Kulturgeschichte der Ritterfigur

01.06.2011
Karl-Heinz Göttert zeichnet in großen Bögen das Bild des Ritters nach, von den Anfängen in karolingischer Zeit bis zum Niedergang im 14. Jahrhundert. Er zeigt, wie aus dem Berufsstand des gemeinen Soldate eine prestigeträchtige Schicht wurde.
Was ein Ritter ist, glauben wir bis heute genau zu wissen: tapfer und mutig, großzügig, bescheiden, unabhängig. Dabei ist er zunächst nichts anderes als ein Krieger, einer, der Auge in Auge kämpft. Darauf beruht seine Autorität. Sein Glanz liegt in der Erscheinung hoch zu Ross, mit Lanze und Schwert, Wimpel und Wappen, mit wehendem Mantel und glänzenden Sporen. Bis heute fasziniert sein Bild, aber nicht weil er brandschatzend durch die Lande zog, raubend, mordend, vergewaltigend. Der wahre Ritter ist der edle Ritter.

Um dieser Ambivalenz auf die Spur zu kommen, zeichnet Karl-Heinz Göttert in großen Bögen das Bild des Ritters nach, von seinen Anfängen in karolingischer Zeit bis zu seinem Niedergang im 14. Jahrhundert, als der Reichsritter nur noch ein von der Steuer befreiter Untertan neben anderen war. Er zeigt, wie aus dem Berufsstand des gemeinen Soldaten, der Kriege führte, brutale Gewalt ausübte, in seiner Hochzeit unter Ottonen und Staufern eine prestigeträchtige Schicht wurde, der sich Hochadel, ja selbst Kaiser wie Friedrich Barbarossa zugehörig fühlten.

Die Rolle der Kirche, wenn sie mithilfe des Evangeliums disziplinierend eingriff und gewalttätige Haudegen zu Witwen- und Waisenbeschützern domestizierte, wird ebenso beleuchtet wie die Rolle des Hofes und der Geselligkeit, wo in Turnieren aus Kampf Spiel und Sport wurden und ein neuer Ton die Umgangsformen bestimmte: Raffinesse, Redegewandtheit, Eleganz.

Systematisch wird das Thema nicht erörtert, eher schlaglichtartig, angefangen von den Aufstiegschancen, die der Ritterschlag niederen Ministerialen in die gesellschaftliche Elite bescherte, bis zum Aufkommen neuer Waffen, die dem Ritter den Garaus machten.

Göttert schreibt anschaulich, unterhaltsam und detailfreudig. Auf Fußnoten verzichtet er gänzlich. Neben historischen Quellen zieht der Professor für Germanistik vor allem literarische Quellen heran. Im Vordergrund stehen die Artus- und Gralsgeschichten, Chrétien de Troyes’ "Perceval" und dessen deutsche Adaptionen durch Hartmann von Aue oder Gottfried von Straßburg. Unterstützt werden sie durch (leider nur schwarz-weiße) Abbildungen, Miniaturen aus der Manessischen Liederhandschrift etwa.

Mehr als für die äußere Beschreibung von Rittern interessiert sich Göttert für deren Lebensform. Dass er darin einen Grundzug der europäischen Zivilisationsgeschichte entdeckt, ist zwar nicht neu, doch in seinem literarisch fundierten Facettenreichtum zweifellos ein Verdienst. Freilich hätte man sich, statt mancher Ausflüge zu entlegenen poetischen Fundstellen, Fortschreibungen der Art gewünscht, wie das Ritterbild in triviale Mythen eingewandert ist: Warum etwa nimmt sich Walther von der Vogelweides ritterliches Ideal sich so vorzüglich aus? Wie kommt es zu James Bonds Kingsize-Bett? Und wie nobilitiert unser Ritterbild zu aller Genugtuung das mörderische Rachemotiv in Quentin Tarantinos "Kill Bill"?

So oder so: Götterts gelehrte, kurzweilig zu lesende Kulturgeschichte der Ritterfigur klärt auf verblüffende Weise einmal mehr darüber auf, warum bis heute Moral ohne Macht nicht zu haben ist.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Karl-Heinz Göttert: Die Ritter
Reclam, Stuttgart 2011
298 Seiten, 22,95 Euro