Künstliche Intelligenz und Machine Learning

Sieben Milliarden Opfer der Rationalisierung

Der wissenschaftliche Mitarbeiter vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, Dennis Mronga, justiert am 04.03.2013 auf der weltgrößten Computermesse CeBIT in der Messe Hannover (Niedersachsen) den rechten Arm der Roboterdame AILA.
Seit Jahren wird die Künstliche Intelligenz erforscht. Martin Burckhardt sieht aber nicht in Robotern die entscheidende Gefahr für das Selbstbild der Menschen, sondern in der Digitalisierung der Arbeit. © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Martin Burckhardt · 24.06.2016
Unser Bild von der Künstlichen Intelligenz wird von Hollywood-Roboter-Klischees bestimmt. Dabei läuft die technische Revolution als Lernprozess unserer Computer in der Hosentasche ab. Und dies wird auch die Zukunft des Arbeitsmarktes radikal beeinflussen.
Wenn man Stunden auf einen Bildschirm gestarrt hat, gibt es diesen Moment, da sagt man sich, jetzt reicht es! Raus, aber sofort! Und tatsächlich, mit dem Augenblick, da man in das wirkliche Leben hinaustritt, reißt der Himmel auf: Der sonnenwarme Asphalt - und das Gefühl, dass man in einer Realwirtschaft einkehren und sich einen Cappuccino genehmigen sollte.
Aber das Idyll trügt. Vielleicht hätte ich ja schon Verdacht schöpfen sollen, als sich die Dame mit der Blumenreben-Handyhülle an meinen Tisch setzte. Später kam ich an einer Bankfiliale vorbei und dachte: "Hoppla, wo ist denn die geblieben?" Bei der zweiten schält sich ein Muster heraus, und bei der dritten wird klar, dass die Furien des Verschwindens auch das wirkliche Leben heimgesucht haben.

Es kommen keine seelenlosen Roboter

Eigentlich hätte man es kommen sehen müssen. Wenn nicht, so weil man sich von der Machtübernahme ein falsches Bild gemacht hat. Denn während wir noch immer den Aufmarsch seelenloser Roboter erwarten, hat man uns längst in die Tasche gesteckt, genauer: haben sich im Innern unserer Smartphones jene Fremdkörper eingenistet, welche die Informatiker Künstliche Intelligenz oder Machine Learning nennen.
Gott, werden Sie sagen! Woher soll ich wissen, was der Unterschied ist? Dabei ist die Antwort nicht schwer. Meine Mutter, die von der Informatik so viel versteht wie ich von der Online-Verkupplung, hatte die schöne Weisheit auf Lager: Was man nicht im Kopf hat, das hat man in den Beinen.
Was die Sache auf den Punkt bringt. Denn während sich die Verfechter der Künstlichen Intelligenz mit der Frage abmühen, wie sich der Kopf eines Menschen abbilden lässt, setzt das Machine Learning auf die Statistik, also gewissermaßen auf die Füße. Auf die Masse all derer, die tagtäglich durchs Internet ziehen.

Trampelpfade sagen mehr als das elektronische Gehirn

Woher weiß Google, dass ich, wenn ich das Wort "Online Dating" in die Suchmaske eingebe, als nächstes nach den "Online Dating Tips" suchen werde? Weil Tausende genau nach dieser Phrase gesucht haben. Und hat man diese Informationen, beginnt das Programm, quasi eigenständig, all jene Menschen zu gruppieren, die einen bestimmten Trampelpfad nutzen.
Während die sogenannte Künstliche Intelligenz noch immer nicht an das Weltverständnis eines Fünfjährigen heranreicht, haben sich die statistischen Methoden des Machine Learning als sehr viel effizienter erwiesen. Und warum? Weil der erwachsene Mensch ein Gewohnheitstier ist und Berufsbildung auf eine spezielle Verblödung hinausläuft. Deswegen kann man die Maschine nutzen, um Roboter in der Verpackungskunst zu trainieren, ihnen die Finessen der Steuerbuchhaltung beizubringen oder wie man Textbausteine zu einer Sportberichterstattung zusammen montiert.
Was immer wir tun, stets schulen wir unsere Computerintelligenz. Damit verwandelt sich die Datenbank zu einer sozialen Instanz, die nicht nur unsere bescheidenen Fähigkeiten abkupfert, sondern auch Grippeinfektionen, Diebstähle oder Beziehungskisten vorhersagen kann. Anders jedoch als im Film geht es hier nicht um prophetische Inselbegabungen, sondern um eine statistische Version unser selbst. Von daher ist die Angst vor der allwissenden Datenkrake absurd, sind wir doch diejenigen, die unser Monster, den digitalen Max Mustermann füttern.

Sieben Milliarden potenzielle Rationalisierungsopfer

Und ist dagegen etwas einzuwenden? Eigentlich – nichts.
Und selbst wenn, was würde das ändern? Gewiss ist, dass die Maschine im Laufe der Zeit immer intelligenter wird – so intelligent, dass man sich fragen kann, ob stumpfsinnige Tätigkeiten nicht besser von ihr als von einem schlecht gelaunten Kollegen erledigt werden sollten. Was im Übrigen das Phänomen der verschwundenen Bankfiliale erklärt.
Als zwei Oxforder Forscher sich mit dem Rationalisierungspotenzial des Maschine Learning beschäftigten, war ihre Frage, wie groß eigentlich der Markt dieser Technik sei. Und die Antwort? Sieben Milliarden, so viel, wie es Menschen auf der Welt gibt.
Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum mich die Frage nach der verschwundenen Filiale beschäftigt. Denn jede Arbeit, die digitalisiert werden kann, wird unweigerlich im Arbeitsspeicher verschwinden. Mögen wir uns vollbeschäftigt einreden, dass wir uns darum keinen Kopf machen müssen, in Wahrheit stecken wir längst im Museum der Arbeit. Ökonomen sollten spazieren gehen.
Martin Burckhardt, geboren 1957, Autor und Kulturtheoretiker, lebt in Berlin. Verfasste diverse Bücher zur Genealogie der Maschine. Zuletzt erschienen: "Digitale Renaissance. Manifest für eine neue Welt" (Metrolit, 2014), der Roman "Score" (Knaus, 2015) sowie "Alles und Nichts. Ein Pandämonium digitaler Weltvernichtung" (gem. mit Dirk Höfer, Matthes & Seitz 2015).
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