Kunstfund und NSA-Affäre

"Kaum eine einzige geklärte Frage" im Fall Gurlitt

Von Burkhard Müller-Ullrich · 24.11.2013
Vor die Wahl gestellt, mit welchem der beiden Dauerbrennerthemen, Snowden oder Gurlitt, er eine weitere Woche seinen Kulturteil füllen soll, entscheidet sich der SPIEGEL beherzt für beides. Und so gibt es zunächst lauten Beifall für den volksheldenhaften Verräter aus den USA, der sich in Russland versteckt hält, und dieser Beifall stammt von dem 82-jährigen britischen Spionagethrillerautor und Ex-Geheimdienstmitarbeiter John Le Carré.
"Herr Snowden, machen Sie sich keine Illusionen! Sie werden verfolgt und wohl irgendwann geschnappt werden, denn Sie haben eine Todsünde begangen – Sie haben die US-Regierung Corporate America wie Idioten aussehen lassen. Und die denken: Dafür ist die Todesstrafe noch zu milde."
Im übrigen empört sich John Le Carré auch über seine eigenen Regierungen und zwar jeglicher Couleur, die seine Heimat zu einer De-facto-Kolonie der USA gemacht hätten.
"Es regt mich wahnsinnig auf,"
sagt er im Interview mit dem SPIEGEL,
wenn unser Außenminister William Hague zur NSA-Affäre sagt, niemand müsse etwas befürchten, wenn er nichts Böses getan habe – ein Satz auf den Joseph Goebbels stolz gewesen wäre.
Eines der Probleme dieses Satzes besteht wohl darin, daß nicht immer klar ist, was als böse gilt. Ist zum Beispiel das unsachgemäße Aufbewahren von Kunstwerken in einer Privatwohnung schon ein Grund, sie polizeilich beschlagnahmen zu lassen? Damit wären wir beim zweiten Großthema. Der Fall Gurlitt tritt allmählich ins Stadium der juristischen Feinstoffproduktion. Im SPIEGEL äußert sich der frisch ins Amt gekommene bayerische Justizminister Winfried Bausback, und bringt einen – wie er selbst sagt – „verfassungsrechtlich nicht unproblematischen“ Gesetzesvorschlag ins Spiel, nämlich eine rückwirkend anzuwendende "Lex Gurlitt“:
"Danach dürfte jemand, der beim Erwerb bösgläubig war, der also wußte, daß die Bilder oder andere Gegenstände, die er kauft oder erbt, ihrem Eigentümer abhandengekommen sind, sich nicht auf die zivilrechtliche Verjährung berufen."
Was der bayerische Justizminister hier vorschlägt, ist brisant. Denn wie und wieso sollte ein solches Prinzip auf Kunstwerke beschränkt bleiben und nicht auch für andere Vermögensgegenstände wie Häuser, Grundstücke und Firmenanteile gelten? Es liefe geradewegs auf die Abschaffung der Verjährung als eines grundlegenden Instruments für die Schaffung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit hinaus. Das haben Kunstrechtler, die sich gerade in Heidelberg zu einer Diskussion über die Folgen des Falls Gurlitt getroffen haben, klar erkannt. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG berichtet über die Konferenz. Ihr Resümee:
"Es gibt kaum eine einzige geklärte Frage in diesem Fall. Schon die gesetzliche Grundlage für die Beschlagnahme der Bilder wurde kontrovers diskutiert. Beschlagnahme von Beweismitteln – aber Beweismittel wofür? Oder Paragraph 108 StPO: Zufallsfund mit Hinweis auf eine andere Straftat als die Steuerdelikte, deren Gurlitt offenbar verdächtig ist. Doch worauf war der zweite Verdacht gegründet – auf die atypische Lagerung der Bilder? Muß demnächst, wer seine Sammlung nicht an der Wand hängen hat, damit rechnen, daß staatsanwaltlicher Besuch die Objekte mal mitnimmt?"
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG heißt es:
"Kunst bietet einfach immer noch passable Möglichkeiten der hemmungslosen Übertreibung bei guten Chancen, ohne Konsequenzen davonzukommen."
Doch dieser Satz des in Leipzig lehrenden Kunsthistorikers Frank Zöllner bezieht sich auf etwas gänzlich anderes, nämlich den neuesten Versuch, eine – wie Zöllner sich ausdrückt – „süßliche“ Kopie von Leonardos „Mona Lisa“ als Original zu vermarkten. Es handelt sich um die vor hundert Jahren in englischem Besitz aufgetauchte und seither durch die Kunstwelt spukende „Isleworth Mona Lisa“, die nächstes Jahr auf Welttournee gehen soll. Ob das Bild wirklich von Leonardo stammt und eine ältere Version des Gemäldes im Louvre ist, darüber streiten sich die Experten. Zöllner glaubt es nicht. Alle angeführten Argumente weist er als „nicht zwingend“ zurück. Die Befürworter der These bezeichnet er als „Koofmichs der Leonardoforschung“. Es ist wie bei Gurlitts Gutgläubigkeit: Wenn der Beweis auch fehlt, sind bloße Zweifel noch kein Gegenbeweis.
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