Kulturkampf

Die katalanisch-spanische Doppel-Identität stirbt aus

Demonstration von Unabhängigkeitsbefürwortern mit vielen katalonischen Fahnen.
Demonstration von Unabhängigkeitsbefürwortern. Katalanen, die anderer Meinung sind fühlen sich diskriminiert © ap / Quique Garcia
Von Julia Macher · 07.11.2014
Kurz vor der symbolischen Abstimmung über eine Unabhängigkeit ist die katalanische Kulturwelt politisiert wie nie zuvor. Spanisch- und katalanischsprachige Autoren leben in Parallelwelten - und streiten über die katalanische Identität.
Es sind harte Worte, die Nuria Amat ausspricht: Der katalanische Separatismus habe seine Fahnen gegen alle Katalanen gehisst, die nicht in die herrschende Ideologie passten. Separatistische Politiker und ihre Gefolgsleute zensierten und unterdrückten alles, was – Zitat – "nicht ihr patriotisches Räderwerk schmiere". Wer wie sie auf "castellano", also auf "spanisch" schreibe, gelte als "Antikatalane" und werde vom Kulturbetrieb ausgeschlossen. Die Streitschrift, die Amat in der einflussreichen Zeitung "El País" als fiktiven Brief an ihren "Geliebten Orwell" veröffentlichte, hat in Spanien für einen kleinen Aufruhr gesorgt. Derzeit ist Amat, deren Roman "Die Königin von Amerika" auch ins Deutsche übersetzt wurde, in New York. Aus privaten Gründen, betont sie.
"Natürlich wurde ich beleidigt, ich habe persönliche Briefe von Verlagsleitern und Chefredakteuren bekommen, weil ich eben Dinge sage, die ihnen nicht gefallen. Aber ich habe auch zweieinhalb Wochen damit verbracht, Briefe, E-Mails, Anrufe zu beantworten von Menschen, die mir sagten: Ja, du hast recht, ich denke genauso wie du – aber ich kann es nicht sagen, weil ich Kunden verliere, Repressalien fürchte."
Kataloniens Kulturinstitute und Förderinstitutionen haben mit eisigem Schweigen reagiert. Beweise für ihre Diskriminierung bleibt Nuria Amat zwar schuldig, ihre Beschreibung des aktuellen Klimas stimmt aber zumindest in einem Punkt: Die katalanische Kulturwelt ist politisiert wie nie zuvor, Kundgebungen reihen sich an Grundsatzerklärungen. Mitte Oktober etwa initiierte der Literaturkritiker und ehemalige Kulturpolitiker Oriol Izquierdo ein Manifest für die Unabhängigkeit, das inzwischen über 600 Schriftsteller und Kulturschaffende unterschrieben haben - darunter auch in Deutschland bekannte Namen wie Quim Monzó oder Jaume Cabré. Eine Initiative, die eben jene "patriotische Gesinnung" widerspiegelt, die Amat kritisiert – und die Izquierdo als "außergewöhnliche Maßnahme für außergewöhnliche Zeiten" verteidigt.
"Das ist ein radikaler Wandel"
"Was gerade passiert, ist so bedeutend, so transzendental, dass es eben auf alles abfärbt, alle Debatten prägt: Familientreffen ebenso wie Gespräche unter Nachbarn: Wir wollen den Status Quo ändern. Das ist ein radikaler Wandel."
Die politische Zukunft des Landes steht zwar im Vordergrund der Debatte: Im Kern geht es aber um die Frage der Identität, eine Frage, die in Katalonien in hohem Maße an die Sprache gekoppelt ist. Das ist nicht neu: Bereits im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse 2007, zur der die staatenlose "katalanische Kultur" als Ehrengast eingeladen war, zankten sich Autoren und Kulturpolitiker darum, wer denn dazu gehöre. Als Schriftstellerin, die überwiegend auf Spanisch schreibt, galt Nuria Amat nicht als offizielle Repräsentantin der katalanischen Kultur - ebenso wenig wie Eduardo Mendoza oder Juan Marsé. Ein Unding, findet sie damals wie heute – weil es ihrer Vorstellung von einem Katalonien, zu dem sowohl das Spanische wie auch das Katalanische gleichberechtigt gehören, widerspricht.
"Natürlich muss Katalonien seine Sprache verteidigen, meine Sprache, die Sprache meiner Eltern und Großeltern – damit sie mit dem Spanischen zusammenleben können wie zur Zeit der Renaixenca im 19. Jhd. Oder wie vor dem Bürgerkrieg, als Lorca zu Besuch kam und gemeinsam mit katalanischen Schriftstellern Konferenzen gab. Aber in der Schule hat sich die Indoktrination durchgesetzt. Es wird patriotische Gesinnung gelehrt."
Stolz auf die Zweisprachigkeit schwindet
Tatsächlich ist im Jahr 2014 ein Katalonien, das stolz auf seine Zweisprachigkeit ist, nur noch mit Mühe zu finden. Katalanisch gilt immer mehr als die "Llengua del País", als eigentliche Muttersprache des Landes. Auch auf Grund der Politik der "positiven Diskriminierung", mit der das während der Franco-Diktatur verbotene und darniederliegende Katalanisch gefördert werden sollte: So wird seit 30 Jahren an Kataloniens Schulen ausschließlich auf Katalanisch unterrichtet. Die Politik des "Sprachbads" hat dazu geführt, dass die während der Franco-Zeit verbotene Sprache von mehr Menschen gelesen und geschrieben wird als je zuvor. Aus dem gleichen Grund fördern und subventionieren katalanische Kulturinstitutionen seit Jahrzehnten hauptsächlich die katalanischsprachigen Schriftsteller Kataloniens. Eine Politik, die Oriol Izquierdo vehement verteidigt.
"Wenn Spanien einen Mechanismus hätte, um die nationalen Minderheiten effektiv zu schützen, wäre es vielleicht gar nicht soweit gekommen. Die Verfassung spricht zwar von der linguistischen Vielfalt Spaniens, aber Spanien glaubt nicht daran. Wenn es es täte, dann gäbe es doch in der Grundschule ein Semester katalanisch, baskisch oder galizisch. Aber so etwas ist undenkbar. Eine andere Frage ist, wer katalanischer Bürger ist. Da erinnere ich an die sehr nützliche Definition des Ministerpräsidenten Jordi Pujol: Katalane ist, wer in Katalonien lebt und arbeitet und sich als Katalane fühlt. Der Willen, Teil eines Ganzes, einer Kultur, einer Gemeinschaft zu sein, ist wesentlicher Bestandteil davon."
Und "der Wille, Teil dieser Gemeinschaft zu sein" bedingt für immer mehr auch den Willen zu einem eigenen Staat – und somit die Abgrenzung von Spanien. Das spiegelt sich auch in der Kulturwelt. Spanisch- und katalanischsprachige Schriftsteller leben und arbeiten in Parallelwelten, mit kaum noch Berührungspunkten, das gibt Oriol Izquierdo freimütig zu. Die katalanisch-spanische Doppel-Identität stirbt aus, nicht nur in der Literatur. Das ist der Kollateralschaden des Nervenkrieges zwischen Barcelona und Madrid.
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