Künstlerporträt

Vom Harzer Dorf in den Berliner Kiez

Teilansicht der Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg
Ziemlich angesagt, ziemlich teuer: das sanierte Quartier rund um die Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg © picture alliance / ZB
Von Gerald Felber  · 25.03.2014
Kreativ, unangepasst und über 80 - der Komponist Christfried Schmidt hebt sich allein schon durch sein Alter von der Berliner Kulturszene ab. Mit rund 600 Euro Rente und ohne festen Plattenvertrag kämpft er nicht nur ums künstlerische Überleben.
"Diese zehn Takte hier: Zum Gedenken an Nelson Mendela" – weil der gerade in der Zeit, als ich an der Stelle war im vierten Satz, da ist der gestorben. Also den hab ich doch immer verehrt."
Ein mächtiger kahler Schädel, fliegend umwallt vom grauen Haar- und Bartkranz, der strenge, durchdringende Blick: in der alten Kunst hat man mit solchen Typen, wie Christfried Schmidt einer ist, Propheten- oder Apostelgestalten verkörpert. Deren Medium war allerdings das Wort – Schmidt hingegen, der moderne Nachfahre dieser visionären und oft auch zornigen älteren Herren, drückt sich in Tönen aus. Die klingen freilich meist anders als die eben von ihm angespielten, wo er im Gedenken an Nelson Mandela in einem gerade fertig gestellten Hornkonzert Tschaikowskis "Pathetique" zitiert. Hier ein echter Schmidt, komponiert 1980 – seine "Munch-Musik".
"Mit nie gehörten Farben, magisch, teils berauschend, entfaltet Schmidt eine Musik über die Liebe. En blühender Reichtum, den man nicht für möglich gehalten hätte, ohne den Preis der Regression."
So der hörbar begeisterte Kritiker Volker Hagedorn in der "Zeit" nach einer Aufführung des Stücks im Jahre 2009. Genauer gesagt: der seit langer Zeit einzigen und auch vorerst letzten, denn ohne eine gepflegte Lobbyarbeit garantiert auch das übereinstimmende Wohlwollen von Kritikern und Hörern im heutigen Konzertbetrieb noch lange keine entsprechende Aufführungsdichte – vor allem bei komplizierten, probenintensiven Großpartituren:
"In den glorreichen Nachwendejahren, da habe ich eine einzige Orchester-Uraufführung – das war eine Teilaufführung, diese Orchestermusik V, und dann, genau die eine Aufführung 2009, worüber ich mich natürlich sehr gefreut habe, mit der Munch-Musik: also das sind die beiden einzigen Aufführungen für Orchester in 23 Jahren."
"Also das hat's ja auch früher schon mal gegeben von Leuten, die nicht gespielt wurden – da bin ich doch nicht der erste."
Der Musik droht das Schubladen-Schicksal
Auch dem neuen Hornkonzert könnte, wie anderen großsinfonischen Werken Christfried Schmidts, ein Schubladen-Schicksal blühen. Solche Ignoranz ist für den Künstler ärgerlich und für den Musikbetrieb, milde gesagt, ein wenig beschämend – aber der Komponist denkt nun, im neunten Lebensjahrzehnt, nicht mehr unbedingt tagesaktuell, sondern versucht sein Schaffen sozusagen nach mathematisch-ästhetischen Prinzipien abzurunden:
"Ich hab also sieben Sinfonien geschrieben, hatte bis dato nur sechs Solokonzerte und da hab ich gesagt: also ich will auch sieben Solokonzerte. Und das hab ich im Juno angefangen; im Juno haben die hier schon gebaut. Dass ich erst einmal 80 Jahre werden musste, um unter so erschwerenden Bedingungen hier komponieren zu müssen. Habe es aber gemacht!"
Die eben beiläufig erwähnten Bauarbeiten beziehen sich auf die mittlerweile weit fortgeschrittene Luxussanierung des Prenzlauer-Berg-Quartiers, wo Schmidt in der dritten Etage eines Altbaus sein Domizil hat – vorläufig letzte Station eines ganz handfest zu verstehenden Aufstiegs, dessen trister Ausgangspunkt 1980 eine dunkle, mit einem Kollegen geteilte Hinterhof-Absteige war, nachdem der gebürtige Niederschlesier vorher jahrelang als Dorf-Klavierlehrer durchs östliche Harz-Vorland getingelt war. Mit über drei Jahrzehnten Anwohnerschaft kann man Schmidt inzwischen wohl als Ur-Prenzlberger bezeichnen, dessen Anfechtungen mittlerweile von ganz anderer Seite kommen:
"Bei uns wird’s vornehmer, aber vor allem teurer. Zehn Mieter: da sind fünfe, also die Hälfte, ausgezogen, weil die diese teuren Mieten, die hier kommen sollen, nicht zahlen können oder wollen – das spricht doch Bände."
Gentrifizierung aktuell – und für einen 81-Jährigen, der zum Familienbudget an der Seite einer ebenfalls künstlerisch tätigen Frau und mit einer studierenden Tochter mal eben 650 Euro Rente und eine kleine dreistellige Summe der Künstlersozialkasse in die Waagschale werfen kann, vielleicht bald ein reales Problem. Andererseits mag eine solche Lebenserfahrung, die nach der strengen Schule der DDR-Kulturpolitik dann die nächste eines tendenziell marktorientierten Event-Musikbetriebes brachte, auch eine gewisse Abklärung mit sich bringen – nicht zuletzt im Blick zurück:
"Also einmal mein Werkverzeichnis – alles drin – und das hab ich mal 2008 formuliert: 'Aus dem Leben eines Quereinsteigers'. Ich hab drei Tage lang auf den Dörfern sechs Stunden lang Unterricht gemacht; und dann die anderen Tage war ich mehr oder weniger frei und hab das gemacht, was ich wollte – ich hab mir natürlich dann nichts mehr sagen lassen, ganz klar."
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