Kulturistik

Muskeln made in DDR

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Der DDR-Kraftsportler Hans Löwe © Deutschlandradio / Bernd Mielke
Von Alexa Hennings · 03.04.2016
Mit Bodybuilding tat man sich in der DDR lange Zeit nicht nur begrifflich schwer. Doch dann brachte Hans Löwe mit selbstgebauten Geräten den Kraftsport an den Mann und wurde zur Legende der "Kulturistik" in der DDR.
Beinpresse, Rumpfdreher, Brustpresse, Schulterpresse, Butterfly, Beinstrecker, Wadenmaschine, Beinbeuger, Bizepsmaschine, Trizepspresse. Was sich anhört wie die Inventarliste eines mittelalterlichen Folterkellers, ist heutzutage Standard im Fitnessstudio. Auch in Gadebusch, einer kleinen Stadt im Westen Mecklenburgs. Lange bevor es Trizepspressen und Wadenmaschinen gab, in einem Land vor unserer Zeit, das noch keine Fitnessstudios kannte und selbige für Dekadenz aus dem Westen hielt, in dieser Zeit kam ein junger, blonder Mann nach Gadebusch: Hans Löwe.
"Nach meiner Militärzeit bin ich hierher gekommen, weil ich eine Frau aus der Region hier kennengelernt hatte. Und habe dann 1974 als Schwimmmeister angefangen, hier in Gadebusch zu arbeiten, als Schwimmmeister und im Winter Schwimmlehrer. Und habe dort angefangen, hier in der Region, in Norddeutschland, Mecklenburg, den Kraftsport zu entwickeln und aufzubauen.
Wir haben unter sehr primitiven Bedingungen hier anfangen können, aber hatten eine Kraftsportgruppe aufgebaut, die nach einem halben Jahr schon mithalten konnte in der DDR-Spitze. Das war eine sehr schöne Arbeit. Ich habe da 15 junge Männer um mich scharen können, mit denen ich auf sehr einfache Weise und unter primitivsten Bedingungen guten Sport gemacht habe."

Auch Kohleneimer taugten als Hantel

35 Jahre lang war Hans Löwe nicht in Gadebusch. Mitstreiter von einst haben ihn übers Internet ausfindig gemacht und eingeladen. Sie hatten von Hans Löwes Buchs gehört, das er zusammen mit dem Arzt und Bodybuilder Andreas Müller geschrieben hat: "Mit Hanteln heilen". Wo soll er es dem Publikum vorstellen, wenn nicht in Gadebusch? Hans Löwe schaut sich um in dem modernen Fitnessstudio.
"Der Unterschied ist, daß Sie jetzt das 20-fache bezahlen müssen, um trainieren zu können. Das ist der Unterscheid, und dass man jetzt diese Maschinen und Geräte hat, die wir damals natürlich nicht hatten. Was aber dem Muskel eigentlich egal ist, ob es eine Wasserflasche, ein Eimer mit Kohlen oder ein Fitnessgerät aus dem Fitnessstudio ist. Der Muskel braucht einfach einen Widerstand, um sich zu entwickeln und da hat es eigentlich keine Bedeutung. Es ist eine kommerzielle Geschichte geworden, die nicht mehr wegzudenken ist aus der heutigen Zeit."
Seilzüge spannen sich, Gewichte schnellen hoch oder senken sich langsam hinunter, Wasser plätschert beim Rudergerät, Bänke gleiten elegant auf Rollen, Laufbänder schnurren. Viele dieser Geräte gab es damals natürlich auch im Westen noch nicht, aber einige schon. Und die waren der große Traum des damals 23-jährigen Schwimmmeisters und seiner Gadebuscher Jungs, die zwischen 15 und 20 Jahre alt waren.
"Wir haben nach irgendwelchen Zeitungen, die wir uns aus dem Westen besorgt hatten, Geräte selber gebaut. Und die erste Hantel, die wir hatten, die habe ich gestohlen bei der Armee, weil dort ein Stützpunkt war für Gewichtheben. Und die habe ich kurz vor Ende meiner Armeezeit dort entwendet und habe hier den Grundstein gelegt. Das gebe ich jetzt auch zu, weil es verjährt ist (lacht) - das ist jetzt auch schon 45 Jahre her.
Wir haben uns Rollen und Stahlseile besorgt und haben einfach versucht, diese Geräte nachzubauen. Um so zu trainieren, wie die Stars und - in Anführungsstrichen - unsere Vorbilder im Westen trainieren konnten. Aber wir haben auch unsere Leistungen gebracht, auch ohne diese Maschinen. Das ist dabei dann auch herausgekommen, dass man sie nicht unbedingt braucht. Aber man will ja immer das haben, was andere haben und denkt, dass es besser ist!"
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... so sieht der Löwe heute aus.© Deutschlandradio / privat
Kraftsport und erst recht Bodybuilding - beides nicht olympische Disziplinen - wurden in der DDR nicht gefördert und spielten an den Sportschulen keine Rolle. Dennoch gab es überall kleine Gruppen und Meisterschaften. Den Begriff Bodybuilding mußte man jedoch streng vermeiden. Analog zum Sprachgebrauch in den sozialistischen Ländern hieß es in der DDR "Kulturistik", die Ausführenden waren "Körperkulturisten". Später ging Hans Löwe nach Berlin, doch die Zeit mit den Jugendlichen in Gadebusch hat ihn geprägt.
"Das war eigentlich mit die wirkungsvollste Zeit in der DDR hier in Gadebusch. Und ich habe auch vom sogenannten Staatsapparat, Rat des Kreises, Abteilung Jugendfragen, eigentlich auch gedeckt Unterstützung bekommen. Weil sie begriffen haben, dass entgegen der Ideologie dieser Sport Leute einmal gesünder und leistungsfähiger macht und sie auch von der Straße wegholt, damit sie nicht auf abwegige Gedanken gekommen sind."

So eine Muskulatur kannte man in der DDR nicht

Bernd Mielke ist einer von denen, die nicht auf "abwegige Gedanken" kommen sollten. Im Gegensatz zu seinem heute 64-jährigen Meister ist der 59 Jahre alte Gadebuscher etwas beleibter geworden. Doch er trainiert noch regelmäßig an den Geräten im Studio.
"Ich hab vor meinem Grundwehrdienst angefangen bei Hans. Da war erstmal der erste Blick ein gewaltiger, so etwas hatte man ja noch nicht gesehen, so eine Muskulatur. Früher war das ja noch nicht so verbreitet wie heutzutage. Jedes Dorf oder jede Stadt hat heute ein Fitnessstudio. Die gut gewachsenen Leute sind heute überall, aber damals waren wir eine absolute Ausnahme. Durch Hans und sein Training konnten wir natürlich zielgenau trainieren, ohne Zeit zu vergeuden. Manchmal kann man ein Jahr trainieren und da kommt nix. Und wir hatten den perfekten Mann gleich gehabt."
Und Hans Löwe hatte seinerseits in Bernd Mielke den perfekten Mann gefunden, denn der arbeitete damals als Metallbauer in einem Landwirtschaftsbetrieb.
"Die Dreherei hat für mich die Rollen gedreht, ich hab geschweißt. Schwarzarbeit neben der Arbeit, anders kamst du zu nix, da hat jeder irgendwas gebaut privat früher. Wir haben das nachgeahmt, vieles von Bildern, so notdürftig es ging. Aber es waren auch schon gute Sachen, wir wurden ja damit groß. Kraft- und Muskelzuwachs war ja vorhanden.
Wir waren noch kein eingetragener Verein gewesen, haben aber gegen Berlin und Wismut Aue schon gewonnen, gegen die großen Jungs durch diese Top-Anleitung durch Hans Löwe. Da haben sie alle ein Auge gekriegt, wir kamen von sonst wo her, wenn die gesehen hätten, unter welchen Bedingungen wir trainiert haben, das hätte gar keiner geglaubt, dass man da groß und stark werden kann."
Als er nach der Wende Berufskraftfahrer wurde, gab Bernd Mielke das Training auf. Keine Zeit mehr. Doch mit 42 Jahren dann begann er wieder: Schmerzen trieben ihn dazu.
"Ich hab mein Leben lang hinterm Lenkrad gesessen. Rücken kaputt, fertig. Da wollte ich nur schmerzfrei werden, deshalb habe ich hier wieder angefangen. Ja, und nachher ging es ganz gut wieder und es kamen die alten Wettkampfgefühle durch. Und das ging ganz gut, ich hatte gleich wieder Anschluss gefunden. Zweimal deutscher Meister, einmal Vize-Europameister gewesen."

Die ältesten Wettkampf-Kraftsportler sind über 80

Die ältesten Kraftsportler bei diesen Wettbewerben - die Wertungen erfolgen nach Altersklassen - sind jenseits der 80. Bis dahin hätte Hans Löwe noch ein bißchen Zeit - aber er nimmt schon lange nicht mehr an Wettkämpfen teil.
"Vielleicht noch mal, Hans, vielleicht überlegst du es dir nochmal?"
"Nee, nee (lacht) - ich werd es mir auch nicht mehr überlegen!"
Schon seit der Wende hat sich Hans Löwe aus dem aktiven Wettkampfsport zurückgezogen. Zu DDR-Zeiten war er bei Meisterschaften im Kraftsport und beim Bodybuilding erfolgreich. In dieser Zeit war es auch, dass er Staats- und Rechtswissenschaften studierte - einen Beruf, den er jedoch nie ausübte. Lieber trainierte er in Berlin mit Jugendlichen und mit Prominenten - auch Gojko Mitic, der "Winnetou des Ostens", ließ sich von Hans Löwe zeigen, was man tun muss, um Kraft und Muskeln aufzubauen.
"Ich war schon DDR-Meister im Kraft-Dreikampf, als ich noch in Gadebusch war. Mit den ganz, ganz simplen Trainingsmöglichkeiten, die wir hatten. In Berlin war es dann so, dass wir ja alle Mitarbeiter der Gastronomie gewesen sind, das heißt, wir waren Türsteher in Diskotheken und haben damit viel Geld verdient und hatten viel Zeit zum Trainieren. Und es war auch sehr schwer, in diesen Kraftsportvereinen Mitglied zu werden, weil die ständig überlaufen waren. Ich hab mich auch nicht so wohl gefühlt, weil ich als Mecklenburger in Berlin nie so richtig anerkannt war. Ich hatte bloß das Glück, dass ich sportlich so erfolgreich war, ansonsten hätte man mich dort nicht so richtig anerkannt (lacht)."

Zu Wettkämpfen im Westen durfte er nicht

Der Erfolg hatte jedoch Grenzen, und die verliefen genau dort, wo sie der Kalte Krieg gezogen hatte. Die Kraftsportler und Bodybuilder aus der DDR durften nur zu Wettkämpfen in die sozialistischen Bruderländer - wie es damals hieß - reisen. In der CSSR, in Ungarn und in der Sowjetunion waren diese Sportarten mehr anerkannt als im Osten Deutschlands. Und so kam es, dass Hans Löwe zwar an den Allunionsmeisterschaften in der Sowjetunion teilnahm, nicht jedoch an Europameisterschaften im Westen. Sein größter Erfolg war der Gewinn des Sandow-Grand-Prix 1983.
"Das war der einzige Grand Prix mit westlicher Beteiligung, der im Ostblock stattgefunden hat, in Marienbad, und wir hatten die Möglichkeit, auch mal gegen Europameister anzutreten. Dann habe ich den Schwarzmeercup in Rumänien gewonnen, Budapest International, da hatten wir auch die Möglichkeit, da waren auch westliche Sportler eingeladen. Bloß die DDR hat das nicht gemacht, da waren wir abgeschirmt.
Wer diese Wettkämpfe gewonnen hatte im Ostblock, der konnte eben auch sagen, dass er mit der europäischen Spitze mithalten konnte. Das war mein Streben, aber mehr wollte ich eigentlich auch nicht. Auch dann nach der Wende nicht, da hatte ich auch die Möglichkeit gehabt, professionell Bodybuilding zu machen. Aber das war nicht mehr mein Interesse, ich wollte mehr in die Reha-Schiene: Was kann man mit Bodybuilding bewirken?"
Als sich Bodybuilding noch Kulturistik nannte, wurden außer der Körperposen noch Kraftsportdisziplinen bewertet. Die Kür im Bodybuilding wurde früher oft mit Musik absolviert, besonders die tschechischen Sportler hatten das perfektioniert und die Kür mit Choreografen umgesetzt wie beim Eiskunstlauf. Die ostdeutschen Sportler schauten sich das bei ihren Freunden ab. Doch die Bodybuilding-Welt hat sich komplett verändert, stellt Hans Löwe fest.
"Diese Auswüchse, die jetzt auf der Bühne gezeigt werden, haben nichts mehr mit dem Gedanken der Körperformung, wo man eben Ästhetik und Proportionen als wichtig angesehen hat, hat das nichts mehr zu tun. Und Frauen-Bodybuilding, was da jetzt gezeigt wird, das sind Auswüchse. Auswüchse dahingehend in meinen Augen, dass die Menschen sich nicht mehr mit einer normalen Schönheit auseinandersetzen wollen, sondern sie wollen etwas Groteskes, etwas völlig Außergewöhnliches sehen und können sich nicht mehr daran erfreuen. Und das ist eigentlich auch ein Ausdruck unserer Reizüberflutung, die wir täglich kriegen, dass eben das normale Schöne gar nicht mehr interessant ist."

Ohne Turinabol ging es nicht

Längst reicht es nicht mehr aus, was Wadenmaschine und Trizepspresse bringen. In Internetforen für Kraftsportler und Bodybuilder wird öffentlich diskutiert, was denn der eine oder andere für Erfahrung mit Turinabol-Kuren habe, jenes muskelaufbauende Dopingmittel, das auch DDR-Sportlern verabreicht wurde. Heute kann damit - und mit hunderten anderen Mitteln - frei experimentiert werden.
"Ich bin ja selber nicht frei von Doping gewesen, das sage ich auch ganz ehrlich, von Turinabol. Aber in der heutigen Zeit rate ich niemandem dazu bzw. rate jedem ab, sich damit überhaupt abzugeben. Aber wenn man jung ist und Erfolg haben will, hat man sich dazu hinreißen lassen. Ich hatte aber immer Angst gehabt. Aus der heutigen Sicht ist das sehr moderat gewesen und auch unter ärztlicher Kontrolle. Ich kannte persönlich einen Mediziner, der mich ständig kontrolliert hat. Man hatte nur zwei Phasen im Jahr, sechs Wochen, wo man das gemacht hat. Heute geht das gar nicht mehr. Wenn man die heutige Muskulatur erreichen will, schläft man jede Nacht am Tropf mit dem Zeug. Und die Bodybuilder werden ja auch nicht mehr so alt, sie sterben schon ab 35 an den Folgeschäden oder den Nebenwirkungen."
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Das Team der Sportstudios mit Hans Löwe© Deutschlandradio / privat
Vom Fitneßstudio in Gadebusch geht's in die Museumsscheune, dort soll die Buchvorstellung stattfinden. Hans Löwe wird sehr herzlich empfangen, die meisten Gäste hier sind um die 50 und freuen sich, ihren Schwimmlehrer von einst wiederzusehen. Das Gadebuscher Schwimmbad, ein Freibad mit 50-Meter-Bahn, wurde nach der Wende mit Bauschutt zugeschüttet.
"Euch habe ich das Schwimmen beigebracht?"
"Ja, so ungefähr, genau, in einer sehr kurzen Badehose, orange."
"Ja, hab ich gehabt? Also für mich ist das sehr, sehr schön zu erleben, dass ihr mich ausgegraben habt und ich das hier erleben kann. Ich habe ja quer durch Europa gelebt, aber das ist für mich ein Highlight."
"Und wann sind Sie dann weggegangen aus Gadebusch?"
"1980. Dann war ich bis 89 in Berlin, dann noch in den Westen abgehauen, bin wiedergekommen und habe zwei Fitnessstudios aufgemacht in Berlin, eins am Rand von Berlin. Dann habe ich das alles verkauft und bin ins Ausland gegangen. Nach Finnland ein paar Jahre, nach Südfrankreich und Italien. Und bin dummerweise nach 16 Jahren wiedergekommen und jetzt bin ich wieder hier in der Mühle (lachen)."
"Sie waren doch mal Sportlehrer in Rehna?"
"In Rehna. Das war eine schöne Zeit, dort Sportlehrer zu machen. War ich zwar nicht für ausgebildet."
"Ich kann mich noch erinnern, Sie haben so eine Ruhla-Taucheruhr gehabt. Die wollten wir Schüler alle haben!"
"Guck an! Ich dachte, ihr wolltet meine Muskeln haben, dabei war’s die Uhr (lachen)."

Bodybuilding gegen Mobbing

Die Buchvorstellung in der Museumsscheune gerät dann eher zu einer Erzählung über die Menschen, denen Hans Löwe mit gezieltem Krafttraining schon geholfen hat.
"Es ist nicht so gedacht, dass wir uns - der Dr. Müller, der den medizinischen Teil geschrieben hat und ich den praktischen, dass wir uns hervorheben wollen als Heiler. Sondern wir unterstützen mit diesem Krafttraining Heilungsprozesse nur in Zusammenarbeit mit Ärzten oder Therapeuten. Es ist kein Wunder und es ist auch nichts, was nicht schon da war. Das hat man schon vor hunderten von Jahren, in der griechischen Antike vor tausenden von Jahren gemacht, positive Effekte durch Krafttraining und Muskelaufbau zu erzielen."
Der Kraftsport-Trainer, der sich nach der Wende für den Reha-Bereich ausbilden ließ, dokumentiert in dem Buch Fälle, in denen Muskeltraining - und seelische Zuwendung - halfen, Krankheiten zu lindern oder die Lebensqualität zu verbessern. Er konnte Magersüchtigen und Fettsüchtigen helfen, Krebs- und Arthrosepatienten.
"Und dass es in Gadebusch angefangen hat und dass eines dieser Fallbeispiele hier in Gadebusch begonnen hat - das war der damals 15-jährige Ralph Günther, heute leider nicht da, der von seiner Mutter zu mir gebracht wurde in diese üblen Trainingsbedingungen. Weil er in der Schule - er war schwerhörig, er hat Sprachprobleme gehabt, er hat gestottert. Er wurde - heute würde man das Mobbing nennen, in der Schule herumgestoßen, geprügelt, unterdrückt usw. Und die Mutter fragte, ob wir ihn aufnehmen wollen. Ihr war nicht ganz wohl dabei, denn er war völlig unsportlich, er konnte keinen Klimmzug, er konnte eigentlich sehr, sehr wenig.
Und durch das Krafttraining hat sich seine Persönlichkeit so verändert, dass er den Mut gefunden hat, sich gegen dieses Mobbing zu wehren. Und das konnte er nur durch diesen Kraftsport. Er ist dann einer der besten Kraftsportler im Jugend- und Juniorenbereich der DDR geworden und ich bin auf ihn sehr, sehr stolz. Und was ich da gemacht habe, habe ich erst viele, viele Jahre später begriffen: Dass es irgendwo eine psychotherapeutische Arbeit gewesen ist, die ich unbewusst gemacht habe, indem ich einen jungen Menschen durch diese Krafttraining und den Muskelaufbau zu seiner eigentlichen Persönlichkeit geführt habe."

Den ganzen Menschen aufrichten

Es ist nicht nur Kraft-, sondern vor allem Motivationstraining, was Hans Löwe macht. Nicht nur die Wirbel, sondern den ganzen Menschen aufrichten. Zur Zeit lebt er in Brandenburg. In Wandlitz betreut er Parkinson-Patienten, gemeinsam mit einem Arzt dokumentiert er ein Jahr lang die Fortschritte. Außerdem trainiert er mit Schülern eines Gymnasiums, und in Bad Freienwalde arbeitet er mit Senioren in einem Fitnessstudio.
"Das ist die Elisabeth, die habe ich auch schon vor sechs Jahren betreut, als ich kurz in Wriezen gearbeitet habe. Sie ist auch eines der Fallbeispiele in meinem Buch, die damals mit Arthrose, Schulterproblemen und Depressionen zu kämpfen hatte. Und all diese Dinge haben wir, wenn sie trainiert, gut in den Griff gekriegt."
(Elisabeth Krause:)" Ich habe einen Gutschein bekommen. Ich dachte, probieren kann ich es ja. Aber ich war nicht überzeugt, dass nun Sport das Allheilmittel ist. Und als Herr Löwe kam und hat mir gleich erklärt, das wird besser und das wird besser, dachte ich: Du spinnst (lacht). Wirklich, ich habe ihn für einen Spinner gehalten und musste mich nachher entschuldigen. Er hat bei mir wirklich die Liebe zum Sport geweckt, und ich merke, wenn ich mal nicht trainiere, dann hat das seinen Preis. 2008, nach einer großen, schweren Entscheidung, ich musste meine Arbeit aufgeben, da war ich ganz unten. Tief im Keller. Und er hat mich hoch geholt. Da bin ich ihm sehr dankbar."
Elisabeth Krause tritt kräftig in die Pedale. Sie ist Mitte 60 und fünffache Großmutter. Zu der Depression, die sie wegen ihrer Arbeitslosigkeit entwickelte, kam ein jahrelanges körperliches Leiden, was sich stetig verschlimmerte.
"Ich hatte arge Probleme mit den Knien, starke Arthrose. Und die Schmerzen wurden irgendwie anders. Ich hatte ein stabileres Gefühl in den Knien. Die Schmerzen haben merklich nachgelassen durch den Muskelaufbau. Mein Orthopäde hat mir mal gesagt, ich war schon als Kind in Behandlung - du landest mal im Rollstuhl. Und das hat sich so eingeprägt bei mir, der hat das so gesagt und so wird es! Und jetzt kommt der Herr Hans und sagt: Das wird in Ordnung kommen! Ich bin immer noch nicht an den Knien operiert."
(Löwe:) "Du wirst auch nicht so schnell in den Rollstuhl kommen und vielleicht auch gar nicht!"
"Das hoffe ich!"
"Solche Prognosen zu geben, das führt eigentlich, wenn man keinen Ausweg anbietet, nur zu depressiven Zuständen. Und das verschlechtert ja nun jede Krankheit."

Ulrich Päsler fing er mit 78 mit dem Krafttraining an

Ulrich Päsler war schon 78, als er mit dem Krafttraining anfing. Er staunt, dass man auch noch in seinem Alter Muskeln aufbauen kann - das tut seiner Schulter gut. Und abgenommen hat er zur Freude seiner Familie auch schon.
(Löwe:) "Und wie fühlst du dich dabei?"
(Päsler): "Sehr gut."
"Was merkst du, was besser geworden ist?"
"Na, ich bin beweglicher geworden, alles. Ich fühle mich insgesamt wohler, ich kann mich besser bewegen und die Schulter ist geheilt. Da hatte ich vor einem Jahr einen Sturz auf die Schulter. Knochenabsplitterung. Ich spüre jetzt so gut wie nichts mehr."
"Und wenn ich das jetzt sehe, ist es schon fast normal, und für jemanden, der 78 ist, ist es sehr gut die Beweglichkeit. Das haben wir einfach nur geschafft, indem wir es getan haben."
Es einfach nur tun - das klingt wie das Lebensmotto von Hans Löwe. Er liebt das Quereinsteigen: ein Schwimmmeister, der als Sportlehrer arbeitete, ein Rechtswissenschaftler, der Türsteher war und Trainer, ein Bodybuilder, der in Finnland ein Feriendorf führte, in Frankreich den Weinanbau lernte und in Italien das mediterrane Kochen. Er ist jemand, der sich vielleicht schneller als andere einfühlen kann in neue Dinge, neue Aufgaben und Menschen. Auf diesem Weg gibt es bis heute Anfeindungen, wie zum Beispiel in dem Fall einer jungen, magersüchtigen Frau aus Stuttgart, die durch das Training - bei dem Hunger entsteht - wieder zu einem normalen Leben zurückfand.
"Da ist von der Mutter ein Forum im Süddeutschen Rundfunk ins Leben gerufen worden, wo sie, die Mutter und ich darüber gesprochen haben, wie es dazu gekommen ist und wie ich das gemacht habe. Und Tage später wurde ich von den Diplompsychologen der Umgebung fürchterlich angegriffen. Verbal, so richtig: Wie kann man einmal als Ossi und dann noch als dummer Bodybuilder überhaupt sich anmaßen, in die psychologischen Problematiken einzudringen? Dabei habe ich nichts weiter gemacht, als ihr Persönlichkeitsbild zu ändern, indem ich ihr bestimmte Dinge vorgelebt habe. Oder dort eingebunden haben in dieses andere Bild. Sie hat an mich geglaubt und an diesen Sport geglaubt und deshalb ist es dazu gekommen. Das ist eine ganz simple Geschichte."
Noch ein, zwei Jahre will Hans Löwe in Deutschland arbeiten, als Rentner dann, so ist der Plan, nach Süditalien gehen. Wein anbauen, gut kochen und - fit bleiben natürlich. Ein paar der selbstgebauten Geräte aus Gadebuscher Zeiten hat er schon durch halb Europa mitgeschleppt. Obwohl es ja dem Muskel eigentlich egal ist, ob er eine Bizepsmaschine bewegt oder eine Wasserflasche. In Italien tut es dann ja vielleicht auch eine Flasche vom selbstangebauten Wein.
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