Kulinarisches Kino auf der Berlinale

Fantasierte Festessen gegen den Tod

Das Spiegelzeltrestaurant "Gropius Mirror" 2015 in Berlin während der 65. Internationalen Filmfestspiele in dem das Kulinarische Kino veranstaltet wird.
Das Spiegelzeltrestaurant "Gropius Mirror" 2015 in Berlin während der 65. Internationalen Filmfestspiele in dem das Kulinarische Kino veranstaltet wird. © picture alliance / ZB / Jens Kalaene
Von Johannes Kaiser · 12.02.2015
Seit zehn Jahren gibt es das Kulinarische Kino auf der Berlinale, also Filme zum Thema Essen. Darin geht es in diesem Jahr um einen Koch aus Peru, der Landsleuten alte Rezepte nahe bringt, alte Pflanzensamen und von KZ-Häftlingen fantasierte Festessen als Überlebensstrategie.
"Die Idee ist, das Kochen als Mittel einzusetzen, um allen peruanischen Kindern gesundes und nährstoffreiches Essen, das gut schmeckt, zu verschaffen, so dass sie stolz auf ihr Land, seine Natur, seine Kultur sind, stolz auf die Rezepte der Großeltern, die Pfeffersauße, den Mais."
Ungewohnte Worte für einen vielfach ausgezeichneten Meisterkoch. Doch der Peruaner Gastón Acurio, der vor gut 20 Jahren in Lima zusammen mit seiner Frau ein Restaurant eröffnete, ist kein abgehobener Star, sondern ein Mann, der seinen Landsleuten zu gutem Essen verhelfen möchte. Er kümmert sich um die Ernährung in ländlichen Schulen, ermutigt die Indios, seltene Kartoffel- oder Quinoa-Sorten wieder anzubauen
Filmausschnitt: "Ich heiße Navidad Flores Mamani. Wir stammen aus der Batalla Gemeinde. Wir haben mehr als 37 Quinoa Sorten. Wir versuchen, die Sorten unserer Ururgroßväter wieder anzubauen."

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Die peruanische Filmemacherin Patricia Perez hat dem Koch Gastón Acuria zwei Jahre lang über die Schulter geschaut. Ihr Dokumentarfilm zeichnet das Bild eines sympathischen, sozial engagierten Mannes, der ihrer Meinung nach Peru durch sein Kochen, das heißt die Rückbesinnung auf die traditionelle peruanische Küche verändert hat.
Es ist nicht der einzige Film, der sich mit dem Erhalt alter Sorten auseinandersetzt. Nüchtern, sachlich, gleichzeitig höchst engagiert kämpft seit Jahrzehnten der amerikanische Biologe Cary Fowler um den Erhalt der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft:
Filmausschnitt: "Die meisten von uns halten Pflanzensamen für eine Selbstverständlichkeit. Aber die Grundlage der Landwirtschaft ist die Vielfalt bei jeder einzelnen Nutzpflanze und die steckt in den Samen. Das ist die biologische Grundlage unserer Lebensmittelproduktion. Das Schicksal der Menschheit hängt von dieser genetischen Ressource ab. Nichts ist wichtiger als sie.”
Gendatenbank für Samen im ewigen Eis
Wie der Film der Amerikanerin Sandy McLeod zeigt, ist dem Amerikaner zu verdanken, dass Norwegen auf der Inselgruppe Spitzbergen tief in einem Berg im ewigem Eis eine große Genbank eingerichtet hat. Verschlossen hinter Stahltüren lagern in ihren Regalen hunderttausende Samen so gut wie aller Nahrungspflanzen weltweit und zwar in all ihren über Jahrtausende gezüchteten Variationen. Und täglich kommen neue hinzu. Aus Peru allein stammen über 1500 Kartoffelsorten. In dieser weltweit größten Gensammlung, so hofft Cary Fowler, werden sich Sorten finden lassen, die das Überleben der Menschheit sichern, wenn die jetzigen Hochleistungssorten dem Klimawandel oder neuen Krankheitserregern zu Opfer fallen. Der Film zeigt dies in aller Eindringlichkeit.
Perspektivwechsel: Statt reich gefüllter Tafeln Hunger als bewusst geplante Vernichtungswaffe. In ihrer Dokumentation "Imaginary Feasts", fantasierte Festessen, die morgen im Kulinarischen Kino laufen wird, zeigt die französische Regisseurin Anne Georget, wie die Fantasie das Überleben unter mörderischen Bedingungen erleichtern kann. Es ist schon paradox: während jeden Tag KZ-Häftlinge an Hunger und Schwäche starben, hockten zugleich kleine Gruppen von ihnen zusammen und schwärmten sich gegenseitig vor, welche Gerichte sie nach ihrer Befreiung kochen würden, tauschten Kochrezepte aus. Sie schrieben sogar heimlich Kochbücher, obwohl sie wussten, dass man sie bei deren Entdeckung sofort erschießen würde. Warum haben sie dennoch dieses Risiko auf sich genommen? Christiane Hingouet, französische Resistance-kämpferin, die erst nach Auschwitz, dann nach Ravensbrück deportiert wurde, erinnert sich im Film noch sehr lebhaft:
Filmausschnitt: "Unser Sonntagsfrühstück gab uns die Stärke zu überleben und das war wichtig. Nach einem fantasierten Gourmet-Mahl fühlten wir uns erleichtert nicht nur durch eine fantasierte Sättigung, sondern auch weil wir durch das Zusammensitzen wie an einem Esszimmertisch wieder einen Familienkreis geschaffen hatten. Unsere Angst verflog, ob wir unsere Lieben noch einmal sehen würden, wie unser Leben weitergehen würde, falls wir überlebten."
Wie Historiker, Psychologen, Anthropologen, Neurologen, Philosophen im Film erklären, war es für die Häftlinge ein Moment kollektiven Aufbäumens gegen ihre beschlossene Vernichtung, ein Akt der Solidarität, der ihnen Kraft gab, gegen den Tod anzukämpfen. Alles konnte man ihnen nehmen, nur nicht ihre Fantasie.
Im Unterschied zu den anderen Filmen wird es nach dem Film kein Menü eines Spitzenkochs zu verkosten geben. Das wäre wohl auch unangebracht.
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