne Surinam, um Schmetterlinge zu erforschen. Anlässlich ihres 300. Todestages haben wir den Kunsthistoriker Martin Sonnabend um eine Einordnung ihres Schaffens gebeten.
Wenn der Kunsthistoriker Martin Sonnabend, Kurator am Frankfurter Städel Museum, über die Kupferstecherin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian spricht, ist Bewunderung für deren Lebenswerk herauszuhören: Eine "singuläre Erscheinung" sei sie gewesen, eine selbstbewusste Frau und ein "starker Charakter. Das Museum wie auch das Berliner Kupferstich-Kabinett ehren Merian anlässlich ihres 300. Todestages mit Ausstellungen.
Maria Sibylla Merian, Tochter des Matthäus Merian aus der Kupferstecher- und Verlegerdynastie, wurde schon zu Lebzeiten berühmt durch ihre akribische Beobachtung der Metamorphose von Raupen zu Schmetterlingen, die sie detailreich dokumentierte. Bekannt und heute noch bewundert sind ihre kunstvollen Kupferstiche, die sie von den Insekten anfertigte. Zusammen mit beschreibenden Texten brachte sie sie als "Raupenbücher" heraus.

Anerkannte Forscherin

Da hatte sich ihre Wissbegierde und ihr Forschergeist bereits zu anderen Wissenschaftlern der Zeit herumgesprochen. Vollends berühmt wurde sie durch ihre Surinam-Reise: Sie bereiste die damalige niederländische Kolonie 1699 bis 1701 in Begleitung ihrer Tochter und veröffentlichte anschließend das Buch "Metamorphosis insectorum surinamensium".
Verschiedene Präparate von Schmetterlingen, Käfern und Spinnen liegen  in einer Vitrine in einem Ausstellungsraum des Museums Wiesbaden. Die Präparate wurden von der Naturkundlerin und Künstlerin Maria Sibylla Merian angefertigt. Vor 300 Jahren starb Merian.
Präparierte Schmetterlinge von Maria Sibylla Merian im Museum Wiesbaden.© pictur alliance/dpa/Susanne Prautsch
Schon als Kind hatte sie damit begonnen, Raupen zu sammeln und ihre Entwicklung zu beobachten – in langen Versuchsreihen, über Jahre hinweg immer wieder.
"Das kling erstmal so ein bisschen wie Freizeitvergnügen. Oder aus dem Kinderladen kennt man das auch – Raupen beobachten. Aber es ist in der Zeit tatsächlich eine innovative naturwissenschaftliche Forschung."
Zwar habe es vor Merian schon Ansätze gegeben, das zu untersuchen – doch habe niemand dies so systematisch verfolgt wie sie.
Merian wird anlässlich ihres 300. Todestages in diesem Jahr mit zwei Ausstellungen geehrt: Das Berliner Kupferstichkabinett zeigt im April ihre Werke, das Frankfurter Städel Museum folgt im Herbst.

Ausstellung über Maria Sibylla Merian:
"Maria Sibylla Merian und die Tradition des Blumenbildes", Kupferstichkabinett Berlin, 7. April bis 2. Juli 2017.
Die Ausstellung ist anschließend vom 1. Oktober 2017 bis 14. Januar 2018 im Frankfurter Städel Museum zu sehen.

Literatur:
Carin Grabowski, "Maria Sibylla Merian zwischen Malerei und Naturforschung: Pflanzen- und Schmetterlingsbilder neu entdeckt"
Bildband mit wissenschaftlicher Einordnung des Werkes, Reimer, Dietrich (erscheint Ende März 2017), 430 Seiten, 79 Euro.


Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Es sind traumhaft schöne Bilder, die man von ihr kennt, sie zieren Postkarten und Geschenkpapiere und sind doch viel mehr als bloß Dekor oder einfach schön: die Zeichnungen, die Kupferstiche der Künstlerin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian, heute vor 300 Jahren ist sie gestorben, wir haben ja schon im Kalenderblatt von ihr gehört. Für uns war das Anlass, über die Frau zu sprechen, die so unsagbar Schönes und Wichtiges geschaffen hat, und zwar mit Martin Sonnabend aus ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main. Er ist dort Kurator am Städel-Museum und dort wird es im Laufe des Jahres, im April genauso, die Ausstellung "Maria Sibylla Merian und die Tradition der Blumenbildes" geben. Schönen guten Morgen!
Martin Sonnabend: Guten Morgen!
von Billerbeck: Begüterte mit Hang zu Bargeld kennen ihr Konterfei, also das von Maria Sibylla Merian, vom 500-Euro-Schein. Was ist denn Ihr Bild von ihr?
Sonnabend: Also, ich denke, Maria Sibylla Merian ist eine singuläre Erscheinung in der Kunstgeschichte, aber auch in der Naturforschung. Das äußere Bild von mir ist tatsächlich relativ unbekannt. Also, dieses Konterfei auf dem Geldschein geht zurück auf einen ganz späten Kupferstich, eine Porträtdarstellung, die gemacht worden ist, als sie kurz vor ihrem Tod stand, und die ist auch eigentlich nicht so wahnsinnig gut gelungen, könnte man sagen. Also, wie sie genau ausgesehen hat, wissen wir nur so ungefähr. Aber ihre Position als auf der einen Seite Blumenmalerin und auf der anderen Seite Naturforscherin, die ist schon ganz besonders und hebt sie wirklich deutlich hervor als singuläre Erscheinung.
von Billerbeck: Beschreiben Sie uns das doch etwas genauer noch, diese Person, diese singuläre Erscheinung. Also, schon diese Mischung: Künstlerin und Naturforscherin, und dann vor 300 Jahren! Sie war eine Frau, da war es ja auch nicht normal, dass so etwas möglich war überhaupt.
Sonnabend: Das ist völlig richtig. Also, ihr Lebensweg ist auch ein ganz besonderer und zeigt, dass sie einen sehr starken Charakter, eine sehr starke Persönlichkeit gehabt hat. Sie ist in Frankfurt zur Welt gekommen 1647, und zwar als Tochter des damals sehr berühmten Verlegers Matthäus Merian des Älteren. Der hatte in Frankfurt einen großen Verlag aufgebaut. Und der stirbt aber schon, als Maria Sibylla ungefähr drei Jahre alt ist, und ihre Mutter heiratet dann noch mal, und zwar einen Blumenmaler.
Und das Wichtige an ihrer … Also, ein wichtiger Punkt an ihrer Biografie ist, dass sie als Kind, dann schon als Heranwachsende in der Werkstatt ihres Stiefvaters die Blumenmalerei lernt, und damit ist im Wesentlichen gemeint das Zeichnen mit Deckfarben auf Pergament, was sehr kostbar ist, was wunderbar aussieht und wodurch die Blumen eben ganz besonders schön zur Geltung kommen. Und auf der anderen Seite die Fähigkeit, auch Druckgrafiken zu machen und diese Themen eben auch als vervielfältigte Bilder herzustellen. Was dann dazukommt, ist etwas, schreibt sie selbst irgendwo, sie hat schon als Heranwachsende angefangen, Raupen zu beobachten und ihre Metamorphosen.
In Frankfurt gab es damals eine Seidenindustrie und die Seidenraupe war entsprechend bekannt und wichtig. Und man wusste, dass die Raupe sich irgendwann verpuppt und sich in einen Schmetterling verwandelt. Und Maria Sibylla findet nun als Kind schon heraus, dass man das auch bei anderen Raupen beobachten kann. Und irgendwann fängt sie dann an und untersucht das systematisch. Also, sie geht durch die Wiesen und sammelt Raupen, die sie finden kann, und dann schreibt sie ganz genau auf, wo sie die gefunden hat, wann sie die gefunden hat, welche Pflanze die Raupe frisst, sie füttert sie, beobachtet sie, zeichnet sie. Dann verpuppt sich die Raupe, auch das zeichnet Maria Sibylla Merian und notiert das, und dann wird daraus ein Schmetterling und den fängt sie ein und den zeichnet sie dann auch.

Innovative naturwissenschaftliche Forschung

Und da macht sie regelrechte Versuchsreihen über viele Jahre hinweg. Das klingt erst mal so ein bisschen wie Freizeitvergnügen oder aus dem Kinderladen kennt man das auch, Raupen beobachten und so, aber es ist in der Zeit tatsächlich eine innovative naturwissenschaftliche Forschung. Es gab schon Ansätze, das zu untersuchen, aber niemand hat das so systematisch gemacht wie Maria Sibylla Merian, die dann schließlich ein Buch daraus gemacht hat, das 1679 in Nürnberg erschienen ist, wo sie zu dem Zeitpunkt mit ihrem Mann und ihren Kindern wohnte. Dieses Buch, das sogenannte "Raupenbuch", das versammelte 50 Tafeln, auf denen man die Metamorphosen von unterschiedlichen Raupen und Schmetterlingen sich anschauen konnte, in Kupferstichen. Und das Buch konnte man dann auch koloriert bekommen, sodass das also entsprechend prächtig aussah, wenn man bereit war, das zu bezahlen.
von Billerbeck: War das teuer? Ja, genau, wie teuer war das, wenn man so ein koloriertes Buch haben wollte?
Sonnabend: Also, ganz genau weiß ich die Preise nicht und das ist auch schwierig, sich das umzurechnen. Aber das war schon, sagen wir mal, ein Luxusgegenstand. Das Buch an sich ist natürlich teuer, das richtet sich ja auch nicht an jetzt die breiten Volksschichten, sondern an eine gebildete Schicht und ein gebildetes Bürgertum, also gebildete Aristokratie. Und Bücher sind grundsätzlich in der Zeit teurer als heute. Aber wenn es dann auch koloriert ist, es gab das in verschiedenen Abstufungen, das ist ganz interessant: Man konnte es so koloriert bekommen, dass nur die Metamorphose farbig gefasst war, das war dann nicht so teuer, wie wenn die gesamte Darstellung farbig dargestellt war.
von Billerbeck: Hat man ihre Leistungen, die Sie jetzt so eindrücklich geschildert haben, eigentlich in ihrer Zeit, als sie gelebt hat, auch gewürdigt?
Sonnabend: Ja. Also, das Buch erscheint mit einer Einleitung, einem Lobgedicht von einem sehr angesehenen protestantischen Theologen aus Nürnberg, der hervorhebt, dass Maria Sibylla hier innovative Forschung vorstellt, und der die ganzen anderen Naturforscher der Zeit, die in dem Bereich eine Rolle spielen, auch mit Namen nennt. Sie selbst vermeidet das. Also, sie schreibt im Grunde nur ganz nüchtern in ihren Texten, zu diesen Tafeln, was sie beobachtet hat, und hat auch eine ganz einfache und bildhafte Sprache dazu. Aber sie tritt nicht als … also, mit dem Habitus einer Wissenschaftlerin auf, das macht diese Einleitung. Da steht dann drin, der Swammerdam und der soundso, die haben geforscht und nun hat … aus den deutschen Landen gibt es eine Frau, die sich dieser Forschung anschließt. Also, da wird von vornherein deutlich gemacht, wie bedeutend das ist, was sie da macht.
von Billerbeck: Sie hören schon, Martin Sonnabend, der Kurator des Städel, ist begeistert. Und ich nehme an, das wird auch eine ganz wunderbare Ausstellung, die man dann sehen kann im April im Berliner Kupferstichkabinett, ab Herbst dann auch im Städel, in Merians Geburtsstadt Frankfurt am Main. Herr Sonnabend, ich danke Ihnen schön für das Gespräch am heutigen 300. Todestag von Maria Sibylla Merian!
Sonnabend: Bitte schön!
von Billerbeck: Einen schönen Tag noch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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