Kunstgeschichte

Schwimmend an der Macht

Um Gerüchte über seinen schlechten Gesundheitszustand zu entkräften schwimmt der 72-jährige chinesische Staatsführer Mao Tsetung (vorn) am 27.7.1966 eine Strecke von 15 Kilometern im Fluß Jangtse. Rund 5000 Chinesen folgen seinem Beispiel.
Der chinesische Staatsführer Mao Tse-tung schwamm 1966 mehr als 15 Kilometer im Yangtze. © picture-alliance / dpa / DB AFP Belino
Von Michael Opitz  · 27.01.2014
Karl der Große hat sich schwimmend abbilden lassen. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp wertet diese Darstellung als ein Symbol herrschaftlicher Souveränität. In einer ähnlichen Funktionen fungierten auch Bart- und Haartracht und sogar die Tiere, mit denen der Herrscher umgab.
Wenig souverän verhält sich, wer bei der Antwort auf eine Frage ins "Schwimmen" gerät, also unsicher wird. Allerdings sei es Ausdruck von Souveränität, so der an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Kunsthistoriker Horst Bredekamp, wenn sich ein regierender Staatsmann beim Schwimmen öffentlich zeige. Vor Zehntausenden ließ sich zum Beispiel Mao Tse-tung im Yangtze treiben. Mit diesem Schauspiel beeindruckte er die chinesischen Bauern, die in der Regel nicht schwimmen konnten. Ihnen zeigte er, dass es zwecklos sei, Widerstand zu leisten. Dagegen wäre es klüger, in dem von einer mächtigen Kraft getriebenen Strom einfach mitzuschwimmen. Dass sich der Einzelne dieser Kraft anvertrauen könne und mitgenommen würde, machte er ihnen vor.
Bredekamps eigentliches Interesse aber ist auf Karl den Großen gerichtet, der seit 768 König des Franken Reiches und seit 800 römischer Kaiser war. Karl der Große war mit seinen 1,90 Metern in der Tat ein "Großer" und für die damaligen Verhältnisse ein Riese. Er verstarb 814, siebzigjährig, in Aachen, dem Zentrum des Frankenreiches. Doch obwohl Karl ein riesiges Reich unter sich hatte, verfügte er über keinerlei Institutionen, die seinem Machtanspruch Ausdruck verleihen konnten. Dass er dennoch die Fähigkeit besaß, sein Riesenreich zu bündeln, darf als Ausdruck seiner Größe gesehen werden. Besondere Bedeutung, das zeigt Bredekamp anschaulich, kam dabei dem Körper des Herrschers zu. Der politische Körper des Souveräns stand für das mächtige Reich, das der Herrscher in seiner Größe und durch seine Kraft repräsentierte.
Karl der Große liebte das gemeinsame Bad mit Vertrauten
Karl bewies besondere Geschicklichkeit und außerordentliches Können in der Beherrschung des Wassers. Seine Schwimmkünste sind für Bredekamp Ausdruck einer "körperbezogenen Ikonologie". In der von ihm verfassten Lebensbeschreibung hat Karls Biograf Einhard darauf hingewiesen, dass Karl ein außerordentlich guter Schwimmer war. Er liebte es, bei einem gemeinsamen Bad mit seinen Söhnen und den engsten Vertrauten zusammen zu sein. Ein Schwimmbad von stattlicher Größe gehörte zur Aachener Kaiserpfalz. Karl nutzte es, um beim Baden eine Gemeinschaft herzustellen und für Schwimmwettkämpfe, bei denen er stets als Sieger hervorging.
Seine beeindruckende körperliche Kondition stellte er auch deshalb unter Beweis, weil es ein Recht auf Verschwörung gab, wenn der Herrscher sein Pferd nicht mehr kraftvoll besteigen und seine Waffen nicht mehr tragen konnte, wenn er taub oder blind war. Für eine Verschwörung gab Karls makellose körperliche Konstitution nie Anlass.
Nach Bredekamps These zeigte sich Karls besondere Regierungskunst darin, dass sie Stabilität garantierte, ohne statisch angelegt zu sein. Sie war in ihrem Ursprung fluid, wobei sich das Wasser als ein Grundelement dieser Politik erwies. Das Fließende, Bewegliche wurde zum Garanten des Regierungsstils von Karl dem Großen. Der Herrscher bewies seine Klugheit, indem er die Eigenschaften des Elementes Wasser zu den seinen machte. Das Schwimmen – dies verdeutlicht Bredekamp in seiner kenntnisreichen und sehr gut geschriebenen Monografie – darf als ein überraschendes Moment der politischen Ikonologie angesehen werden.

Horst Bredekamp: Der schwimmende Souverän. Karl der Große und die Bildpolitik des Körpers.
Eine Studie zum schematischen Bildakt
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014
154 Seiten, 26 Euro