Künstliche Befruchtung als Routine

10.05.2009
Eine künstliche Befruchtung ist inzwischen Routine geworden - in Deutschland verdankt mehr als jedes hundertste Kind der Reproduktionsmedizin sein Leben. Doch wie fühlt man sich als Spenderkind? Arthur Kermalvezen, der anonyme Sohn eines anonymen Samenspenders, erzählt in "Ganz der Papa" seine Geschichte und erörtert die Frage, wie wichtig die genealogische Abstammung für unser Selbstverständnis ist.
Das Buch "Ganz der Papa" ist eine Kampfschrift, auch wenn sie in die mit leichter Hand geschriebene Lebensgeschichte von Arthur Kermalvezen verpackt ist. Der Autor tritt für die Rechte der aus Samenspenden hervorgegangenen Kinder ein - in Frankreich 50.000 an der Zahl, in Deutschland übrigens doppelt so viele.

Deutlich sagt er: Ich gebe mich nicht damit zufrieden, dass technisch von Pailletten von der Samenbank gesprochen und damit verschleiert wird, dass es sich um Leben handelt! Ich will meine Abstammung kennen. Trotz vieler humorvoller Episoden liest sich das 176 Seiten dicke Buch von Arthur Kermalvezen wie ein lauter, schmerzerfüllter Schrei. Wenn er schon Sprüche wie "Ganz der Papa" aushalten müsse, dann wolle er auch wissen, wer - nicht sein Vater - aber sein Erzeuger ist, so seine Botschaft.

Arthur Kermalvezen ist Mitte 20. Bereits im Alter von drei Jahren erfuhr er, dass er und seine beiden Schwestern Kinder von anonymen Samenspendern sind. Seine Eltern hielten die Unfruchtbarkeit des Vaters vor den Kindern nicht geheim. Dass dies für ihren Sohn aber nicht nur eine sachliche Information ist, konnten sie sich nicht vorstellen. Mit seinem Buch "Ganz der Papa" wirft Arthur Kermalvezen seinen Eltern nicht vor, einen Ausweg aus der Kinderlosigkeit gesucht zu haben.

Was ihn auf den Plan ruft, ist die Haltung vor allem der Ärzteschaft und der für die Reproduktion zuständigen Behörden. Die tun so, als gäbe es einen Anspruch auf Nachwuchs, den sie in ihrer Allmacht in Weiß gern erfüllen. Dabei ignorieren diese Mediziner - so der Autor - dass sich hinter den Zellhaufen, die sie einfrieren, lagern, verwalten und verpflanzen etwas Lebendiges verbirgt, das Achtung verdient. Der Autor ist wütend, dass sie die Zeugung wie einen geheimen Verwaltungsakt behandeln.

Dabei geht es um 23 Chromosomen, die einen Teil seiner Identität ausmachen. Darüber nichts zu wissen, so beschreibt es der Autor, lässt ihn sein halbes Leben haltlos und unsicher sein. Er ist sich selbst fremd und immer wieder von Phobien getrieben: Kann es nicht sein, dass der Vater seiner Freundin sein Erzeuger ist? Er will wissen, ob die Spender je darüber nachdachten, was aus ihrem Samen wurde und wie sie mit der Vorstellung leben, dadurch fünf oder zehnfacher Vater geworden zu sein.

Eine biologische Verwandtschaft mit beiden Eltern, wie es das konventionelle Familienmodell vorsah, ist längst nicht mehr die Regel. So wie viele Kinder in Patchworkfamilien aufwachsen, werden andere im Reagenzglas gezeugt oder von Leihmüttern ausgetragen und – was man über die Familie des Autors erfährt – tut dies der familiären Harmonie und einem freundlichen Umgang miteinander keinen Abbruch. Allerdings wirft der junge Mann auch einige höchstspannende Fragen zum Geschlechterverhältnis auf: Hat eine Frau ein Recht auf ein Kind um jeden Preis? Darf sie sich per Internet eine Samenspende bestellen, weil sie mit Männern nichts zu tun haben will? Was sind die Motive von Männern, sich als Spender zur Verfügung zu stellen und wie verhandeln sie den Fakt mit ihren Partnerinnen? Und – zur Verteidigung seines Vaters – wieso glauben andere, nur weil ein Mann unfruchtbar sei, sei er auch erziehungsunfähig?

Diese Suche nach seiner Identität entfaltet eine fast ungebrochene Intensität und bis zum letzten Kapitel bleibt ungewiss, ob der Autor seinem Erzeuger begegnet. Störend im Lesefluss sind nur unglaublich viele Zitate und Bezeichnungen auf Französisch. Fußnoten hätte es an der Stelle auch getan. Am Ende des Buches steht zwar eine Seite mit einigen Webadressen auch in deutscher Sprache. Hilfreich für den interessierten Leser aber wäre es gewesen, die Situation in Deutschland in einem Nachwort nachlesen zu können.

Dennoch - ein spannendes, äußerst persönliches und zugleich ein sehr politisches Buch. Gewiss wird es sich als Geheimtipp unter Spendenkindern herumsprechen. Ich empfehle das Buch als Pflichtlektüre für alle in der Reproduktionsmedizin Tätigen. Und es ist zugleich ein aufschlussreiches Buch für jene, die sich für das Entstehen von sozialen Bewegungen und Impulsen für Gesetzesänderungen interessieren. Denn wenn es eines Tages selbstverständlich sein wird, dass durch Samenspende gezeugte Kinder ihre Herkunft kennen, wird das auch Arthur Kermalvezen zu verdanken sein.

Rezensiert von Barbara Leitner

Arthur Kermalvezen: Ganz der Papa. Samenspender unbekannt
Patmos Verlag, März 2009
176 Seiten, 19,90 Euro