Kulturschaffen statt Dönerproduktion

Von Cornelius Wüllenkemper · 02.08.2010
Der deutsch-türkische Kulturaustausch wird nur wenig wahrgenommen. Der türkische Verleger Recai Hallac aus Berlin-Kreuzberg will das mit seiner "Edition Galata" ändern.
Es ist drückend heiß an diesem Nachmittag in Berlin, zu heiß um im Büro zu arbeiten, meint Recai Hallac. Der schmächtige, auffällig kleine Mann sitzt mit offenem Hemd im Garten eines Mietshauses in Berlin-Charlottenburg unter einem Sonnenschirm. Vor ihm ein Buch, ein Glas Tee und ein Päckchen Tabak. Seine grauen Haare sind ungekämmt, seine Augen wirken angestrengt und gleichzeitig sehr sanft und sehr freundlich. So wie der ruhige Erzählton, als sich der Endvierziger an seine erste Begegnung mit der deutschen Sprache erinnert, damals, an der deutsch-türkischen Schule in Istanbul, die er als Sprössling der gehobenen Gesellschaftsschicht besuchte.

"Kurz nachdem ich angefangen hatte, diese Schule zu besuchen, habe ich eine große Liebe entwickelt zu der deutschen Sprache. Ich habe also nicht Deutsch gelernt, um gute Noten zu bekommen, weil ich fasziniert war von dieser Sprache. Und das hat mir bis heute geholfen."

In den 80er Jahren ist das intellektuelle Milieu in der Türkei geprägt von den Folgen der ultrakonservativen Militärdiktatur. Es gibt nur eine Meinung und ein Geschichtsbild, die toleriert werden. Der Pflichtdienst an der Waffe ist für den empfindsamen Sohn aus behüteten Verhältnissen undenkbar, und als er sich mit 28 Jahren der Armee weiterhin verweigert, landet er schließlich vor dem Militärgericht. Es gelingt ihm, sich freizukaufen. Im Gegenzug verlässt er sein geliebtes Istanbul, seine Eltern und seine ältere Schwester, um in Deutschland als Dolmetscher zu arbeiten.

"Es war nicht schwierig, in Deutschland anzukommen. Nur kann ich mich an den ersten Abend erinnern. Ich hatte damals einen Vollbart. Ich sah in den Spiegel und dachte: Verdammt noch mal, schon bei meiner Ankunft werde ich als Muslim abgestempelt. Da habe ich mir Rasierzeug gekauft und meinen Bart abrasiert. Um ja nicht als Muslim angesehen zu werden. Aber Ablehnung habe ich nie erfahren. Und ich habe gemerkt, die Sprache spielt dabei eine sehr große Rolle."

In Deutschland genießt er die Meinungsvielfalt, lernt einen anderen Blick auf sein Heimatland kennen, der so gar nicht zu den offiziellen türkischen Wahrheiten über Kurden und Armenier passt.

"Ich habe diesem Staat nie ein Wort geglaubt. Aber andere Worte konnte ich auch nicht erreichen. Diese Möglichkeit bekam ich dann in Deutschland. Plötzlich konnte man, wenn man Interesse daran hatte, lesen, andere Quellen heranziehen."

Noch in der Türkei hatte Recai Hallac enge Kontakte zur deutschen Kulturszene geknüpft. Am Theater an der Ruhr erhält er ein Engagement, ganz ohne Ausbildung aber mit großem Talent ausgestattet. Parallel arbeitet er als Dolmetscher für Regierungstreffen oder bei Lesereisen großer türkischer Schriftsteller wie Orhan Pamuk. So kommt er auch auf das Sommerfest eines Literaturverlags.

"Bisher war es mir nie gelungen, solche Ansammlungen sympathisch zu finden. Wo man viel Bier trinkt und Würstchen isst und laut lacht. Ich wollte immer weggehen, zu meinen Büchern zum Beispiel. An dem Tag habe ich gesagt: seltsam, ich fühle mich sehr wohl hier. Und an diesem Tag wiederum habe ich verstanden, die Welt der Bücher schreibenden und lesenden Menschen ist mir viel näher als die Welt der spielenden Menschen. Und ich spürte den großen Wunsch, einen Schritt in diese Welt zu tun."

Das war vor zwei Jahren. Den ersten Schritt macht Recai Hallac sofort: Er übersetzt Asli Erdogans Erfolgsroman "Die wunderbare Mandarin" über die Einsamkeit einer türkischen Vagabundin in den Straßen von Genf.

"Weil ich dachte, wenn das Buch hier in Deutschland von meinen Freunden nicht gelesen werden kann, dann fehlt etwas. Kurz bevor ich fertig war mit der Übersetzung, habe ich angefangen, nach einem Verlag zu suchen. Und eines Nachts – deswegen war das eine Schnaps- oder vielmehr Weinidee – habe ich mich gefragt, warum gründe ich nicht meinen eigenen Verlag und bringe die Bücher heraus, die ich so wertvoll finde."

In seiner "Edition Galata", benannt nach einem Stadtteil Istanbuls, sind mittlerweile drei Romane erschienen, die von der Türkei zwischen alten Tabus und rasanter Modernisierung erzählen. Es gehe ihm um gute Literatur, sagt Recai Hallac, egal ob sie vom großen Literaten Ahmet Ümit oder vom Nachwuchsautoren Emrah Serbes stammt. Im Herbst will er einen literarischen Salon in Kreuzberg eröffnen, in dem bei einem guten Wein Leser, Verleger und Autoren über türkische Literatur diskutieren.

"Ich wäre sehr glücklich, wenn ich dazu beitragen könnte, mit der 'Edition Galata', dass die türkische Literatur als Literatur wahrgenommen wird in Deutschland, und nicht mehr wie kritische Zeitungsberichte gelesen wird. Ich möchte all die Menschen erreichen, die für mich Heimat sind. Das sind Deutsche, das sind Türken, das sind Schweizer, Österreicher, aber auch andere, die Bücher auf Deutsch lesen möchten und können. Und ich möchte mit Ihnen die Bücher und die Texte teilen, die mich selbst bewegen."