Kunst und Konflikte

Aufklären, verschärfen, provozieren - politisches Theater heute

Szene aus "Fear" an der Berliner Schaubühne
Szene aus "Fear" von Falk Richter an der Berliner Schaubühne: Pegida und Co. im Originalton. © imago / DRAMA-berlin.de
Von Thomas Klug · 18.01.2016
Was am Theater passiert, taugt plötzlich wieder zur Aufregung. Politik und Ideologien finden in aktuellen Bühnenproduktionen ihren Widerhall. Und Theatermacher beteiligen sich am Diskurs. Das gefällt nicht allen - ist aber spannend. Ein Feature.
Hannover, am Steintorplatz. Pegida und AfD demonstrieren hier manchmal. Und auch etwas anderes findet hier statt: Die Demo der Verwirrten. Die Teilnehmer überraschen mit interessanten Plakaten:
"Suchst du noch? Ich bin verwirrt. Wo ist das Wir? Wir haben versucht, immer offene Sätze zu haben. Es war tatsächlich auch ein großer Test, dass man nicht in eine Position gehört mit irgendwelchen Sätzen, das gelingt ja ziemlich schnell."
Nicht jeder, der zufällig vorbeikommt erkennt, dass er zum Teil einer Inszenierung wird - ein Kunstprojekt – veranstaltet vom Theater an der Glocksee.
"Wir haben da eine Aktion gemacht zusammen mit unserem Publikum und freiwilligen Helfern, eine relativ inhaltslose Demo dort zu veranstalten mit unkonkreten Schildern und immer mehr Teilnehmern, aber ohne eine von außen zuzuordnende politische Richtung, sondern tatsächlich ein Bild entstehen zu lassen. Das war sehr spannend, darüber mit den Passanten ins Gespräch zu kommen. Manche reagierten sehr heftig, manche haben sich sehr gefreut und wollten sofort mitmachen. Allein, dass dieses Bild da kreiert wurde, hat viel ausgelöst genau an diesem Platz."
Jonas Vietzke, künstlerischer Leiter und Schauspieler des Theaters an der Glocksee, einem freien Theater.
Das Theater mischt sich ein – ins Leben, in die Politik. Theater ist Einmischung – das ist nicht neu. Aber es schien irgendwie in Vergessenheit geraten. Statt Neuem gab es Tschechow in ungezählten Variationen, immer wieder Tschechow. Oder Goethes Clavigo. Und jetzt, wo sich das Theater endlich einmischt, sei es auf der Straße oder auf der Bühne, jetzt ist es auch wieder nicht recht.
Albert Bassermann / Der Raub der Sabinerinnen: "Schmierentheater sagt der von meiner Bühne. Ha. Wissen Sie denn überhaupt, was eine Schmiere ist? Ach, Sie, Sie."
Das Theater kann es dem Publikum nicht recht machen. Muss es auch nicht.
Erster Akt, in dem meist die reden, die Theater machen
Es gibt ein Missverständnis. Eines, das so alt ist, wie das Theater. Die Bühne ist ein Raum der Kunst. Was auf der Bühne geschieht, bereichert das Leben, interpretiert es, spitzt es zu, spiegelt es. Was auf der Bühne passiert, provoziert, regt an, spottet, hinterfragt. Es ist Theater für das Leben. Das Leben selbst ist es nicht. Aber manchmal ist es verdammt nah dran. Das kann irritieren. Theater darf irritieren.
Werner Kraus / Faust I: "Oh, glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen. Was man nicht weiß, das eben brauchte man und was man weiß, kann man nicht brauchen."
Langhoff: "Ich glaube, es gibt durchaus Widerstände, die immer mehr überwunden werden. Es gibt Widerstände in der Kunstproduktion, in der Theaterproduktion selbst, wo es durchaus Kollegen gibt, die sagen: Nein, unser Auftrag ist nicht, uns mit der Realität und Aktualität zu beschäftigen. Unser Auftrag ist, das kulturelle Erbe zu bewahren und fortzuführen. Das ist eine Haltung."
Tilla Durieux / Elektra: "Es gibt Bräuche. Es muss für alles richtige Bräuche geben. Wie man ein Wort und einen Satz ausspricht, darauf kommt vieles an. Auch auf die Stunde. Und ob man satt ist oder nüchtern."
Haug: "Eine Aufgabe des Theaters ist es durchaus, politisch zu sein. Es gibt unterschiedliche Projekte, die das dezidierter sind, also nicht nur bei uns, sondern generell. Es ist immer die Frage, hat man eine politische Aussage, die man durch ein Theaterstück untermauern möchte oder ausstellen möchte."
Traugott Buhre / Der Theatermacher: "Wenn wir ehrlich sind, ist das Theater an sich eine Absurdität. Aber wenn wir ehrlich sind, können wir kein Theater machen. Weder können wir, wenn wir ehrlich sind, weder ein Theaterstück schreiben noch ein Theaterstück spielen. Wenn wir ehrlich sind, können wir überhaupt nichts mehr tun, außer uns umbringen."
Mumot: "Man hat das Gefühl, dass sich das Theater sehr reinziehen lässt, in eine ideologischere Zeit, in die wir wieder hineingeraten, nachdem so viele Jahre lang der ironische Abstand gepflegt wurde, ist es jetzt so, dass das Theater sehr eindeutig Stellung bezieht, politisch, in sehr vielen Projekten, Inszenierungen, auch mit den Konzepten, die da entworfen werden. Damit zieht es sich auch die Feindschaft bestimmten Gruppierungen zu und auch bestimmter politischer Aktivisten, auf allen Seiten kann das passieren und das ist das, was wir gerade erleben."
Ensemble Deutsches Theater / Germania Stücke: "Führerbunker. Hitler erstarrt hinter seinen Posen. Eine Glocke schlägt Mitternacht. Hitler bewegt sich. Gähnt. Macht ein paar Schritte. Probiert seine Posen. Trinkt aus einem Kanister Benzin. Usw. Usw. Usw. Hitler."
Zweiter Akt, der als eine Trauerrede auf die ungenutzten Möglichkeiten des Theaters verstanden werden kann
Die Theaterskandale des letzten Jahrzehnts waren eher so lala: Einmal hat ein Schauspieler einem Theaterkritiker ein Notizbuch aus der Hand gerissen. Und einmal hat ein Schauspieler einen Zuschauer verfolgt, weil der statt zu klatschen, buh gerufen hatte. Ja, kann man machen, aber ist das für irgendetwas wichtig, taugt es für mehr als eine nette, kleine Theaterschnurre?
Es gab einmal Rolf Hochhuth und sein Stück "Der Stellvertreter". Es gab Peter Weiß "Die Ermittlung". Es gab Christoph Schlingensief, der herrschende Verhältnisse in Frage stellte, der manchmal als Moralist provozierte und manchmal als großes Kind. Vorbei. Es folgte Theater-Routine, die außerhalb des Theaters kaum Widerhall fand. Es schien, als würde das Theater die Welt um sich herum nur durch ironische Distanz wahrnehmen. Vielleicht war es ein Stilmittel, um sich gegen den Optimismus allenthalben zu wehren, um gegen Fantasien des immerwährenden Wachstums anzustinken. Und vielleicht konnte Ironie gegen diejenigen helfen, die glauben, jedes Detail eines Lebens noch effizienter gestalten zu müssen. Als würde jedes einzelne Leben an der Börse gehandelt und müsste dem Markt gerecht werden. Der Wahnsinn der Realität fordert die Ironie geradezu heraus. Doch egal ob Wahnsinn oder Ironie, beides kann Überdruss hervorrufen.
Langhoff: "Ich glaube nicht, dass es von ungefähr ist, dass politisches Theater, das zum Teil verächtlich besprochen wurde in den Feuilletons, kann ich mich erinnern durchaus, dass nicht nur in den Feuilletons, sondern auch in den Intendanzen auf einmal wieder so genannt wird, so konzipiert oder gedacht wird. Bei der letzten Intendantentagung habe ich mir sagen lassen, hat der Vorsitzende des Deutschen Bühnenvereins aufgerufen zu politischem Theater im Sinne von auch einer Relevanz, die die Theater wieder brauchen, um die öffentlichen Mittel zu rechtfertigen."
Shermin Langhoff, Intendantin des Maxim Gorki Theaters: "Theater ist seinem öffentlichen Auftrag nicht wirklich immer gerecht geworden."
Shermin Langhoff, Intendantin des Maxim Gorki Theaters: "Theater ist seinem öffentlichen Auftrag nicht wirklich immer gerecht geworden."© picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Shermin Langhoff, Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin. Theater darf viele Ansätze haben. Aber politisch? Natürlich ist Theater politisch, sagt Shermin Langhoff:
Auf dem Spielplan des Gorki-Theaters stehen Sybille Berg und Heiner Müller, Hans Fallada und William Shakespeare. Dazwischen Inszenierungen wie "In unserem Namen", ein Stück, das Elfriede Jelineks Text "Die Schutzbefohlenen" mit Bundestagsprotokollen und Lebensgeschichten von Flüchtlingen zusammenbringt.
Langhoff: "Das Theater muss sich erstmal den Vorwurf gefallen lassen, diese klare Situation, die ja schon ein paar Tage länger klar ist, also der Krieg in Syrien ist kein neuer Krieg, die Menschenrechtsverletzungen dort sind keine neuen, die Genoizide sind keine neuen. Und es waren immer wenige Künstler, wenige Künstlerinnen, zum Beispiel wie Milo Rau, zum Beispiel das Zentrum für politische Schönheit, zum Beispiel wie seinerzeit Christoph Schlingensief, die wirklich radikaler mit diesen Fragenstellungen umgegangen sind und politische Interventionen machten. Das muss man wirklich sagen, dass diese Beschäftigung viel zu lange nicht stattgefunden hat, dass das eine ganz klare Lücke ist und dass da Theater seinem öffentlichen Auftrag nicht wirklich immer gerecht geworden ist."
Wenn das Theater dabei ist, anzuregen und zu irritieren, dann ist es gut, wenn es das Leben und die Gesellschaft in Länge und Breite seziert. Dann darf es poetisch sein, gar versponnen und verspielt, darf sich aber auch mal ganz konkret den Alltag zuwenden. André Mumot, Theater-Kritiker und Moderator beim Deutschlandradio:
"Das ist auch die Aufgabe, die sich das Theater in den letzten Jahren gestellt hat aus diesem Elfenbeinturm wirklich rauszukommen, was man ja z.B. am Maxim-Gorki-Theater in Berlin sehen kann, versucht, Teile der Gesellschaft mit einzubeziehen, die damit bislang wenig zu tun hatten, also das postmigrantische Theater, was gespielt wird, überhaupt der Versuch, diejenigen auf die Bühne zu bringen, die man bislang nicht gehört hat und auch diejenigen sprechen zu lassen, nicht nur über sie zu sprechen, sondern sie selbst zum Sprechen zu bringen. Das ist sicherlich eine der deutlichsten politischen Tendenzen der letzten Zeit auf dem Theater, das man sagt, man wollte nicht nur von weißen Autoren, männlichen Perspektiven etwas hören, sondern wir wollen auch diejenigen zu Worte kommen lassen, die bisher im Theater wenig Chancen hatten."
Dritter Akt, der sich mit der Frage befasst, warum Theater mehr ist, als das deutliche Aufsagen schöner Texte
Das Theater verlässt seine Bretter, um sich einzumischen. Oder es holt sich die Wirklichkeit auf eben jene Bretter, dann wenn Obdachlose oder Flüchtlinge auf die Bühnen gehen, um ihre Lebensgeschichten zu erzählen: Ungefiltert, direkt aus dem Leben, authentisch. Dann ist Theater ein Ort mehr der ungeschliffenen Wirklichkeit als der dramatisierenden Kunst. Ein scheinbarer Konflikt tut sich auf: Echtes Leben gegen die Abbildung von Leben. Theatertradition gegen konkretes Leben.
Helgard Haug ist Regisseurin und Autorin bei der Theatergruppe Rimini-Protokoll, einer künstlerischen Neu-Erfindung des Theaters. Aufführungen finden auf Bühnen, aber auch im öffentlichen Raum statt. Und Zuschauer sind Teil der Inszenierung. So werden komplexe Themen erleb- und verstehbar gemacht – zum Beispiel, wenn die Weltklimakonferenz mit ihren diplomatischen Herausforderungen im Hamburger Schauspielhaus nachgestellt oder wenn eine Auseinandersetzung mit Hitlers "Mein Kampf" geführt wird.
Haug: "Meine These wäre, dass das nicht erst jetzt, erst kürzlich angefangen hat. Eine Suche nach neuen Form, des Begreifens, dass man wieder direkter, gesellschaftliche, politische Themen verhandeln muss auf der Bühne, dass es seit zehn Jahren so langsam anfängt, wieder ins Bewusstsein zu rücken und das Theater unterschiedlich schnell darauf reagiert haben. Aber die freie Szene, würde ich mal sagen, das war immer ein Grund, warum man in der freien Szene gearbeitet hat, weil man da schneller und direkter umsetzen konnte. Kann sein, dass sich das jetzt intensiviert, dass Theater anders in die Verantwortung genommen werden müssen."
Das Theater kann konkret sein, aktuell, direkt, zeitbezogen. Zum Beispiel Falk Richter und sein Stück "Fear", das er an der Berliner Schaubühne selbst inszenierte. Es ist konkret und es ist doch Kunst. Falk Richter lässt seine Figuren Namen nennen, er zeigt, was da in der Gesellschaft herumdümpelt – und wie die Gesellschaft damit umgeht. Ratlos. Diejenigen, um die es geht, reagieren nicht gelassen, sondern inszenieren ihrerseits einen Aufschrei: Es gibt ein Gerichtsverfahren; Protestmails und groteske Anschuldigungen. Der Nebeneffekt: Das Theater findet sich plötzlich nicht nur im Feuilleton wieder, sondern im Politikteil der Tageszeitungen. Es wird gegen Aufführungen protestiert. In Berlin wird z.B. die Schaubühne bedroht, weil dort das Stück "Fear" zu sehen ist.
Vierter Akt, in dem sich die "Beschützer des Abendlandes" auf der Bühne wiederfinden
Die Retter des Abendlandes nennen sich Pegida, AfD oder "Demo für alle"– eine obskure Veranstaltung im Süden der Republik, auf der gegen jede Form von Aufklärung gehetzt werden kann.
"Demo für alle" ist eine Demo gegen alle, die nicht mit der Ideologie der Organisatoren übereinstimmen. Alles, was nicht dem Schema "Vater-Mutter-Kind" entspricht, ist nicht normal und gehört mindestens zum Arzt. Regisseur und Autor Falk Richter setzt sich mit den Protagonisten von PEGIDA, AfD und "Demo für alle" auseinander.
Richter: "Was kann das Theater machen, es kann aufklären, es kann erstmal zeigen, so ist die Lage, es kann das auch verschärfen, es kann auch provozieren, um überhaupt eine Haltung einzufordern von den Zuschauern, verhaltet euch mal dazu, was da gerade passiert. Es kann auch ganz andere Sachen machen: Es kann mit Flüchtlingen arbeiten, es kann auch mit Pegida-Anhängern eine Inszenierung machen. Und sagen, gut, wir setzen uns mal im Dialog mit denen auseinander."
Kuby: "Homo-, Bi-Trans, Intersexualität plus, plus, plus. Sonderbar. Chefideologin des Genderismus ist eine Amerikanerin, Lesbe, Jüdin, spricht einen Kauderwelsch, den niemand versteht, Gender-Trouble. Darin wird gefordert, Kindern ab null bis vier Jahren Masturbation beizubringen, Kindern Masturbation beizubringen. Sex, Sex und nochmals Sex, aber keine Kinder."
[...]*)
Falk Richter setzt die stärkste Waffe gegen jene ein, die Ängste schüren und Hass predigen. Er zitiert sie.
Richter: "Bei Gabriele Kuby war es ja so, dass ich sie extra im Original habe sprechen lassen, es ist ihre Stimme aus einer Rede. Da hört man zum Beispiel, wenn sie über die Philosophin Judith Butler spricht, dass sie immer wieder betont, dass sie Jüdin und Lesbe ist. Und da versucht Gabriele Kuby ganz eindeutig, mit homophoben und antisemitischen Ressentiments zu spielen und die bei ihren Zuhörern wachzurufen und zu mobilisieren, weil die Information, dass Judith Butler Jüdin ist, ist total unbedeutend eigentlich."
Gabriele Kuby, Publizistin und Fundamentalistin, gern gesehener Talk-Show-Gast, zum Beispiel bei Bibel-TV. Kubys Haltung ist einfach zu beschreiben: Sie ist dagegen - gegen Kinderkrippen, gegen Homosexualität, gegen Sexualaufklärung, gegen Verhütung und gegen Harry Potter. Und sie ist für die Einteilung menschlicher Biografien in die Kategorien normal – und nicht normal.
Richter: "Gabriele Kuby ist ein ganz besonderes Phänomen. Die ist Hardlinerin. Die ist sehr nah dran, an dem, was man, glaube ich, eine Klerikalfaschistin nennen kann. Und die fühlt sich auch richtig bedroht, sie hat das Gefühl, die Deutschen sterben aus. Und das liegt daran, dass alle homosexualisiert werden, die hier leben. Das erstaunt mich, dass sie noch eingeladen wird in Talkshows."
Theater tranchiert das Leben oder spitzt zu, um zu verdeutlichen. Doch wie soll Theater realen Wahnsinn zuspitzen? Es gibt keine Steigerung von Realsatire. Das Theater hat ein Problem.
Richter: "Das ist auch der Grund, warum es in meinem Stück 'Fear' oftmals in Richtung Persiflage oder Satire geht, weil man sich gar nicht richtig ernsthaft damit auseinandersetzen kann, weil das schon Realsatire ist."
Fünfter Akt, in dem darauf gehofft wird, dass Theater die Welt verändern kann – ein wenig
Was am Theater passiert, taugt plötzlich wieder zur Aufregung. War das Theater nicht eben nur Kunstraum und fast gar nicht mehr politisch?
Der Theaterkritiker André Mumot: "Es ist spannend, was da passiert und auch erstaunlich, dass das Theater es schafft, wieder für so viel Wirbel zu sorgen. Natürlich ist das wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber zumindest kann das Theater für sich selbst sagen, wir legen uns nicht auf die faule Haut und wir ziehen uns nicht zurück auf unsere schöne Kunst, sondern wir beteiligen uns an diesem Diskurs, was manchmal auch, das hat Thalheimer auch angemahnt, dem Theater was wegnimmt, weil die eigentlichen künstlerischen Projekte in den Hintergrund geraten und das politische Engagement in den Mittelpunkt rührt."
In Hamburg verlässt ein Regisseur ein Theater, weil er dessen Hilfe für Flüchtlinge nicht mehr ertragen kann. In Berlin erhält ein Dramatiker Morddrohungen, weil er AfD-Politiker kritisiert. Ein Theater wird aufgefordert, ein Stück abzusetzen. Eine Politikerin behauptet, im Theater werde zu Gewalt aufgerufen. Menschen echauffieren sich über einen Theaterabend, den sie gar nicht gesehen haben.
Mumot: "Ich glaube, das da auch viel Wirbel und Lärm gemacht wird von denjenigen, die einfach von außen sagen: Wir wollen nicht, dass so etwas grundsätzlich stattfindet. Wir möchten nicht, dass über uns so ein Theaterstück gemacht wird, dass wir zum Thema gemacht werden auf so einer Bühne."
Epilog, der zeigen soll, dass Hass hässlich macht und zu schnellen Ermüdungserscheinungen führt
Die Reden der Pegida-Einpeitscher, und der "Demo für alle"-Organisatoren sind Anschläge auf den Intellekt denkender Menschen. Sie spielen mit tatsächlichen und geschürten Ängsten. Sie bieten scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme. Und sie schaffen Sündenböcke.
Aus "Fear" von Falk Richter: "Eigentlich wollten wir diesen Abend ja 'Hässliche, hassende Frauen' nennen, aber irgendwann haben wir gedacht, da kommt ja keiner, weil, wer geht da schon hin. Aber das hat mich einfach interessiert, weil hässliche Männer haben bei den Nazis ja Tradition, da haben wir uns gefragt, woher kommen all diese hässlichen hassenden Frauen, die da an vorderster Rechtsnationaler Front kämpfen. Woher kommen die? Woher kommt all der Hass."
Falk Richter stellt Fragen. Antworten kann auch er nicht geben. Das aber mindert den Wert seiner Arbeit nicht.
Theaterkritiker André Mumot: "Ich glaube auch, dass die Polemik des Abends manchmal sehr weit geht, aber ich finde es mutig und auch richtig, einen polemischen Abend über Polemiker zu machen, über Leute zu machen, die mit unglaublicher Aggressivität losgehen und ihre Hass-Botschaften verbreiten. Und der Abend tut dasselbe, er dreht den Spieß um. Das ist sicherlich auch manchmal etwas maßlos und da kann man sich darüber streiten, ob das einen guten Geschmack hat in jedem einzelnen Moment, aber die grundsätzliche Haltung finde ich sehr imponierend. Ich habe das als einen mutigen, künstlerisch nicht unbedingt gelungenen Abend empfunden, der aber jetzt auch zeigt, dass er seine Berechtigung hat und der Diskussionen anstößt, die wichtig sind, auch fürs Theater wichtig sind."
Im Theater an der Glocksee in Hannover steht demnächst ein Gedankenexperiment auf dem Spielplan. Das Publikum wird dabei zum Akteur – und die Wirklichkeit umgedreht: Was ist eigentlich, wenn es die Europäer sind, die fliehen müssen, wie denken Menschen dann über Flucht?
Jonas Vietzke vom Theater an der Glocksee: "Das Stück heißt 'Krieg – stell dir vor, er wäre hier' von Janne Teller. Zwar hat sie es speziell für Jugendliche geschrieben, aber dadurch hat sie eine Einfachheit in ihrem Text, der tatsächlich für alle Altersklassen sehr gut funktioniert. Das haben wir vor zwei Jahren bei uns umgesetzt, quasi als Publikumswanderung auch. Der eine Teil war eher Hörspiel, wo das Publikum in so einem kleinen Gang saß im Dunkeln. Da ging es durch einen Stoffschlauch, wurden sie geführt, in einen anderen Teil der Bühne, in dem dann eine Tonne Sand auslag auf dem Boden, es war knallhell. Wenn man dann ins Flüchtlingscamp kommt. Was dann passiert, war sehr spannend, weil wir das Publikum auch allein gelassen haben. Wir haben Regel versucht zu erfinden, die man versuchen man möchte, zu verstehen, die aber nicht ganz verstanden werden können, um dadurch dass Gefühl dieser Fremdheit zu kreieren, also einer Orientierungslosigkeit und einer Hilflosigkeit auch – das zu erzeugen beim Publikum, um den Weg eines Flüchtlings quasi oder eines westlichen Flüchtlings in dieser Situation tatsächlich konkret erfahrbar und spürbar zu machen."
Wenn Bretter die Welt bedeuten, ist dann weltverändernd, was sich auf ihnen abspielt? Naja. Das wäre wohl zu viel verlangt. Aber jede Kunst braucht Konflikte. Davon gibt es reichlich. Das Theater kann besser werden. Hauptsache aber, es gibt Theater. Falk Richter jedenfalls hat sich nicht einschüchtern lassen.
Richter: "Das ist wichtig, dass man weiter arbeitet ohne Angst, dass man diese ganzen Drohungen abwehrt und auch sagt, immer wieder sagt, Leute, das ist durch die Freiheit der Kunst gedeckt und geschützt, was da stattfindet. Das ist ein Kunstraum, in dem das stattfindet. Das müsst ihr aushalten. Wir halten euch ja auch aus."
*) Auf Grund einer rechtlichen Beanstandung wurde an dieser Stelle eine Textpassage entfernt.
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