Kunst-Skandal

Die Tränen des Herrn Achenbach

Kunstberater Helge Achenbach am 15.12.2014 in Essen
Kunstberater Helge Achenbach vor Prozessbeginn am 15.12.2014 in Essen. © picture alliance / dpa / Foto: Roland Weihrauch
Von Maximilian Steinbeis · 15.12.2014
Reumütig hat sich Helge Achenbach im Prozess in Essen gezeigt. Der Kunstberater soll Aldi-Erben um Millionen Euro betrogen haben. Zu seinem Erfolg schreibt die "FAZ", er "nahm seine Kunden mit in eine Welt, die es in Polo- und Golfclubs nicht gab".
Ein weinender Bad Boy in Essen, ein literarisches Hochhaus in Frankfurt, das große Quellen in Wien, und von Berlin fangen wir gar nicht erst an. Schier schwermütig könnte man werden beim Durchwühlen des Blätterhaufens, den der Feuilletonrechen an diesem Tag im deutschsprachigen Raum zusammengefegt hat, fände sich darin nicht doch auch allerhand Funkelndes. Doch der Reihe nach.
In Essen hat im Prozess gegen den Kunstberater Helge Achenbach zum ersten Mal der Angeklagte das Wort ergriffen, der allerhand Industriellenerben um Millionensummen betrogen haben soll.
"Achenbachs Stimme bricht. Er weint,"
lässt sich in der WELT Kristian Frigelj anrühren, und in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG fühlt sich Niklas Maak auf der Suche nach dem Erfolgsrezept des famosen Herrn Achenbach in die Psyche seiner mutmaßlichen Opfer ein:
"In dieser (…) auf ihre Weise kargen Welt des extremen Reichtums muss Achenbach gewirkt haben wie der charmante Bad Boy auf dem Schulhof, der schon raucht und die Typen mit den dicken Motorrädern kennt. Achenbach nahm seine Kunden mit in eine Welt, die es in Polo- und Golfclubs nicht gab: Das Glitzern der VIP-Sammlerlounges, die netten Galeristen mit ihren Parties, die Bässe, Abendkleider aus nepalesischer Spezialseide, so nice to meet you – Wer war das? – Eine Galeristin aus Guatemala. Aha! Und was nehmen die da hinten in der Ecke jetzt für ein Zeug?"
Romane aus der Main-Metropole
Die karge Welt des extremen Reichtums, das ist ein literarischer Ort, was vielleicht der Grund ist, warum zwischen den Bankentürmen von Frankfurt am Main so viele gute Romane gedeihen. Eine Frage, über die in der TAZ Hans-Jost Weyandt nachgrübelt, aus Anlass des Erscheinens der neuen Bücher von Bodo Kirchhof und Wilhelm Genazino – Martin Mosebachs jüngster Frankfurt-Roman kommt auch noch dazu, ist aber schon im letzten Winter erschienen.
"Im Hochhaus, dem städtebaulichen Symbol der Nachkriegsmoderne",
lebt Kirchhofs Protagonist Hinrich im zehnten Stock
"gleichsam auf Augenhöhe mit den so windigen wie klapprigen Bankern, Maklern, Lebedamen"
des Mosebach-Kosmos, und tief unten sieht der TAZ-Rezensent den
"einzelgängerische(n) Erzähler Wilhelm Genazinos durchs städtische Grün zockeln."
In Genazinos Frankfurt,
"von jedem Lokalkolorit befreit, fügen sich Straßen, Parks, Imbisse zu einem geschichtslosen urbanen Gebilde, vom Reißbrettideal zum soziologischen Horrorbild heruntergekommen."
Bei Kirchhof indessen fühlt sich der TAZ-Autor am Ende mitgerissen von dem
"Bild der Gegenwart, das dieser Erzähler, begabt wie kein zweiter, zeichnet, und diese Gegenwart pulsiert, selbst in Frankfurt, selbst in den hochschießenden Denkmälern städtebaulicher Utopien, auch noch im Verfall."
Wiener Dialekt
Ein ganz anderes Pulsieren bedrängt in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG Samuel Herzog, und zwar in Wien, laut Herzog
"zweifellos (…) die Weltkapitale des Quellens. Mehlspeisen, Glühweindunst"
und der örtliche Dialekt:
"Das Wienerische wird ja nicht im engeren Sinne gesprochen, es quillt vielmehr aus den Menschen heraus und hüllt ihre Körper in einen knarrenden, quietschenden, stöhnenden Pullover aus abenteuerlich verstrickten Substantiven, Verben, Adjektiven und Lauten."
Der NZZ-Autor weiß sich zu helfen und flieht in die Kunst:
"Während man auf den Plätzen der Stadt vor lauter Christkindl-Jüngern kaum vorankommt, könnte man problemlos mit Rollschuhen durch die Kunstinstitutionen tanzen – und drohte dabei allenfalls einer vor sich hin dösenden Saalaufsicht über die Füße zu fahren."
Und was gibt es dort nicht alles zu sehen: "Puppenfurz und Nonnenpo", wie die NZZ den Artikel frivol betitelt, und unendlich viel mehr. Nur im Kunsthistorischen Museum, in der Velazquez-Ausstellung, geht es zu wie auf dem Christkindlmarkt. Velazquez‘
"Infantinnen und Prinzen (…) in ihren überaus kostbar gewirkten Roben"
kommen dem NZZ-Autor mit einem Mal wie "Christbaumschmuck" vor. Oder, so fragt er zu guter Letzt und wir fragen es uns auch,
"ist ´Magic Vienna` bereits in uns hinein gequollen, unser Herz längst ein Blunzengröstl, unser Hirn eine Powidlbuchtl? Nun denn: Holleluja!"
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