Kunst

Gute, hilfsbereite Freunde

Von Adolf Stock · 22.03.2014
Ob es Gott oder Engel gibt, das lässt sich nicht beweisen. Dem Maler Paul Klee war der Glaube an die Engel jedenfalls sehr nah. Sein Leben lang hat er sich mit ihnen auch künstlerisch auseinandergesetzt.
Karin Schick sitzt in der Hamburger Kunsthalle in ihrem Büro und erzählt. Sie lacht gern und kommt schnell ins Schwärmen. Als Leiterin der Abteilung Klassische Moderne hat sie eine Ausstellung über Paul Klees Engel kuratiert:
"Die ersten Engel, das geht bis weit zurück nach Mesopotamien und weiß Gott wohin. Das, was wir dann im Christentum adaptiert haben als Engel, hat ägyptische Konnotationen, und hat auch ganz unterschiedliche körperliche Ausprägungen. Was mir auch nicht so klar war, was aber gerade dann auch gerade für die Engel, die man dann in der modernen Kunst sieht, doch ganz wichtig sind, weil dieser alttestamentarische Engel eigentlich nicht die Flügel hat, sondern interessanterweise sich erst über sein Tun, sein Handeln, sein Sprechen als Engel kenntlich macht."
Unterschiedlichste Engelsflügel
Nicht jeder Engel hat Flügel, und wenn, können sie sehr verschieden sein. Sie sind an ganz unterschiedlichen Körperteilen befestigt, zum Beispiel am Kopf oder auch an den Armen, die dann zu Engelsflügeln wurden.
2008 hat der estnische Komponist Arvo Pärt seine 4. Symphonie dem "Kanon der heiligen Schutzengel"gewidmet.
Engel sind Boten Gottes. Sie vertreiben Adam und Eva aus dem Paradies oder verkünden Christi Geburt. Als Mittler zwischen Gott und den Menschen schweben sie zwischen den Welten und können das Unsichtbare sichtbar machen.
Das Unsichtbare sichtbar machen, diesen Anspruch hatte auch der Maler Paul Klee. 1879 im Kanton Bern geboren, wuchs er in einer protestantischen Familie auf.
Karin Schick: "Es hat ihn sehr interessiert, die Frage nach dem Urgrund aller Dinge, also, wir kennen alle die Darstellungen von Pflanzen, von Vögeln, von Schiffen auch als Übergangsfiguren. Das hat ihn natürlich schon interessiert, was steckt dahinter, was für ein Geist ist in den Dingen? Und ich glaube, so kommt bei Paul Klee die Figur des Engels überhaupt ins Spiel, nicht über die Religion. Er war kein Kirchgänger."
Welt hinter den Dingen
Paul Klee wollte mit seiner Kunst die Welt hinter den Dingen ergründen. Mit ein paar einfachen Strichen zeichnet er seine umfangreiche Engelschar. Es sind eher kleine Blätter, die oft relativ rasch hintereinander entstehen.
Karin Schick: "Seine Frau Lilli sagt, die Blätter fallen nur so zu Boden, das sind auch seriell gezeichnete Engel. Dass diese Engel, obwohl sie kleinformatig sind, monumental wirken, weil sie dieses ganze kleine Blatt komplett füllen. Also, sie füllen bis an die Ränder und wirken dann dadurch immer noch sehr mächtig, ja und umfangend."
"Die meisten Engel von ihm sind pure Umrisszeichnungen, meistens mit einem Bleistift, und da ist keine Binnenzeichnung. Also, die Fläche wird nicht weiter gestaltet, nicht schraffiert, nicht gepunktet, nicht ausgemalt mit Farbe. Es sind ganz einfache, reduzierte aber sehr eindrucksvolle Figuren, die einen eigentlich beeindrucken durch ihre Haltung. Durch den gesenkten Kopf, die erhobenen Arme, das Ausschreiten des Beins oder so eine kleine Schellenglocke, die irgendwo so ironisch hinten am Mantel hängt. Also dieses Spiel mit Einfachheit, auch mit diesem kindlichen Blick, ich glaube, das hat er sich ganz bewusst bewahrt, auch als Strategie des Künstlers bis zu seinem Tod."
Seinen ersten Engel zeichnet Paul Klee mit fünf Jahren. Er steht neben einem Weihnachtsbaum, unter dem die Geschenke liegen.
Karin Schick: "Man sieht eben eine Art Christkind, auch mit so einer Lichterkrone auf dem Kopf, das ist jetzt nicht unbedingt schwedisch in der Tradition, sondern es ist ein beleuchtetes Wesen mit gelben Flügelchen. Und dieses Kind Paul Klee sieht den Engel als Schutzengel und als Überbringer der Geschenke."
Auf der Suche nach Schutz
Besonders in krisenhaften Zeiten sucht Klee Schutz und Zuspruch bei seinen Engeln.Es sind hilfreiche Wesen, Engel, die nicht Gott gesandt hat, sondern von ihm selbst erschaffen werden. Im Künstler sieht Klee ein gottähnliches Wesen.
Karin Schick: "Das ist in den ganz frühen Tagebüchern schon enthalten, wo natürlich auch ein ungeheures Selbstbewusstsein des Künstlers dahinter steckt. Und das Schaffen von Werken, das ist eine Schöpfung im Kleinen, und man versucht, ja die Natur bis ins Innerste zu verstehen, nicht durch eine Nachschöpfung, durch eine eigene Schöpfung, also das Eigene aber doch im Bezug zu dem ganz Großen."
Paul Klee zeichnet keine göttlichen Boten, sondern gute, hilfsbereite Freunde, Engel die ihm beistehen und die fast ein menschliches Schicksal haben. Sie sind nicht perfekt, sondern Klees Engel sind wie wir, haben Mängel und Schwächen.
Karin Schick: "Der hinkt vielleicht, der ist vielleicht ein bisschen hässlich, so heißt auch ein Engel ‚hässlicher Engel‘, oder er ist nachdenklich. Der weiß nicht alles, der kann nicht alles, und dadurch ist er uns natürlich näher, als wenn er einfach dieses Lichtwesen wäre, vor dem man nur niederknien kann."
Viele Engel sind auch nicht fertig geworden. Klee malt unvollkommene Wesen im Wartestand. Ein Blatt trägt den Titel "Der Engel im Werden".
Karin Schick: "Und der Titel heißt dann manchmal: Noch weiblich, noch unfertig, oder bald das und das. Also dieser Engel des Übergangs zwischen dem Irdischen und Überirdischen, aber vielleicht auch im Werden überhaupt, im Entstehen, das hat Paul Klee ständig thematisiert."
Aber nicht alle Engel sind gut. Sie können auch dämonisch und lasterhaft sein, wie der Engel auf einer kleinen Tuschpinselzeichnung im Querformat. Auf ihr sieht man ein nach unten fallendes Wesen. Andere Blätter verweisen direkt auf Luzifer oder Satanella, also auf weibliche Satanswesen.
Ein Zeichenstift namens Luzifer
Karin Schick erzählt, dass Paul Klee seinen Zeichenstiften auch entsprechende Namen gab:
"Also nehmen wir mal an Gerda, Erhard und so weiter, und einer der Stifte hieß Luzifer. Und da ist im Schaffensprozess selbst, im Zeichnen ist Luzifer anwesend. Also dieses Unheimliche war Klee, glaube ich, wichtig, weil er grundsätzlich der Meinung war, dass Gut und Böse zusammen die Einheit bilden, also eher nicht diesen traditionellen Moral- und Wertvorstellungen anhaftete, sondern, glaube ich, auch seine Freude daran hatte, diesen Engeln beide Seiten zu verleihen."
Ein Kleescher Engel hat auch literarisch Weltruhm erlangt. Er heißt "Angelus Novus". Der neue Engel ist eine kleine Zeichnung, die im Besitz von Walter Benjamin war. Ein Engel mit riesigem Kopf und gigantischen Augen.
Der Philosoph hat ihn als "Engel der Geschichte" beschrieben und bis zu seinem tragischen Tod nicht aus den Augen gelassen.
"Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm."
Karin Schick: "Benjamins These, die sich so wunderschön liest. Es ist ein hinreißender Text, weil natürlich alles falsch ist."
Skepsis bei der Klee-Kennerin
Karin Schick blickt skeptisch und ein wenig genervt, denn als Kennerin der Kunst ist es ihr unmöglich, Walter Benjamins philosophische Betrachtung mit Klees Bild in Einklang zu bringen. 1921 wurde der Engel erstmals publiziert und dann nie mehr.
Karin Schick: "Man hat bis, glaube ich, in die 70er-Jahre ständig über diesen Engel geredet, aber keiner kannte ihn eigentlich als Bild. Man kannte diesen Engel nur in der Beschreibung von Walter Benjamin. Und er beschreibt was, was man überhaupt nicht sieht. Der sieht komplett anders aus als das, was Benjamin beschreibt, und mit welcher wahnsinnigen Bedeutung er einfach aufgeladen war!"
Trotzdem ist der Angelus Novus ein echter Paul Klee. Ein Schutzengel und Bote, der seinem Besitzer ganz ohne Wenn und Aber zu Diensten steht.
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