Kulturdenkmal im Dornröschenschlaf

Von Christian W. Find · 30.06.2012
Der 1834 eingeweiht Alte Domfriedhof der Berliner Sankt-Hedwigs-Gemeinde ist heute der älteste noch erhaltene katholische Friedhof Berlins. Auf seinen Verfall aufmerksam zu machen hat sich Rainer Klaunick zur Aufgabe gemacht. Der zu DDR-Zeiten gelernte Grafiker arbeitete nach der Wende an der Katholischen Akademie.
Wer den Alten Domfriedhof durch das Tor an der Liesenstraße betritt, hat nicht unbedingt gleich den Eindruck, auf einem Friedhof zu stehen: Statt Grabstätten ist nur eine breite Wiese zu sehen, die darauf wartet, gemäht zu werden. Am Rande des Weges, der über die Wiese führt, liegt eine Metallplatte mit der Aufschrift: "Durch den Mauerbau zerstörte Gräber des 1. und 2. Weltkrieges." Die Wiese ist der ehemalige Grenzstreifen der Berliner Mauer. Bei ihrem Bau 1961 und in den Jahren danach waren hier alle Gräber beseitigt worden, der Eingang Liesenstraße war geschlossen, hier verlief die Grenzmauer, mit Wachtürmen und Stacheldraht.

Wer zu DDR-Zeiten den hinteren, noch intakten Teil des Friedhofs betreten wollte, konnte das nur noch von der Ostseite aus tun, durch ein kleines, streng bewachtes Tor. Und das auch nur, wenn er im Besitz eine Sondergenehmigung war, berichtet eine ältere Dame, die unter ihrem Regenschirm steht und gerade dabei ist, das Grab ihrer Verwandten neu zu bepflanzen.

"63, 64, da durfte man ja erst wieder rüber. Ich weiß dieses Weihnachten 63, 64, da durfte man ja das erste Mal überhaupt über die Grenze mit Passierschein. Da konnte man nur da so lang laufen. Und dann sind ja immer so Hunde, und ist ja alles kontrolliert worden. - Und wie oft sind sie dann hier rüber gegangen? - Ja, man durfte ja nicht so oft. So einmal im Jahr, wenn Gräber-Einsegnung war. Und selbst die, die hier gewohnt haben, das weiß ich, die durften auch nicht zu jeder Zeit auf den Friedhof."

So war der Alte Domfriedhof der St. Hedwigs-Gemeinde in einen Dornröschenschlaf gefallen, viele Gräber wuchsen allmählich zu. Nun hat sich Rainer Klaunick aufgemacht, das zu ändern. Mit Vorträgen und Führungen ruft er dazu auf, diesen Friedhof zu neuem Leben zu erwecken, so, wie auf dem benachbarten französisch-reformierten Friedhof bereits geschehen, der aus Mitteln der Lottostiftung wieder restauriert werden konnte. Manchmal beginnt Klaunick seinen Rundgang dort, am Grabmal Theodor Fontanes; der Dichter gab ihm das Motto für sein großes Anliegen:

"Es gibt nichts Lebendigeres als einen Friedhof, man muss ihn nur zu lesen verstehen. Und das können sie hier wirklich ablesen, die Geschichte der letzten 150 Jahre. Die Geschichte Berlins, die Geschichte des benachbarten katholischen Friedhofs, die Geschichte Fontanes und vor allem die Geschichte des Mauerbaus und den damit verbundenen Folgen. Das ist hier sehr gut ablesbar."

Die Folgen des Mauerbaus? Rainer Klaunick spielt damit vor allem auch auf die Jahre nach dem Mauerfall an, in denen es versäumt worden sei, den Alten Domfriedhof mit seinen wertvollen Grabmälern wieder zu restaurieren. Er führt die Besucher vorbei an stark verrosteten Grabzäunen, einem eingefallenen Mausoleum, abgebrochenen Kruzifixen und Engelsfiguren, die Jahrzehnte unter Wind und Regen gelitten haben.

Am Grabmal des Caféhausgründers Matthias Bauer sind noch deutlich Einschüsse zu erkennen. Noch in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges sei der Friedhof Schauplatz heftiger Kämpfe gewesen, sagt Rainer Klaunick. Und jetzt, nach all den Kriegszerstörungen und dem Mauerbau seien es die Grabplünderer, die dem Friedhof zusetzten.

"Ja hier stehen wir vor unserem größten Sorgenkind, Opfer von Vandalismus. Das Grabmal ja, in neoklassizistischer Muschelkalkstein-Architektur von dem Hofsteinmetzmeister Schilling und seinem Sohn - hier drunter ist nämlich noch eine sehr gut erhaltene Gruft. Hier hat man vor kurzem die Bronzegitter heraus gebrochen und damit die Statik ab der Fensterbank aufwärts völlig zerstört. Das heißt, dieses Grabmal, wenn überhaupt, muss also zur Hälfte abgetragen werden und wieder aufgemauert werden, und die Bronzegitter, wenn man das wieder historisch original herrichten will, müssten dann wieder neu rekonstruiert werden, und das wird also ein sehr teurer Spaß."

Berliner Persönlichkeiten liegen hier: Der Gründer des Hotels Adlon, Lorenz Adlon und seine Familie, Ernst von Ihne, der Baumeister des Bode-Museums, oder James Cloppenburg, der Mitbegründer des Bekleidungshauses Peek und Cloppenburg, um nur einige zu nennen. An einem völlig zugewachsenen Grab verrät Rainer Klaunick, dass dieser Friedhof noch sehr viel ältere Schätze birgt.

"Hier liegen die sterblichen Überreste von dem ersten Domfriedhof Sankt Hedwig vor dem Oranienburger Tor. Und dieser Friedhof 1777 vor dem Oranienburger Tor war der erste katholische Friedhof nach der Reformation und schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat man ein neues Gelände gesucht, hat dann dieses Gelände von dem Gastwirt Liesen kaufen können und hier einen neuen Friedhof angelegt. Das sieht man, wie sich Berlin entwickelt hat, denn hier waren ja bis Ende des 19. Jahrhunderts ungefähr 24.000 Bestattungen schon."

Heute ist der Alte Domfriedhof an der Liesenstraße in erster Linie eine Parkanlage, Beerdigungen finden kaum noch statt. Und wer sich hier bestatten lassen will, muss nicht mehr unbedingt katholisch sein. Und weil der Friedhof jetzt wieder von beiden Seiten zugängig ist, wird er immer häufiger auch als Durchgang genutzt, wie ein Spaziergänger berichtet.

"Es ist natürlich für alle Leute, die da hinten wohnen, ist das so eine Abkürzung. Hier gibt's ja so ein paar Supermärkte, da hinten, oder wer hier durch will. Da gibt's auch immer Streitereien wegen Fahrradfahren, irgendwann soll hier auch mal die Grufti-Szene hier irgendwie sich... deswegen wird hier ja nachts auch zugeschlossen, ab 20 Uhr. Dadurch, dass die Gräber so alt sind, gibt's auch relativ wenige Leute, die wirklich noch den direkten Bezug zu den Grabstellen haben."

Dennoch, der Alte Domfriedhof der Sankt Hedwigs Gemeinde erwacht allmählich zu neuem Leben: durch die Geschichten, die Rainer Klaunick an den Gräbern erzählt und seine Idee, einen Verein zu gründen, der sich für den Erhalt der wertvollen Grabstätten einsetzt. Und durch das Interesse, das sich hier noch einmal ganz anders einstellen kann.

"Ich besuch gerade meine Schwester und geh hier auch zum ersten Mal durch und bin begeistert, hier kann man wirklich gut durchgehen. Nachvollziehbar, dass es ein paar Verhaltensregeln auf dem Friedhof gibt, die man wahren muss, trotz allem ist das ja auch ein Teil unseres Lebens, um sich daran zu beteiligen und das so auch zu nutzen. Gerade am Rand kann man sich wunderbar zurückziehen und mal mit einer Decke an die Seite setzen und auch die Ruhe zu genießen, die Vögel, die im Stadtlärm total untergehen. Toll, zu riechen, Flieder, ich bin ganz begeistert. Also wenn ich könnte und hier wohnen würde, ich würde hier häufiger durchgehen."
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