Kunst oder Gewerbe

Von Axel Schröder · 20.10.2009
Seit Ende August ist wieder Leben im Hamburger Gängeviertel, das lange leer stand. Rund 200 Künstler nutzen die denkmalgeschützten Häuser. Nun hat allerdings der holländische Investor klargemacht, dass er seine eigenen Pläne für das Viertel verwirklichen will.
Der Gegensatz könnte größer nicht sein: links vom Hamburger Valentinskamp – ganz in der Nähe der Binnenalster - entsteht ein steriler, sechsstöckiger Neubau aus Glas und Stahl. Rechts führen kopfsteingepflasterte Durchfahrten ins steinalte Gängeviertel. Erbaut mit dunkelrotem Backstein, große gusseiserne Fenster, ein paar Scheiben haben Risse.

"Das Hamburger Gängeviertel befindet sich in dem Bereich Valentinskamp, Ecke Caffamacherreihe. Es sind zwölf Häuser, die 250 Jahre Baugeschichte abbilden. Zwischen 1650 und ungefähr 1900. Und sie sind sehr eng gestellt, wie man hier in der Schiers-Passage sehen kann."

... und hier leben Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem Hamburgs Arbeiter auf engstem Raum, unter miserablen hygienischen Umständen. Das erklärt René Gabriel, er arbeitet im kleinen improvisierten Büro der Initiative "Komm in die Gänge". Er ist Stadtplaner, Mitte zwanzig, betreut die Ausstellung zur Historie des Viertels.

Die Zukunft als selbstverwaltete Künstlerkolonie, die günstigen Raum für Ateliers bietet, hat nun einen herben Rückschlag erlitten: Der holländische Investor Hanzevast hat eine noch ausstehende Rate in Millionenhöhe doch noch fristgerecht an die Stadt Hamburg überwiesen. Das berichtete Kultursenatorin Karin von Welck in der Landespressekonferenz, sichtlich angespannt:

"Uns hat das alle überrascht. Alle Anzeichen wiesen zunächst einmal in eine andere Richtung. Aber die endgültige Klarheit über die Absichten des Investors wird leider erst da sein, wenn diese zweite Zahlungsfrist abgelaufen ist und wir werden natürlich die Zwischenzeit nutzen, um intensiv über Alternativen für die Künstler uns zu beraten. Und zweitens auch mit dem Investor noch mal ins Gespräch zu kommen."

Auch wenn diese Gespräche bisher in einer, so von Welck, "sehr ernsten Atmosphäre" stattgefunden haben. Eine echte Neuigkeit ist die von der Senatorin genannte zweite Frist: Sie läuft am Montag der kommenden Woche aus und erklärt sich aus dem Umstand, dass das Gängeviertel zwei städtische Eigentümer hat: die Finanzbehörde und die stadteigene Sprinkenhof AG. – Obwohl die Stadt den ausgedehnten Gebäudekomplex in bester Lage seinerzeit an die meistbietenden Investoren Hanzevast verkauft hat, möchte die Stadt – so beteuern es parteiübergreifend Hamburgs Politiker – das Areal nun doch nicht hergeben und die Künstler gewähren lassen. Die nahmen heute Vormittag auch an der Pressekonferenz teil, bleiben skeptisch gegenüber den Versprechungen. Und lehnen die angebotenen Ausweichflächen ab, so Christine Ebeling, eine Sprecherin der Gängeviertel-Initiative:

"Wir werden dann hoffentlich mal einen Termin mit Frau von Welck persönlich abmachen. Wir haben bis jetzt nicht herausfinden können, wie der Wille der Stadt wirklich ist zu diesem Thema. Ich finde, es ist an der Zeit, da auch mal eine klare Stellungnahme zu bekommen. Und wir bestehen darauf, da zu bleiben. Zur Not in Gesprächen mit dem neuen Investor. Ich denke, dass die Stadt da nach wie vor in der Pflicht ist, umzudenken und uns und allen Bürgern an dieser Stelle entgegenzukommen."

Aber die Stadt, betont wiederum die Senatorin, ist an die bestehenden Verträge gebunden. Zahlt der Investor also bis Montag kommender Woche fristgerecht die letzte ausstehende Rate, bleibt der Stadt nur ein Rückkauf des Areals. Ob derartige Verhandlungen bereits laufen, wollte Karin von Welck heute weder bestätigen noch dementieren:

"Auch darüber muss natürlich gesprochen werden."

... dies war das einzige Statement der Senatorin zu einem derartigen Vorgehen. Fragen der anwesenden Künstler aus dem Gängeviertel ließ die Senatorin nicht zu. Die zeigten sich nach der Pressekonferenz enttäuscht, kehrten ins Gängeviertel zurück und erklärten noch einmal, worum es ihnen geht. Der Maler Darko Caramello:

"Wenn die Miete einigermaßen niedrig ist, fällt es einem leichter, frei zu arbeiten. Sonst wird es problematisch, auch mal finanziell unabhängig zu arbeiten. Auch mal was zu malen, was dem Publikum am Anfang vielleicht nicht gefällt. Wo es vielleicht fünf Jahre braucht, um sich daran zu gewöhnen. In der Zwischenzeit muss man aber auch was essen und seine Miete zahlen."

... und deshalb, so Caramello, verlassen viele junge, nicht etablierte Künstler Hamburg in Richtung Berlin. Er steht in einem der vielen kleinen Ausstellungsräume, an der Wand hängen seine Bilder. Einmal ein Meter groß, ein comicartiges Pärchen Arm in Arm, die Augen schwarze Löcher, die Münder zugenäht, lächelnd. Trotz des heutigen Rückschlags bleiben die Künstler im Gängeviertel optimistisch:

Caramello: "Ich glaube, als die Leute hier anfingen, diese Idee zu haben, das hier zu machen, hier diese Besetzung oder Bespielung, wie auch immer man das nennen möchte, durchzuführen – da hat keiner damit gerechnet, dass das länger als fünf Stunden dauert, bis alle auf der Straße sitzen. Das war so ein Traum, der dann aber doch geklappt hat. Und man hat schon viel mehr erreicht, als man sich im ersten Moment erhofft hat. Und nun wird man sehen, was man im zweiten Schritt erreichen kann. Die Zeichen stehen nicht so schlecht."

Draußen im Hof greift sich der Künstler einen Besen, fegt den Asphalt, sorgt für Ordnung. Die ist mittlerweile auch rechtlich hergestellt: Seit Anfang der Woche gestattet die Kulturbehörde die künstlerische Nutzung des Gängeviertels. Spannend wird es wieder am Montag: Dann muss der Investor die zweite Rate überwiesen haben.