Kunst und Revolte

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 04.03.2012
In Berlin setzt sich die Veranstaltungsreihe "Kunst und Revolte" mit den Umbrüchen in der arabischen Gesellschaft auseinander. Noch bis zum 6. März zeigen das Instituto Cervantes und die Akademie der Künste Filme arabischer Regisseurinnen, Theatervorstellungen und Lesungen.
In ihrem Dokumentarfilm "Ni Allah, ni Maître" (Weder Allah noch Herrscher) setzt sich die tunesische Regisseurin Nadia El Fani mit der Rolle des Islams in ihrem Heimatland auseinander. Der Fastenmonat Ramadan wird für sie zum Symbol einer staatlich verordneten Frömmelei und gesellschaftlicher Doppelmoral. Dann, in der Revolte gegen das verhasste Regime werden aber auch schon die tiefen Abgründe zwischen islamistischen Gruppen und den Vertretern einer Trennung von Staat und Religion deutlich:

"Erst jetzt haben wir die Freiheit errungen, die Zukunft unseres Landes selbst zu planen. Haben wir jetzt auch den festen Willen uns an die Spitze der Entwicklung zu setzen und eine laizistische Verfassung zu fordern?"

Die Revolte und den Sturz des Ben Ali-Regimes drehte Nadia El Fani ganz am Ende ihres Projektes.

Acht arabische Regisseurinnen zeigen in Berlin Filme, die fast alle vor den Unruhen und Umbrüchen entstanden sind. So soll auf eine Kontinuität des Widerstandes, eine Kontinuität der Arbeit arabischer Filmemacherinnen hingewiesen werden, jenseits der Tagesaktualität und journalistischer Schnellschüsse, sagt die 39-jährige Regisseurin Amal Ramsis, die die Filmreihe zusammen gestellt hat:

"Es sind in der letzten Zeit sehr schnell viele Filme entstanden, ich denke, weil es einen Markt dafür gibt. Alle Festivals und Fernsehkanäle wollen plötzlich die neusten Bilder aus Ägypten sehen, und so entstehen hastig und eilig viele Dokumentationen. Ich glaube, zu einer wirklichen Analyse ist es noch zu früh, oft wirken die Filme, die als direkte Reaktion entstanden sind noch sehr unreif."

In den acht Filmen der Reihe zeigen sich ganz unterschiedliche Wirklichkeiten arabischer Frauen. Vom Kampf gegen religiöse Gängelung in Tunesien, über die mit Animationsfilm kombinierten Dokumentarbilder palästinensischer Flüchtlingsfrauen bis hin zur Adaption einer Kurzgeschichte des italienischen Schriftstellers Alberto Moravia.

Amal Ramsis hat sich selbst in ihrem Dokumentarfilm "Forbidden" über Monate mit den täglichen Verboten und Einschränkungen des Alltags in den letzten Wochen des Mubarak-Regimes auseinandergesetzt. Fast zum Ende der Dreharbeiten wurde sie von den Massenprotesten überrascht und ließ ihren Film hoffnungsvoll ausklingen - mit dem Sieg der Protestbewegung über das Regime:

"Ein Jahr später können wir leider sagen, dass sich nichts geändert hat. Ich würde meinen Film heute wieder genau so machen wie vor einem Jahr, würde die gleiche Tabus und Verbote zeigen. Nur das optimistische Ende würde ich weglassen. Eigentlich wurden nur einige alte Gesichter durch neue ausgetauscht."

Auf den arabischen Frühling folgte bei vielen Künstlern Ernüchterung. Johannes Odenthal, der Programmbeauftragte der Akademie der Künste, sieht die Beziehung zwischen künstlerischen Engagement und politischer Entwicklung aber als einen offenen Prozess, bei dem die künstlerische Gesellschaftskritik mehr leistet als eine reine Begleitung tagespolitischer Ereignisse.

"Das sind alles Menschen, die in diesem Prozess sind, die teilweise schwer damit zu kämpfen haben, dass ihnen die Revolution zuerst einmal genommen wurde. Die Wahlen zeigen ja, dass zunächst einmal eine Art von konservativem 'flash back' zu sehen ist und das sind Prozesse durch die man sozusagen hindurch muss, also von daher würde ich sagen, dass alle diese Künstler nicht resümieren, oder diese Revolte als etwas abgeschlossenes zum Ausdruck bringen, sondern dass sie in diesem Prozess eine Position einnehmen müssen, einen Kommentar machen, der morgen schon wieder anders aussehen muss und aussehen wird."

In einem begleitenden Seminar "Revolte und Umbruch in Nordafrika. Bestandsaufnahme und Perspektiven" ging es einerseits um eine Einschätzung der politischen Entwicklung in den einzelnen arabischen Ländern, von den Wahlen in Ägypten und Tunesien bis zum Krieg in Syrien. Es ging aber auch um oft sehr vereinfachende Darstellungen in europäischen Medien. Die Politikwissenschaftlerin Dina Fakoussa-Behrens forderte, politische Realitäten anzuerkennen und etwa die Wahlsieger nicht mehr als "islamistisch" zu diskreditieren:

"Ich habe auch meine Bedenken, dass jetzt Islamisten, jetzt benutze ich selber dieses Wort, ich habe auch Bedenken, dass diese Kräfte an der Macht sind, aber es ist einfach, jetzt noch einmal zurück, wie Europa oder der Westen das sieht: Man erwartet, dass sich die Dinge da entwickeln wie hier und ich glaube, dass ist einfach der ganz große Fehler."

Deutlich wurde in den ersten Tagen der Veranstaltung, dass künstlerisches Engagement und politische Entwicklung auseinanderdriften.

"Kunst und Revolte" hinterfragt die allzu einfachen Bilder vom demokratischen Wandel in der arabischen Welt, und macht eine komplexe und widersprüchliche Wirklichkeit hinter dem Medienetikett "Arabischer Frühling" sichtbar.

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