Kultur zwischen Grabsteinen

Friedhof als Stätte der Kunst

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Blick auf den Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin Mitte. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Matthias Bertsch · 05.07.2015
Die Kapellen verfallen, das Interesse an Zeremonien geht zurück. Um Leben auf den Friedhof zu bringen, gehen Verwaltungen neue Wege. Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin konstruiert der Künstler James Turell eine Lichtinstallation.
Noch ist die Kapelle auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof für Besucher geschlossen, doch die Lichtinstallation von James Turrell ist längst fertig. Ein ganz in weiß gehaltener Raum ist hier entstanden, der vor allem durch Kunstlicht wirkt. Die bis zum Boden gehenden Seitenfenster der Kapelle sind aus mattiertem Glas um Schatten zu vermeiden. Und auch die Glasscheiben, die zwischen den Fenstern in den Raum ragen und die Apsis, also die Altarnische, vom Rest der Kapelle trennen, sind nicht durchsichtig. In ihnen befinden zahlreiche verschiedenfarbige LEDs, das Herzstück der Installation.
"Es kann sein, dass Sie sich also jetzt hier in diesem Raum befinden, und die Farbe blau ändert sich auf einmal in gelb und dann ins weiß, und Sie merken es fast nicht, also eine so extreme Verlangsamung, dass Sie sozusagen mit diesem Farbwechsel gleichsam mitgehen ohne es wirklich zu merken, und dann können Sie nur sagen: Moment, es war doch vor zehn Minuten, noch blau."
Christhard-Georg Neubert hat Turrell für das Projekt gewonnen. Es ist die erste Installation des amerikanischen Lichtkünstlers in einem Gebrauchsraum, betont der Kunstbeauftragte der Evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg. Das kann auch Probleme mit sich bringen, gibt Neubert zu, schließlich soll die Friedhofskapelle nach ihrer Wiedereröffnung ja auch weiterhin für Beisetzungen genutzt werden.
"Ich bin sicher, dass wir darüber uns noch mal ganz gesondert Gedanken machen werden, weil natürlich beide Interessen in geeigneter Weise Berücksichtigung finden müssen: das ungestörte Begehen einer Trauerfeier an diesem Ort, und gleichzeitig das Interesse der Menschen, diesen Ort zu erleben als einen Lichtraum an einem Ort, an dem normalerweise das Dunkel der Seele das Bestimmende ist."
Zunehmende Bedeutungslosigkeit von Friedhöfen
Kunst auf dem Friedhof. Nicht alle haben Verständnis für diese neue Nutzung, doch für manche Gemeinde ist es die einzige Chance, dem schleichenden Prozess einer zunehmenden Bedeutungslosigkeit von Friedhöfen und dem Verfall historischer Gebäude etwas entgegenzusetzen. Auch in Rathenow war das so. Der Friedhof der evangelischen Kirchengemeinde St. Marien-Andreas ist einer der ältesten in Brandenburg, das Torhaus am Eingang, die ehemalige Leichenhalle, ist 250 Jahre alt. Doch weil in den letzten Jahrzehnten mit der Zahl der Bestattungen auch die Einnahmen des Friedhofs zurückgingen, drohte das Gebäude einzustürzen. Bis sich der Verein Memento gründete und das Torhaus mit Spenden und öffentlichen Geldern restaurierte. Vor knapp zehn Jahren wurde hier die erste Ausstellung eröffnet.
Eva Lehmann: "Es gab gewisse Vorbehalte ganz zu Anfang bei unserer ersten Vernissage z.B. als es ein bisschen lauter wurde, fragten einige Leute an, was das denn werden sollte auf dem Friedhof, dass das ja wohl nicht passend wäre, aber das hat sich total gelegt, die Leute empfinden das als normal inzwischen nach so vielen Jahren, die sagen: das ist schön und es gehört dazu."
Ausstellungen, Musik, Lesungen, das Programm von Memento ist vielfältig, auch jetzt im Rahmen der Bundesgartenschau finden regelmäßig Konzerte und Vernissagen statt. Das Torhaus ist längst eine feste Größe in der Kulturszene Rathenows, betont die Vorsitzende von Memento, Eva Lehmann. Doch es geht nicht nur um Kultur.
"Es ist ne ganz besondere Atmosphäre, die da herrscht, und das bestätigen viele Leute auch bei Vernissagen, dass sie sagen: ja, das ist nicht ne normale Vernissage, man kommt raus und schaut auf die Grabsteine und wird sich seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst, das ist ja auch ganz wichtig."
Auch die Kulturkapellen wollen die Lebenden wieder auf die Friedhöfe holen. Das Projekt der beiden Architekten Dennis Bilbrey und Martin Ernerth, erweckt Berliner Friedhofskapellen, die sonst kaum mehr genutzt werden, jedes Jahr von April bis Oktober aus ihrem Dornröschenschlaf. Martin Ernerth:
Martin Ernerth: "Wir machen aber nicht nur Konzerte oder nur Filmvorführungen sondern es geht schon darum, ich nenn es mal: Ein Abend auf dem Friedhof oder so etwas zu etablieren, d.h. ne kulturelle Veranstaltung zu etablieren, wir haben auch immer ne kleine Bar dabei, Sie können nachmittags nen Kaffee trinken, Sie können abends n Weinchen trinken oder vielleicht sogar mal ne Suppe essen in der Konzertpause, und es geht darum, auch Informationen über den Friedhof rüberzubringen, d.h. ne Führung zu machen oder auch Fragen dazu zu beantworten."
Die Grenzen der Pietät sind verschieden
Wie weit diese kulturelle Nutzung von Friedhöfen gehen darf, ist schwer zu sagen: Die Grenzen der Pietät sind bei jedem Menschen verschieden. Doch eins ist klar: Der Friedhof soll mehr sein als eine bloße Kulisse für Kulturevents.
"Also es geht drum, im ersten Schritt Dinge dort zu machen, die sich auch in irgendeiner Art und Weise mit dem Ort auseinandersetzen und dem Ort dienlich sind, und zwar nicht nur deshalb dienlich sind, weil irgend ne hype Eventagentur nen Tausender am Abend zahlt dafür, dass sie dann ihre Modenschau da durchführen darf, sondern dass es auch nachhaltig dem Friedhof dient, das Thema auch weiterführt und den Besuchern das Thema in gewisser Weise auch nahebringt. Das kann auch theoretisch über ein Rock n Roll-Konzert passieren irgendwie, aber es ist doch eher in der besinnlichen Ecke zu suchen."
Letztlich muss im Einzelfall entschieden werden, ob eine Veranstaltung auf den Friedhof passt oder nicht, ist Jürgen Quandt überzeugt. Der Geschäftsführer des evangelischen Friedhofsverbandes Berlin Stadtmitte arbeitet eng mit den Kulturkapellen zusammen und unterstützt auch das Projekt von James Turell in der Kapelle des Dorotheenstädtischen Friedhofs. Der Friedhof im Zentrum Berlins wird schon heute vor allem von Touristen besucht, und das könnte durch die Lichtinstallation noch zunehmen.
Jürgen Quandt: "Wie wir mit den Massen von Kunstinteressierten dann umgehen und klar kommen, das weiß ich auch noch nicht, also wir werden es abwarten müssen. Das ist auch für uns ein Abenteuer und eine Ungewissheit, da wird man einfach aus der Erfahrung auch lernen müssen, glaube ich."
Für die meisten Friedhöfe in Deutschland ist das zuviel an Kunst- oder Geschichtsinteressierten Besuchern allerdings nicht das Problem. Im Gegenteil: nur wenige können historische Gräber oder Gebäude bieten, die den Friedhof als kulturellen Ort attraktiv machen. Und so bleibt für viele Friedhofsträger, egal ob kirchlich oder kommunal, die Frage, was tun, wenn Flächen für Beisetzungen nicht mehr benötigt werden. In Berlin betrifft das in etwa die Hälfte aller Friedhofsflächen. Jürgen Quandt:
"Da berührt man auch bestimmte Befindlichkeiten und betritt sehr unsicheres Gelände, nämlich die Frage, kann man aus einer Friedhofsfläche etwas anderes machen als dass sie immer und ewig nur Friedhofsfläche ist, konkret also in bestimmten Stellen, und diese Diskussion führen wir ja auch seit einigen Jahren, kann man auf Friedhofsflächen z.B. Gebäude errichten, z.B. Wohnungen?"
Auf diese Frage haben auch die verschiedenen Friedhofs-Kulturprojekte keine Antwort, zumindest keine endgültige. Aber vielleicht können sie dazu beitragen, die Themen Tod und Bestattung wieder ins gesellschaftliche Bewusstsein zu bringen, damit die Diskussion über die Zukunft der Friedhöfe nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt wird.

Die neu gestaltete Friedhofskapelle auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin wird am 8. Juli 2015 eingeweiht – und mit ihr die Lichtinstallation des amerikanischen Künstlers James Turrell.

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