Kunst

Pflastersteinspiele und Protest-Roboter

Mit einem selbstgebauten Roboter demonstriert im April 2013 die Kampagne gegen Killer Robots gegen den Einsatz tödlicher Roboterwaffen.
Mit einem selbst gebauten Roboter demonstriert im April 2013 die Kampagne gegen Killer Robots gegen den Einsatz tödlicher Roboterwaffen. © AFP / Carl Court
Martin Roth im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 24.07.2014
Aufgeblasene Pflastersteine, Damen-Handtaschen mit Flugblättern und andere kreative Protestformen stehen im Mittelpunkt einer Kunstausstellung in London. Das angesehene Kunstmuseum Victoria & Albert öffnet sich für das, was international auf der Straße geschieht.
Liane von Billerbeck: "Disobedient Objects" heißt eine Ausstellung, die am 26. Juli im Victoria and Albert Museum (V&A) in London eröffnet wird und dann bis zum 1. Februar läuft. Diese "ungehorsamen Objekte", die zeigt dieses Museum, das ja das weltgrößte Museum für Kunst und Design ist - und das finden manche bestimmt bemerkenswert. Denn jetzt hat eine Gruppe junger Ausstellungsmacher Gegenstände gesammelt, die bei sozialen Protesten von den 70er-Jahren an bis heute so mitgeführt wurden, eben solche ungehorsamen Objekte. Martin Roth ist der Direktor des Museums – Herr Roth, ich grüße Sie!
Martin Roth: Tag, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Interessanter Titel, was bekommen wir denn da genau zu sehen?
Roth: Eine Menge an Objekten, die direkt aus Protestbewegungen, Widerstand und sonstigen sozialen Bewegungen kommen, aber die alle mit viel Kreativität, Intuition, Fantasie verbunden sind, und das sehr fantasievolle Design von der Straße verbunden mit Protest.
von Billerbeck: Das war jetzt erst mal die allgemeine Antwort, und konkret, was heißt das, was steht da rum bei Ihnen?
Roth: Also da kommen zwei Dinge zusammen. Das eine ist, dass wir in dieser Ausstellung Objekte zeigen wie zum Beispiel – das ist jetzt wirklich nur rausgegriffen – einen großen aufgeblasenen Pflasterstein, der aussieht wie ein Pflasterstein, aber es ist eine große Plastikfolienadaption eines Pflastersteins, der in Barcelona bei einem Generalstreik von Protestierenden auf die Polizei geworfen wurde. Und die Polizei hatte keine andere Möglichkeit, als diesen großen, fliegenden Pflasterstein wieder zurückzuwerfen, und so hat sich ein nettes Spielchen zwischen Polizei und Demonstranten entwickelt. Sieht auch wirklich ganz bezaubernd aus, muss ich ehrlich sagen.
von Billerbeck: Ja, wunderbar, ich hab mir das Foto davon im Netz bei Ihnen angeguckt.
Roth: Und das ist wirklich eine wunderschöne Szene. Und das andere ist - auch nur als Beispiel - Plastikflaschen halbiert, mit Watte gefüllt und Essig und ums Gesicht gebunden als Gasmasken, die in der Türkei letzten Sommer in diesen Protesten entworfen worden sind, entstanden sind, die man in der Zwischenzeit aber in Venezuela und überall sieht. Es gibt Proteste, sehr künstlerische Proteste, die über viele Jahre entstanden sind, in dem Fall "Tiki Love Truck" genannt gegen die Todesstrafe, und vieles andere mehr.
Also eine Ausstellung, die wirklich Objekte von der Straße, sehr künstlerische Projekte von der Straße aufgesammelt hat. Ich erinnere mich gut daran, als Kollegen von mir in der Wendezeit '89 auf der Straße waren, um Protestplakate zu sammeln, die heute im Museum sind. Nehmen Sie das, das ist sozusagen ein Teil davon. Aber zum anderen geht's auch darum, wie wird heute protestiert. Deshalb sind auch Drohnen, selbst gebastelte Drohnen vorhanden.
"Das, was draußen auf der Straße passiert, hier drin sammeln"
Und gleichzeitig gibt's natürlich so was wie eine Relation zu unserer Sammlung insgesamt. Wir haben hochinteressante Objekte aus der Frühzeit der Anti-Slavery-Debatte, Handtäschchen für Damen, die mit Flugblättern gegen Sklaverei gefüllt worden sind und so weiter und so fort. Also wir haben eine Geschichte, die sie damit verbindet.
von Billerbeck: Trotzdem die Frage: Bei einem Museum für Kunst und Design, da stellt man sich so was Edles vor, ja, also edle Stoffe, edle Bilder, edle Gegenstände, Möbel, so was. Wie passen da soziale Proteste und eine selbst gebastelte Gasmaske oder ein aufgeblasener Pflasterstein in dieses Programm?
Roth: In unserem Haus ging's immer in 160 Jahren um Kreativität, um Erfindung, um Neues. Das ist sozusagen eine Art von – ich weiß auch nicht, wie man's nennen soll – eine Art von DNA in unserem Museum, und eher so was wie eine Doppelhelix – hoffentlich sage ich jetzt nichts Falsches. Wir haben so beides.
Das V&A ist gegründet worden von Prinz Albert, entstanden aus der ersten Weltausstellungsidee heraus, also seiner Idee, und ganz stark beeinflusst – man höre und staune – von Gottfried Semper, dem deutschen Architekten, der nach der 48er-Revolution, wo er als Architekt sehr gute Barrikaden in Dresden gebaut hatte und über Nacht abhauen musste – anders kann man es nicht sagen –, weil er steckbrieflich gesucht wurde. Und nach England kam, sich dort – unglaubliche Geschichte, ganz tolle Geschichte, filmreif – sich mit Prinz Albert, dem Gemahl der Königin, angefreundet hat, engstens angefreundet hat, und die beiden und einige andere dazu waren das, was man heute einen Thinktank nennen würde.
Und die haben brillante Ideen entwickelt. Unter anderem, dass dieses Museum für jeden zur Verfügung stehen muss, dass es so was ist wie immer offen für Leute, die lernen wollen, aber auch Leute, die hier ... für Handwerker, die hier studieren wollen. Und das hat die Geschichte des Museums in 160 Jahren engstens bestimmt. Jemand wie Alexander McQueen, der wirklich zutiefst von der Straße kam, also der Fashion Designer, der zutiefst von der Straße kam, der wirklich ein relativ heftiges Leben hatte, kam als Teenager hierher, um mit unseren Kuratoren zu arbeiten, zu lernen.
Also das Haus steht immer offen für Leute aus dem - nicht nur Leute aus dem kreativen Feld, aber vor allen Dingen - aus dem kreativen Feld, um mehr zu machen, als nur das Museum zu besuchen. Man kann bei uns in den Archiven und in den Sammlungen arbeiten. Und diese Linie wird fortgeführt bis heute. Wir haben jetzt vor einem Jahr begonnen eine sogenannte Rapid Response Collection. Das heißt, wenn irgendwas passiert draußen, außerhalb des Museums, wird es hier reingeholt. So unter anderem jenes berühmte 3D-Gewehr, jenes Gewehr, das in Texas entwickelt worden ist vor anderthalb Jahren.
von Billerbeck: Das erste, was in einem 3D-Drucker zusammengebaut wurde.
Roth: Genau, das man sozusagen ausdrucken kann. Und wir haben die ganzen Unterlagen hierher geholt und so. Also wir versuchen, das, was draußen auf der Straße passiert, auch hier drin zu sammeln, und diese Ausstellung ist ein Teil dieses Gesamtprojektes.
"Das distanzierte, das aristokratische Element nehmen"
von Billerbeck: Das heißt, Sie wollen die Objekte ins Museum holen, aber ich schließe, wenn ich höre, was Sie da so erzählen, dass Sie auch die Debatten von sozialen Bewegungen und vielleicht sogar die Kämpfe ins Haus holen wollen?
Roth: Also die Kämpfe nicht unbedingt, denn wir sind ein Museum und wir halten alle würdige Distanz, also wir sind nicht Partei hier. Aber meine Absicht war es schon, als ich vor drei Jahren kam, so ein wenig das distanzierte, aristokratische Element zu nehmen und wieder mehr - was wir eben auch in der Frühzeit waren - ein Teil von sozialen Debatten. Keine Frage, das ist wirklich Aufgabe des Museums immer gewesen.
von Billerbeck: Nun sind da ja tolle Sachen zu sehen. Aber immer, wenn man so Proteste sieht und auch die Ideen – Sie haben ja einige geschildert –, mit denen da Protest geübt wird, dann wird man manchmal auch den Verdacht nicht los, dass es auch um einen Wettbewerb geht; also um die originellste Protestform, also Protest als Party. Kommt das bei Ihnen auch vor?
Roth: Das Wichtige ist einfach, beides zusammenzubringen, sozusagen die Hochkultur des Designs und der Architektur mit dem, was draußen auf der Straße passiert. Und die Verbindung von beiden, das ist das Schöne daran.
von Billerbeck: Martin Roth war das, Direktor des Victoria and Albert Museums in London, und die Ausstellung "Disobedient Objects", die "ungehorsamen Objekte", ist vom 26. Juli bis zum 15. Februar ebendort in London zu sehen. Herr Roth, ganz herzlichen Dank!
Roth: Ich bedanke mich ganz herzlich! Und kommen Sie nach London, es lohnt sich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Info: Die Ausstellung "Disobedient Objects" ist vom 26.Juli 2014 bis 1. Februar 2015 im Victoria & Albert Museum London zu sehen.

Mehr zum Thema