Kultursymposium Weimar

Das Märchen vom offenen Austausch im Netz

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Das Internet hat nicht zu mehr Austausch geführt - im Gegenteil, sagt Johannes Ebert © picture alliance / dpa / Foto: Julian Stratenschulte
Johannes Ebert im Gespräch mit Dieter Kassel  · 01.06.2016
Tauschen und teilen die Menschen gerne, kommen sie sich so näher? Darum geht es ab heute auf dem Kultursymposium Weimar. Im Internet schon mal nicht, sagt der Generalsekretär des Goethe-Instituts Johannes Ebert - einem offenen Austausch sei das Netz wenig zuträglich.
Couchsurfing oder Car Sharing etwa gehören zu seinen moderneren Ausdrucksformen - doch das Prinzip des Tauschens und Teilens ist so alt wie Welt. Wie sich diese Kulturpraktiken entwickeln und verändern, das untersucht seit heute das Kultursymposium Weimar gemeinsam mit Experten aus dem In- und Ausland, aus Kultur, Wirtschaft und Politik.
Auch über das Internet werde man sprechen, sagt der Generalsekretär des Goethe-Instituts, Johannes Ebert. Dort werde viel zwar viel getauscht - zu mehr kultureller Offenheit habe es aber nicht beigetragen.
Als das Internet begonnen habe sich auszubreiten, habe man gedacht, ein großes demokratisches Instrument und des Teilens von Kultur werde entstehen, so Eberl im Deutschlandradio Kultur. Inzwischen müsse man jedoch feststellen, sich grundlegende Haltungen nicht änderten und negative Haltungen eher verstärkten:
"Gleich zu gleich gesellt sich gern, das scheint im Internet immer noch ähnlich zu sein."
Einem offenen Austausch sei das wenig zuträglich gewesen:
"Das Internet hat nicht automatisch dazu geführt, dass wir jetzt alles gleich teilen, sondern kulturelle Unterschiede sind bestehen geblieben."

Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Ab heute beschäftigt sich das Kultursymposium Weimar drei Tage lang mit dem Thema Teilen und Tauschen. Bei sehr vielen sehr unterschiedlichen Veranstaltungen, da reicht die Reihe von klassischen Podiumsdiskussionen und Vorträgen bis hin zu Performances und vielen Dingen, bei denen man als Besucher auch mitmachen kann. Bei all diesen unterschiedlichen Veranstaltungen geht es um auch die vielen unterschiedlichen Formen des Teilens und des Tauschens, von praktischen Dingen wie der sogenannten Sharing Economy, wie man das jetzt nennt, bis hin zum geistigen Austausch und dem Austausch von Ideen. Letzteres ist auch ein Thema einer Veranstaltung, die es dann morgen Vormittag gibt, die "Brauchen wir heute noch Vermittler" heißt, und an der unter anderem auch der Generalsekretär des Goethe-Institut teilnimmt, Johannes Ebert. Der ist jetzt bei uns am Telefon. Morgen, Herr Ebert!
Johannes Ebert: Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Beruflich haben Sie natürlich aufgrund dieser einen Veranstaltung und des ganzen Symposiums gerade sehr viel mit dem Thema Teilen und Tauschen zu tun, aber ist das Ganze für Sie eigentlich auch ein persönliches Thema?
Ebert: Das Thema Teilen und Tauschen, das ist für uns alle ein Thema, weil wir uns natürlich sehr intensiv auseinandersetzen mit, wie soll ich sagen, mit Gütern, die nur in beschränkter Menge vorhanden sind, und wie gehen wir damit um? Das ist ja ein Thema, das uns im Prinzip alle beschäftigt.
Mich persönlich beschäftigt es immer natürlich bei meinen Kindern, da ist Teilen ein großes Thema. Wann teilt man etwas, wie geht man als Mensch eigentlich damit um, wenn man dem anderen was abgeben muss? Und natürlich solche Phänomene wie Carsharing und solche Dinge, das sind schon Dinge, die bei mir auch in der Diskussion sind, ob wir so was tun sollen.

Tauschen und Teilen kennt viele Ausdrucksformen

Kassel: Jetzt haben Sie natürlich einen weltweiten Blick. Sie haben als Leiter und zuvor zum Teil auch in anderen Funktionen von Goethe-Instituten in unter anderem Kiew, Moskau und Kairo gelebt. Haben Sie da eine ganz andere Kultur des Teilens und Tauschens kennengelernt, als wir sie in Deutschland kennen?
Ebert: Ich meine, das ist natürlich sehr pauschal zu sagen, eine Kultur des Teilens und Tauschens. Wir haben da ja sehr viele Phänomene, die es auf der Welt gibt. Das geht von Allmende-Systemen, also öffentlichen Gütern, die man irgendwie gemeinsam bewirtschaftet, bis hin zu ganz neuen Formaten der Sharing Economy. Was mir ein bisschen aufgefallen ist, das kam auch in Diskussionen raus, die wir weltweit im Vorfeld gemacht haben, in Osteuropa. Es gibt eine Generation, bei der das Teilen und Tauschen nicht so positiv besetzt ist, das ist die Generation, die in der Sowjetunion in sogenannten Kommunalwohnungen gewohnt hat, also in Wohnungen, wo man mit mehreren Familien eine große Wohnung geteilt hat.
Da war das eher negativ besetzt, weil das nämlich Konflikte nach sich zog und so weiter, während es bei der jungen Generation natürlich genau die Diskussionen gibt wie bei uns, eben um Urheberrechte, um Artikel, um Creative Commons, also dass man Artikel oder andere Medien teilt. Es gibt natürlich immer die Frage der Musikdateien, die man teilt, wo man aber in Konflikt mit dem Urheberrecht kommt. Da gibt es natürlich in Ländern, die nicht so eine starke Gesetzgebung haben wie wir, einen anderen Umgang, das muss man feststellen.
Kassel: Wenn wir mal über das Teilen nicht von materiellen Dingen reden, sondern wirklich über das Teilen und den Austausch von Ideen, von Gedanken, von Vorstellungen, von Wissen auch, dann frage ich mich eins: Unsere Welt ist natürlich auch, was das angeht, viel globalisierter geworden durch das Internet natürlich und andere Medien, aber andererseits leben wir auch in einer Welt, die zunehmend wieder nationalistischer wird. Wir kennen solche Bestrebungen hin zum Nationalstaat auch aus Europa, aus vielen anderen Teilen der Welt. Wir leben in einer Welt, in der religiöser Fundamentalismus und Terrorismus auch zu erneuter Angst vor dem Fremden, vor dem anderen geführt haben. Behindert das nicht gerade diesen geistigen Austausch?

Das Internet hat uns nicht offener gemacht

Ebert: Das finde ich eine sehr spannende Frage, die Sie stellen, die mich auch natürlich, weil ich im Kulturaustausch seit vielen Jahren arbeite, sehr beschäftigt. Weil man dachte, als das Internet sich ausbreitete, als jeder Zugang hatte, dachte man am Anfang, das wird ein großes demokratisches Instrument, ein großes Instrument der Bürgerbeteiligung und, wie Sie sagen, des Teilens von Informationen, von Kultur.
Und wir bemerken aber, dass das Internet nicht so grundlegende menschliche Haltungen beseitigt hat, sondern manchmal habe ich den Eindruck, dass so diese Peer-to-Peer-Kommunikation, also die Kommunikation unter Gleichen, die man ja am Anfang auch beim Internet in den Mittelpunkt gestellt hat, eher dazu führt, dass sich gewisse Haltungen, auch negative Haltungen, verstärken. Und das ist einen Problematik, mit der wir erst mal umzugehen lernen müssen.
Also, es scheint immer noch zu sein, was man im ganz normalen Umgang, im persönlichen Bereich auch sieht, Gleich zu Gleich gesellt sich gern, das scheint im Internet immer noch ähnlich zu sein, und das ist natürlich so dem offenen Austausch vielleicht gar nicht so zuträglich, also dass man ganz neue Dinge auf sich einwirken lässt, auch Dinge aus anderen Kulturen. Das Internet hat nicht automatisch dazu geführt, dass wir jetzt alles gleich teilen, sondern kulturelle Unterschiede sind Bestehen geblieben, und ich denke, wenn sich das auflöst, würde das ein sehr, sehr langer Prozess sein.
Kassel: Was natürlich die Frage, die Sie dann morgen Vormittag zusammen mit anderen auf dem Podium besprechen wollen, nämlich "Brauchen wir noch Vermittler" eigentlich beantwortet. Dieser Gedanke, das funktioniert alles automatisch, weil theoretisch jede Art von Wissen und Information jedem zugänglich ist, wenn er denn überall auf der Welt einen Internetzugang hat, so scheint es ja doch nicht zu funktionieren?

Mittler und Kuratoren werden wichtiger

Ebert: Ich kann auf diese Frage – ich habe ein Buch von Jim Jarvis gelesen, "Was würde Google tun?". Und der sagt, wir brauchen keine Mittler mehr. Und dann fängt man an, darüber nachzudenken, weil da erschrickt man erst einmal. Und dann fängt man, darüber nachzudenken und bemerkt: Menschen nehmen vielleicht wirklich nur das auf, was sie wahrnehmen wollen und was sie wahrnehmen können, was sie in ihrem Horizont haben.
Kulturaustausch hat aber immer etwas mit einer Horizonterweiterung zu tun, und ich glaube, da sind dann doch Mittler oder Kuratoren oder wie man das auch immer nennen will, spielen da weiterhin eine Rolle. Und wie Sie vorher sagten, wenn wir die Entwicklung der Welt angucken, wird gerade diese Funktion, ein Freiraum zu sein, den auch das Goethe-Institut hat im Ausland, oder eine Plattform darzustellen für Meinungsaustausch, das wird, glaube ich, erstaunlicherweise eher wichtig als Zurückgehen. Das werden wir morgen diskutieren. Ich bin gespannt, wie die Meinungen der anderen Kollegen sind.
Kassel: Das ist eine Runde von ganz vielen nicht nur Diskussionsrunden und Vorträgen, sondern noch von viel mehr, das jetzt drei Tage lang, von heute Nachmittag bis übermorgen zu erleben ist auf dem Kultursymposium Weimar zum Thema "Teilen und Tauschen". Wir haben darüber geredet mit Johannes Ebert, dem Generalsekretär des Goethe-Instituts. Herr Ebert, ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen sowohl morgen bei Ihrer Veranstaltung als auch an den ganzen drei Tagen viel Spaß und viele schlaue Gedanken.
Ebert: Vielen Dank, Herr Kassel!
Kassel: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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