Kunstfreiheit

Schützt die Satire - vor Böhmermann!

Prof. Dr. Reinhard Merkel (Strafrechtler) in der ZDF-Talkshow "maybrit illner" am 20.02.2014 in Berlin.
Reinhard Merkel, Rechtsphilosoph und Strafrechtler. © dpa / picture-alliance / Eventpress Stauffenberg
Reinhard Merkel im Gespräch mit Ute Welty · 16.04.2016
Der Hamburger Rechtsprofessor Reinhard Merkel hält die Entscheidung der Bundeskanzlerin im Fall Böhmermann für "unumgänglich" und eine Verurteilung Böhmermanns für geboten. Dessen "Satire" habe weder Witz noch Esprit noch irgendeinen Funken "Geistreichtum".
Die Justiz darf gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen eines Verstoßes gegen §103 StGB ermitteln. Der Hamburger Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel findet das richtig, sogar "unumgänglich".
Es gehe hier nicht nur um Böhmermann und Erdogan, sondern um die Klärung eines Maßstabs, was Satire dürfe, sagt er. "Stellen Sie sich vor, irgendein Idiot kommt demnächst auf die Idee, in genau demselben Modus und Duktus den israelischen Staatspräsidenten oder den Ministerpräsidenten Netanjahu auf diese Weise anzureden", so der Hamburger Jurist. Dann dürfte die Bundesregierung auch in einem solchen Fall keine Strafverfolgung zulassen.

Parallelen zur Darstellung Franz Josef Strauß' als kopulierendem Schwein

Im Fall Böhmermanns gehe es weniger um Meinungsfreiheit, die am Schutz der Ehre ende, als um die weiterreichende Kunstfreiheit. Aber auch die ist, betont Jurist Merkel, nicht schrankenlos gewährt. So habe das Bundesverfassungsgericht 1988 über eine Karikatur geurteilt, die Franz Josef Strauß als kopulierendes Schwein dargestellt hatte, und "ganz deutlich" markiert: "Hier ist die Grenze der Kunstfreiheit überschritten, und hier wird eine geschützte Sphäre sozusagen des innersten Persönlichkeitsrechts erreicht, das in Deutschland von der Menschenwürde garantiert wird."
Reinhard Merkel zufolge weisen beide Fälle Parallelen auf. "Deshalb meine ich, dass die richtige Entscheidung in diesem Fall eine Verurteilung Herrn Böhmermanns ist."

"Satire" ohne Witz und Esprit

Böhmermanns "Satire" sei vollkommen ohne Witz, Esprit und "ohne irgendeinen Funken von durchdachtem Geistreichtum", so Merkel.
"Ich kann nur sagen: ich bin auch dafür, dass in der Causa Böhmermann die Satire geschützt wird, aber nicht so sehr gegen Herrn Erdogan, sondern gegen Herrn Böhmermann!"

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Die Causa Böhmermann geht in die nächste Runde. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die deutsche Justiz ermächtigt, gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten zu ermitteln. Gleichzeitig kündigte Merkel an, den betreffenden Paragrafen so bald wie möglich abzuschaffen, und sie betonte, im Rechtsstaat sei es nicht Sache der Regierung, sondern unabhängiger Gerichte, Persönlichkeitsrechte gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen. Nichtjuristen hinterlässt diese Erklärung einigermaßen hilflos.
Also fragen wir einen Juristen, und zwar nicht irgendeinen, sondern Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität in Hamburg. Guten Morgen!
Reinhard Merkel: Guten Morgen!
Welty: Um möglichen Anträge wegen Befangenheit vorzubeugen: Sie sind weder verwandt noch verschwägert mit der Bundeskanzlerin, oder?
Merkel: Richtig, weder verwandt noch verschwägert, habe keinen Einfluss auf die deutsche Politik.

"Ich halte die Entscheidung für richtig"

Welty: Angela Merkel hat bei ihrer Erklärung eingeräumt, dass es durchaus unterschiedliche Auffassungen und auch Rechtsauffassungen gegeben hat, wie man mit dem türkischen Antrag umgehen soll. Wie beurteilen Sie die Entscheidung, dass jetzt gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes ermittelt wird?
Merkel: Ich halte die Entscheidung für richtig. Vor dem Hintergrund der Geltung des einschlägigen Paragrafen, der also eine Zustimmung der Bundesregierung zur Prozessvoraussetzung macht, das ist der Paragraf 104a des Strafgesetzbuchs, ist die Entscheidung sogar sozusagen unumgänglich gewesen. Es geht ja nicht nur um die Causa Böhmermann und Erdogan.
Stellen Sie sich vor, irgendein Idiot kommt demnächst auf die Idee, in genau demselben Modus und Duktus den israelischen Staatspräsidenten oder den Ministerpräsidenten Netanjahu auf diese Weise anzureden. Dann wäre die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Erfordernisses ihrer Zustimmung, wohl gehalten, irgendwie konsistent sich zu entscheiden und auch da die Strafverfolgung nicht zuzulassen. Oder jemand, der Obama in dieser Weise angreifen würde. Es geht also nicht um einen Einzelfall, sondern um die Klärung eines Maßstabs dessen, was Satire darf und was sie nicht mehr darf.

Es geht um Kunst- und nicht um Meinungsfreiheit

Welty: Was bedeutet Ihre Einschätzung für den weiteren Fortgang? Folgen den Ermittlungen Anklage, Prozess, Verurteilung?
Merkel: Na ja, das Gericht wird sich damit befassen, wird also die berühmte Abwägung der jeweils im Spiel befindlichen Sphären, also des Schutzes der Kunstfreiheit einerseits … Es geht nicht so sehr um Meinungsfreiheit, die kann nach dem Grundgesetz eingeschränkt werden und die endet – so steht das im Grundgesetz – am Schutz der Ehre anderer. Es geht um Kunstfreiheit, die deutlich weiterreichend geschützt ist als die bloße Meinungsfreiheit, aber auch die hat Grenzen.
1988 hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung, in der es damals um Franz Josef Strauß ging, der als kopulierendes Schwein dargestellt wurde in einer Karikatur, ganz deutlich markiert: Hier ist die Grenze der Kunstfreiheit überschritten und hier wird eine geschützte Sphäre sozusagen des innersten Persönlichkeitsrechts erreicht, das in Deutschland von der Menschenwürde garantiert wird - ich zitiere das Verfassungsgericht. Die Fälle sind in – der jetzige Fall Böhmermann und der damalige Franz Josef Strauß –, sind in signifikanten Hinsichten parallel. Deswegen meine ich, dass die richtige Entscheidung in diesem Fall eine Verurteilung Herrn Böhmermanns ist.

"Minima Moralia" der zivilisierten Umgangsformen müssen gewahrt bleiben

Welty: Sie sind ja insoweit besonders vertraut mit dem Buch, als Sie ein Buch geschrieben haben über das Verhältnis von Strafrecht und Satire im Werk von Karl Kraus, der sich mehr als einmal für seinen Scharfsinn und seine Scharfzüngigkeit hat verantworten müssen. Wenn Sie sich das noch mal vor Augen führen, was Sie für dieses Buch recherchiert haben, wie muss es denn um das Verhältnis von Strafrecht und Satire bestellt sein?
Merkel: Nun, natürlich ist das in einem bestimmten Sinne ein prekäres Verhältnis. Satire, seit Friedrich Schiller unterscheiden wir die spottende von der strafenden Satire. Satire kann einen wuchtigen, polemischen Impetus haben und den Angegriffenen sehr scharf und schwer verletzen. Aber sie muss gleichwohl in einem bestimmten Rahmen sozusagen der Minima Moralia, der zivilisierten Umgangsformen bleiben. Wird der überschritten, dann ist das Recht des Attackierten auf den Schutz seines innersten Persönlichkeitsrechts stärker.
Und niemand hat das so genau reflektiert wie Karl Kraus, der – im Unterschied, unter uns, zu Herrn Böhmermann – ein bedeutender, wahrscheinlich der größte deutschsprachige Satiriker in der Literatur überhaupt war, er hat diverse Strafprozesse gegen Leute geführt, die ihn auf eine Weise, die man mit der Böhmermannschen vergleichen kann, attackiert haben.

Bei Böhmermann fehlen Witz und Esprit vollkommen

Welty: Auf der anderen Seite sagt Kraus auch: Eine Satire, die auch der Staatsanwalt versteht, gehört zu Recht beschlagnahmt.
Merkel: Zu Recht zensiert, so hat er das im Ersten Weltkrieg gesagt. Das war eine Attacke sozusagen gegen die Zensur damals. Und ein ironischer Verweis darauf, dass seine Satire intelligent genug ist, um vom Staatsanwalt gar nicht richtig verstanden zu werden. Das ist in einem bestimmten Sinne übertrieben, aber vollkommen problemlos. Selbstverständlich kann man das so formulieren.
Aber die Böhmermannsche Satire, die ich so nur mit Anführungszeichen nennen kann, ist vollkommen ohne jeden Witz, ohne jeden Esprit, ohne irgendeinen Funken von durchdachtem Geistreichtum. Ich kann nur sagen: Ich bin auch dafür, dass in der Causa Böhmermann die Satire geschützt wird, aber nicht so sehr gegen Herrn Erdogan, sondern gegen Herrn Böhmermann.
Welty: Bei all dem, was Sie bisher erklärt haben, wie passt da hinein, dass die Kanzlerin den ausschlaggebenden Paragrafen so schnell wie möglich abschaffen möchte?
Merkel: Ja, das ist in der Öffentlichkeit auch schief kommentiert worden. Es geht keineswegs um einen …

§ 103 StGB ist kein Majestätsbeleidigungsparagraf

Welty: Rücken Sie es gerade!
Merkel: Es geht keineswegs um einen Majestätsbeleidigungsparagrafen. Schon der erste Blick in diesen Paragrafen zeigt, dass selbstverständlich nicht nur ausländische Staatsoberhäupter geschützt sind, also die Majestäten, sondern hier im Inland akkreditierte Botschafter sind ganz genauso geschützt. Geschützt ist in Wahrheit zweierlei: Einerseits eine Ebene, wie ich das vorhin genannt habe, der Minima Moralia, auf denen die Würde anderer Staaten nicht angetastet werden soll, und andererseits intensiv wichtige Belange der Bundesrepublik selbst. Nämlich es schützt das Interesse dieses Landes an einem Mindestbestand funktionierender Beziehungen zu anderen Staaten.
Wir wissen hier in Deutschland, dass in anderen Staaten die Ehre des Staates ein höheres Gewicht hat - übrigens nicht nur in der Türkei, auch in den USA - als etwa bei uns. Und dass sich Staatschefs, die auf diese Weise attackiert werden, sozusagen stellvertretend für ihr Land angegriffen fühlen. Das kann zu diplomatischen Verwicklungen führen. Ich bin nicht der Meinung, dass wir unbedingt einen solchen Paragrafen brauchen, aber geschützt ist nicht die Ehre des Herrn Erdogan, geschützt sind unsere bundesrepublikanischen Interessen an funktionierenden auswärtigen Beziehungen. Dieser Paragraf kann gestrichen werden, er muss nicht gestrichen werden.
Sehr viele ausländische Strafrechtsverordnungen enthalten einen ganz analogen Paragrafen, der diese Art Wechselseitigkeit garantiert, wie unser Paragraf 104a das auch voraussetzt. Wir schützen solche Staaten nur, wenn sie umgekehrt uns auch schützen. Also, die nationale Ehre, wenn Sie so wollen. In diesem Sinne ist das kein Majestätsbeleidigungsparagraf, ist auch nicht völlig sozusagen Nonsense und sinnlos. Man mag ihn streichen, wie das Finnland und Schweden vor Jahren getan haben, man kann ihn aber eigentlich auch beibehalten.
Welty: Die Causa Böhmermann und die juristischen Folgen, darüber habe ich mit Professor Reinhard Merkel gesprochen und dafür sage ich: Danke!
Merkel: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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