Kulturbetrieb

"Ungeheure Doppelmoral"

Stühle an einem Konferenztisch
Jens Bisky: "Ich weiß nicht, was das soll, eine Kulturpolitik, die gegen das Publikum (...) agiert." © Deutschlandradio / Ellen Wilke
Jens Bisky im Gespräch mit Nana Brink  · 19.06.2015
Prekäre Arbeitsverhältnisse und selbstherrliche Entscheidungen in der Kulturpolitik beklagt Jens Bisky, Kulturredakteur der "Süddeutschen Zeitung". Die Auswahl des neuen Intendanten der Berliner Volksbühne sei zum Beispiel im Hinterzimmer getroffen worden. Derzeit tagt in Berlin der kulturpolitische Bundeskongress.
"Wir merken zunehmend, dass es eine Neigung gibt, selbstherrlich zu entscheiden", sagte der Kulturredakteur der "Süddeutschen Zeitung", Jens Bisky, im Deutschlandradio Kultur. Das habe sich unter anderem in Berlin bei der Bestellung des Nachfolgers für den Intendanten der Volksbühne Frank Castorf gezeigt. "Ich weiß nicht, ob Dercon eine gute Entscheidung ist oder nicht", sagte Bisky. "Das werden wir irgendwann sehen." Aber der Berliner Kulturstaatsekretär Tim Renner habe diese Entscheidung im Hinterzimmer selbstherrlich getroffen und auf Kritik nicht reagiert. "Ich weiß nicht, was das soll, eine Kulturpolitik, die gegen das Publikum und gegen die Freunde der Häuser, mit denen sie sich beschäftigen, agiert."
Die Künstler verdienten erbärmlich wenig
Mit Blick auf die prekären Arbeitsbedingungen im Kulturbetrieb beklagte Bisky eine "ungeheure Doppelmoral". Die Künstler verdienten erbärmlich wenig. Wenn jemand auf einen Monatsverdienst von 1500 Euro Brutto komme, sei das schon gut. "Nun hat niemand das Anrecht zu sagen, ich bin Künstler und jetzt will ich davon leben", sagte Bisky. "Aber, wenn öffentliche Institutionen ihn beschäftigen, dann hat er ein Anrecht, ordentlich bezahlt zu werden." In vielen Theatern würden aber Proben oft nicht mehr bezahlt und für eine Reihe von Vorstellungen gebe es manchmal nur 900 Euro. "Davon kann keiner leben", kritisierte Bisky. "Wenn Amazon in seinen Auslieferungslagern solche Arbeitsbedingungen anbietet, dann protestieren wir alle. Gegen TTIP sagen die Kulturverbände immer: Oh, da wird ein neoliberales Menschen- und Gesellschaftsbild durchgesetzt! "Aber in den eigenen Institutionen duldet man und fördert man solche prekären Beschäftigungsverhältnisse." Er finde das verlogen.
Asymmetrie in der Kulturpolitik
Bisky rügte auch das dramatische Ungleichgewicht in der Ausstattung verschiedener Kultureinrichtungen. "Es sind die Bibliotheken ungeheuer unterfinanziert", sagte der Kulturredakteur. In den größeren Städten sei jede dritte Bibliothek von dramatischen Sparmaßnahmen betroffen. Andererseits habe beispielsweise der Preußische Kulturbesitz in seiner Bibliothek in Berlin Unter den Linden gerade Lesesaalplätze für 320.000 Euro eingerichtet. "Da gibt es irgendwie eine Asymmetrie, mit der man umgehen muss, wenn man von Kulturpolitik in Zukunft reden will."
In Berlin tagt derzeit der 8. Kulturpolitische Bundeskongress "Kultur. Macht. Einheit?", den die kulturpolitische Gesellschaft zusammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung veranstaltet.
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