Kunstausstellung "Orbit"

"Auf Bewegung aufgebaut"

Der Kunsterverein Hannover zeigt die Installation "There's a circle in your life that needs to be repeated" von Tilo Schulz. Bitte keine 4:3-Version erstellen! Die Pressebilder sind ausschließlich frei zur Berichterstattung über die Ausstellung. Die Abbildungen sollen in Farbe abgedruckt und dürfen weder beschnitten noch manipuliert werden. Copyright- und Courtesy-Nennung obligatorisch.
Für den Künstler Tilo Schulz haben die Installationen auch eine politische Dimension. © Kunstverein Hannover / Raimund Zakowski
Von Volkhard App · 10.07.2014
Der Kunstverein Hannover zeigt Installationen des Leipziger Künstlers Tilo Schulz. Der Ausstellungsname "Orbit" kann dabei wortwörtlich genommen werden: Der Besucher wähnt sich in einer Umlaufbahn und durchwandert einen Parcours.
Eine Überraschung gleich zu Beginn: Gerade entstandene Bilder mit ungegenständlichen Motiven hängen nicht an der Wand, sondern liegen auf dem Boden, großzügig im Raum verteilt: Holzplatten mit leuchtenden Acrylfarben. Manche scheinen miteinander zu korrespondieren und wirken doch wie Schollen, zwischen denen der Besucher seinen Weg finden muss. Dass der Betrachter in Bewegung gesetzt wird und diese Bewegung selber auch wahrnimmt, ist ein wichtiges Anliegen dieser Ausstellung.
Tilo Schulz: "Die ganze Ausstellung ist darauf aufgebaut, sich zu bewegen: durch Bilder und Zellen und unter Seilen hinweg. Man läuft über einen Fußboden, der sich selber auch bewegt. Und das Ganze hat mit Hannover zu tun, mit dem Barockgarten von Herrenhausen. Da ist ja auch die Bewegung als Erkenntnisgewinn angelegt. Und das ist in der Ausstellung ähnlich, wobei hier Erkenntnis weit gefasst ist: Das geht über Haptik, das Sperren, das Weiterlaufen, das Geführtwerden."
Schallschluckende Räume und eine unwirkliche Enge
Der Weg führt bald zu einem mit Stoff verkleideten, runden, fast saalhohen Bau, der unbehaglich wirkt, gerade weil man ihn nicht sofort einschätzen kann. Innen wird der Schall bedrohlich geschluckt. Durch einen kleinen Ausgang geht es in einen weiteren, ebenso hohen, ebenfalls mit Cord ausgestatteten zylindrischen Bau. Hier also muss man hindurch:
Tilo Schulz: "Grundsätzlich ist es eine Mischung aus einer Schleuse und einer Zelle: zwei Dinge, die sich eigentlich widersprechen. Eine Schleuse ist etwas, wo man hindurchgeht, auf der einen Seite hinein und auf der anderen wieder hinaus. Eine Zelle ist im schlimmsten Fall ein ‚Dead End', wo man nicht wieder hinauskommt. Und für diese Idee der Zelle habe ich mir verschiedene Dinge in den letzten beiden Jahren angeschaut, unter anderem Berlin-Hohenschönhausen, die Stasi-Zentrale, in der sehr viele Folteropfer gesessen haben. Bei den Isolationszellen ging es nicht darum, dass die Leute nicht hinausschreien konnten, sondern darum, dass keine Geräusche hineinkamen. Und das war die schlimmste Folter für diese Menschen."
Wer eben noch auf dem Ausstellungs-Parcours, der "Umlaufbahn", eine unwirkliche Enge gespürt hat, läuft beim Verlassen der überdimensionierten Zelle in einen gähnend leeren Saal, der weit hinten nur von einem einzigen Objekt notdürftig bespielt wird. Es ist der lang gestreckte Oberlichtsaal, der in der großartigen Raumfolge schon seit Jahrzehnten für jeden Künstler die größte Herausforderung darstellt. So leer hat man ihn selten gesehen. Kathleen Rahn, die neue Direktorin des hannoverschen Kunstvereins:
"Für mich ist das keine Irritation, sondern Ausdruck von Freiheit – dem Wichtigsten in der Kunst: der Freiheit des Denkens und Handelns. Hier geht es um einen Freiraum, der genauso bedeutend ist wie der gefüllte Raum. Es ist eine Leerstelle, eine 'Pause' – so wichtig wie zuvor der Klimax in der Zelle, wo es physisch fast schon unangenehm wird. Es sind so verschiedene Kräfte in dieser Ausstellung zu spüren."
Raumerfahrungen sollen politische Dimension tragen
Enge und Leere, mit Gewichten gespannte Seile, unter denen man sich hinwegducken muss und Linoleumplatten, die sich unter den Schritten leicht bewegen – die Raumerfahrungen, die der Besucher hier sammeln kann, haben für den Künstler eine politische Dimension. Es wird am Ende noch einmal deutlich, denn der letzte Raum ist beiderseitig durch Barrieren versperrt. Der noch mögliche Blick fällt auf bemalte Holzsäulen, auf die sogenannten "Pipes". Eine Grenze verhindert also ein harmonisches Ende, der Rundgang wird abgebrochen, der Gast muss den ganzen Weg zurück, noch einmal durch die Zylinder-Bauten und zwischen den Bilder-Schollen hindurch.
Der 1972 in Leipzig geborene und auch in der DDR aufgewachsene Tilo Schulz hat immer wieder die Erfahrungen aus zwei Systemen in seine Objekte und Installationen einfließen lassen: Früher waren es vor allem die kunstideologischen Doktrinen und ästhetischen Richtungen des Westens und des Ostens, die ihn interessierten. Sie spielen hier keine dominierende Rolle mehr, seine Installationskunst ist abstrakter geworden. Es fehlen auch solche Begriffe wie "Cold War", die immer mal in seine Werke integriert waren.
Tilo Schulz: "Hier steckt es so nicht drin. Natürlich spielen Themen wie Grenzen, Grenzüberschreitungen und Barrieren eine Rolle. Aber die sind ja nicht auf einen bestimmten Zeitraum der Menschheitsgeschichte beschränkt. Es ist etwas, was auch heute ganz aktuell ist."
Diese sich an einzelnen Punkten markant verdichtende, dann wieder recht unspektakulär daherkommende, von Ute Stuffer kuratierte Schau lebt ganz von der Bereitschaft des Besuchers, sich auf die Raumerfahrung einzulassen und dabei soziale Fantasie zu entwickeln, eine spannende Versuchsanordnung. Vor ein paar Wochen erst hat die Amtszeit der neuen Direktorin des hannoverschen Kunstvereins begonnen. Sie schätzt diese aus Bürgerbewusstsein entstandenen Einrichtungen, die mit den Künstlern eng zusammenarbeiten und ihnen, wie jetzt wieder, ein anregendes Experimentierfeld bieten.
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