Kulturelles Krisengeplauder

Von Sven Ricklefs · 16.08.2012
Der Knall um die Streitschrift "Kulturinfarkt" ist noch nicht verhallt. Die Forderung, Kulturförderung radikal einzuschränken, sorgte auch auf dem Blauen Sofa der Salzburger Festspiele für Diskussionen.
So würzt man sich noch jede Diskussionsrunde: man setze sich einen Populisten auf die Bühne und schon ist der Zündstoff garantiert. Auch und gerade bei der Frage, wie viel Kultur können und wollen wir uns in Zeiten der Krise noch leisten. Und die Rolle des "bad guy" übernimmt Pius Knüsel, der Direktor der Schweizer Kulturstiftung pro helvetia neuerdings sehr gern, seit er vor ein paar Monaten zusammen mit seinen deutschen Co-Autoren in der Streitschrift "Kulturinfarkt" die radikale Schrumpfung öffentlichen Engagements etwa bei Theatern und Museen eingefordert hat. Sitzt jemand wie Pius Knüsel auf der Bühne, dann ist gleichsam unvermeidbar, dass sich Rest des Podiums mehr oder minder auf ihn einschießt, selbst wenn er wie der Wolf im Schafspelz formuliert:

"Ich finde, dass die Kulturlandschaft, wie sie gebaut ist, auch infrastrukturell, auch wachsen und wieder schrumpfen kann, nichts ist doch für die Ewigkeit. Denke ich, gerade in diesem Bereich. Kultur behauptet von sich - und so erleben wir sie doch - dass sie eine ständige Bewegung ist, dass neue Formen entstehen, neue Disziplinen neue Ausdrucksweisen, neue Publika kommen mit anderen Bedürfnissen und wir vier Autoren können einfach nicht begreifen, warum die 110 Stadttheater, die es jetzt in Deutschland gibt, genau die richtige Zahl sind, und die auf die nächsten 50 oder 100 Jahre gerettet werden müssen."

Es war vor allem der Schriftsteller Robert Menasse, der sich in der Salzburger Diskussion vehement gegen Knüsel Thesen stellte, die in ihrer Konsequenz Kultur in verstärktem Maße den Marktbedingungen überlassen sehen wollen und weniger öffentlicher Förderung in Form von Institutionen und Subventionen.

Menasse, der sich in seinem in Kürze erscheinenden Essay unter dem Titel "Der europäische Landbote" für mehr Kompetenzen einer europäischen Kulturpolitik ausspricht und gerade in ihr Chancen für Rahmenbedingungen einer europäischen Vielfalt sieht, zeigte sich in Salzburg als Verfechter eines gesellschaftlichen und staatlichen Kulturengagements:

"Warum soll am höchsten jemals in der Geschichte erreichten Stands des gesellschaftlichen Reichtums etwas nicht mehr finanzierbar sein, was vor 30 Jahren auf einem wesentlich niedrigeren Stand der Prdouktivität selbstverständlich finanzierbar war. Und das betrifft jetzt die Lebenskultur im Allgemeinen, unser Sozial- Gesundheits-Pensionssystem: Es ist eine Frage der Verteilung, wohin dieser Reichtum geht. Und wenn man jetzt sagt, dass das, was mit wesentlich weniger Reichtum finanziert werden konnte, kann heute nicht mehr finanziert werden, der soll dazu sagen auch, warum er ein Vertreter der ersten Generation in der Geschichte der Menschheit ist, der sagt, den nächsten soll es nicht besser, eher schlechter gehen als uns."

Dass dabei Kultur nicht nur ein selbstverständliches Nahrungsmittel sein sollte, sondern als Bildungsgut auch zur Vermittlung eines gesellschaftlichen Wertekanons dient, auf diese leider immer wieder vergessene Selbstverständlichkeit machte die ehemalige Oberbürgermeisterin von Frankfurt Petra Roth aufmerksam, die in ihrer 17-jährigen Amtszeit gerade auch mit einer verantwortlichen Kulturpolitik Zeichen gesetzt hat:

"Für mich ist Kultur ein elementarer Baustein für die Urbanität in Europa. Kultur ist für mich: Bildung. Und die Kultur muss erlernt werden von uns."

Natürlich sind diese Selbstverständlichkeiten in Zeiten der Krise sehr viel schwerer zu vermitteln und durchzusetzen, Doch während sich Pro Helvetia Direktor Pius Knüsel mit seiner Haltung gerade in der Krise staatliches Kulturengagement zurückzuschrauben eher keine Freunde machte, sah Robert Menasse die Krise gleich als Chance:

"Ich bin ein großer Fan dieser Krise, wirklich: Ich bin begeistert von dieser Krise aus einem einfachen Grund, weil diese Krise dazu zwingt, alles wieder neu zu diskutieren, neue Perspektiven zu entwickeln, kühnere Lösungen zu entwickeln, weil die nichtkühnen haben die Krise produziert. Raus kommen wir wieder nur mit Kühnheit, das heißt aber wieder auch mit Kultur."

Und auch der neue Intendant der Salzburger Festspiele Alexander Pereira liest die Zeichen der Krise in ungewöhnlicher Weise als Impulse zur Expansion. Er, der den Etat seines Festivals gerade erhöht hat, sich dafür aber auch selbst neue Sponsoren gesucht hat, setzt auf die Solidarität von Staat-Wirtschaft und Privaten:

"Diese Solidarität ist nach dem zweiten Weltkrieg zugrunde gegangen. Die endete irgendwann Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre. Und nach dem zweiten Weltkrieg hat sich der Staat über die öffentlichen Aufgaben definieren wollen, seine Unverzichtbarkeit für den Wähler herausstreichen wollen, indem er sagt, das übernehmen alles wir, wir finanzieren das. Und plötzlich geht dem Staat das Geld aus und jetzt hätte er wahnsinnig gern etwas, was schon mal existiert hat, nämlich eine Solidarität zwischen Staat Wirtschaft und Privatem, jeder krempelt die Ärmel hoch und sagt, verdammt noch mal: dieses Spital, diese Universität oder dieses Theater wollen wir jetzt gemeinsam unterhalten."

Natürlich ist auch Alexander Pereiras Position zumindest zu hinterfragen, schafft doch Sponsoring und privates Engagement immer auch die Gefahr der programmatischen Einflussnahme oder der vorrauseilend entschärften Programmgestaltung, trotzdem bildeten Pereiras enthusiastische Statements ein wohltuendes Gegengewicht zur Vision eines Hardcore-Kulturliberalismus jenseits jeglicher Solidarität:

"Wenn wir nicht diesen Durchbruch machen und uns bemühen um die Solidarität zwischen Staat, Wirtschaft und Privatem, dann werden wir unsere Probleme nicht lösen und dann landen wir in Büchern, die uns vorschlagen, dass wir die Hälfte unserer Theater schließen sollen."
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