Künstlicher Komet

Barium explodiert wie ein kosmischer Schweif

Komet und Sternennebel im Weltall auf einer Grafik.
Komet und Sternennebel im Weltall auf einer Grafik. © Imago / Imagebroker
Von Mathias Schulenburg · 27.12.2014
Einst galten sie als Unglücksboten und geben der modernen Wissenschaft immer noch Rätsel auf: Kometen. Um die raren Himmelskörper in Ruhe erforschen zu können, haben Max-Planck-Forscher vor 30 Jahren einen künstlichen Kometen mit einem passablen Schweif in den Himmel geschickt - zahlreiche Phänomene können seither erklärt werden.
Für das chemische Element Barium hätte das der glanzvollste Auftritt sein können, als funkelnde, gefällig anzusehende fahlgrüne Sternchen in einem Feuerwerk, indessen: Die Wissenschaft hatte mit Barium noch viel mehr vor: Eine Karriere als künstlicher Kometenschweif.
Anders als der Ausdruck "Schweif" und weihnachtliche Holzschnitte vermuten lassen, ziehen Kometen diese Gebilde nicht hinter sich her, ihre Ausrichtung kommt vielmehr wie die einer Rauchfahne zustande: Der Komet wird in Sonnennähe von einer Art Wind angeblasen, der dort vom Kometen abgegebene Gase und Staubteilchen wegtreibt und als Schweif erscheinen lässt, der von der Sonne wegweist. Meist sind es zwei Schweife. Der klassische, auffälligere besteht aus Staub und wird vom Druck des Sonnenlichtes zusammengefegt, für den anderen – eine pfeilgerade Lanze leuchtenden Gases –, gab es lange keine überzeugende Erklärung. Bis den Wissenschaftlern eine Bariumwolke zu Hilfe kam. Das Geschichtsarchiv der NASA vermerkt:
"In der trickreichen Technik optischer Wolken war [...] eine Gruppe experimenteller Astrophysiker in Garching bei München [...] führend. Die Hauptakteure bei der Entwicklung der Technik waren Ludwig Biermann und Reimar Lüst. 1951 hatte Biermann Parkers Entdeckung des Sonnenwindes vorausgesehen und behauptet, dass der Kometenschweif, der immer von der Sonne wegzeigt, von solaren Partikeln getrieben wird."
Dem Sonnenwind. Das zu beweisen, stieg in der Folgezeit eine Serie von Forschungsraketen mit Bariumkanistern auf – Barium war aus vielen Gründen fast ideal –, die zunächst nicht die Höhen erreichten, in denen aus dem ausgestoßenen Metallgas ein künstlicher Kometenschweif hätte entstehen können. Reimar Lüst erinnert sich in einem Interview der Max-Planck-Gesellschaft:
"Die ersten Raketen gingen auf etwa 200, 300 bis 400 km Höhe. Bei den Versuchen stellten wir fest, dass selbst bei dieser Höhe etwas wissenschaftlich Vernünftiges herauskam, denn die Bariumwolken traten in Wechselwirkung mit dem Erdmagnetfeld. Dadurch konnte man dann die Drift der Erdmagnetfeldlinien messen, was gleichbedeutend ist, dass man zum ersten Mal das elektrische Feld hat messen können. Die ganze Methode wurde zunächst überwiegend eingesetzt, um das elektrische Feld in diesen Höhen zu bestimmen, vor allem dann im Polarlichtgebiet."
USA, England, Deutschland finanzierten Projekt
Für die Versuche an der US-amerikanischen Ostküste vom September 1966 notierte das NASA-Archiv große allgemeine Aufregung:
"Hunderte Meilen entlang der Küste waren drei verschiedene [leuchtende] Wolken [am Nachthimmel] zu sehen. Wissenschaftler der NASA und Westdeutschlands machten Fotos, um elektrische Felder und Winde in der oberen Atmosphäre zu bestimmen. [... ] Manche Küstenbewohner berichteten von leuchtenden UFOs oder waren von den kräftig gefärbten Wolken so fasziniert, dass sie von der Straße abkamen."
Der erste richtige künstliche Komet mit Schweif zeigte sich dem irdischen Publikum am 27. Dezember 1984. Er kam mittels eines Satelliten zustande; das Projekt wurde von drei Nationen – USA, England, Deutschland – betrieben. Deutschland war mit einem Ion Release Modul, IRM, dabei, das im Weltraum Lithium- und Barium-Ionen entließ, die nach Kräften leuchteten. Der verantwortliche Wissenschaftler, Gerhard Haerendel, beschrieb in einem Vortrag am amerikanischen Dartmouth College 2011, welche Dimensionen die Leuchtwolken hatten:
"Fühlen Sie sich bitte nicht von der pompösen Musik gestört, die ist schon angemessen. Denn [diese Leuchtwolke] ist das größte Objekt, das Menschen je gemacht haben. Zugegeben mit Hilfe des Sonnenwindes, aber das Volumen dieses Kometen und seines Schweifes beträgt ein Prozent des Erdvolumens. Etwas größeres Künstliches ist mir nicht bekannt. Es wurde aber nur fünf Minuten alt."
Die Forschung am Kometenschweif hat eine große Zahl von Phänomenen erklären können, wie Gewitter auf Jupiter ... oder die Folgen eines Sonnensturms auf den irdischen Funkverkehr.
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