Künstlerin Alicja Kwade

Die leichte Welt der abgedrehten Dinge

Die Künstlerin Alicja Kwade posiert am 27.9.2013 in ihrer Installation "1417" hinter dem Haus Esters in Krefeld.
Die Künstlerin Alicja Kwade posiert am 27.9.2013 in ihrer Installation "1417" hinter dem Haus Esters in Krefeld. © dpa / picture alliance / Rolf Vennenbernd
Von Rudolf Schmitz · 01.07.2015
Sie wird Deutschlands "meiste" Künstlerin genannt: Alicja Kwade macht die meisten Ausstellungen, über sie wird am meisten geredet, und sie ist auf den meisten Partys in Berlin zu treffen. Die Kunsthalle Mannheim zeigt eine Auswahl ihrer Werke von 2001 bis heute.
Gleich am Eingang zwei Fotografien: Zweimal Alicja Kwade, wie es scheint. Von hinten fotografiert, sie greift sich ins Haar, blickt in einen Raum, den wir nicht sehen. Das eine Foto von einer verblüffend ähnlichen Unbekannten hatte die Künstlerin in einem Magazin gefunden. Das andere zeigt sie selbst, in der gleichen Pose. Titel der Arbeit: "Ich ist eine Andere". Bezieht sich auf Arthur Rimbaud, der diese Selbstentfremdung zum poetischen Programm gemacht hatte. Spiegelt sich da das Lebensgefühl von Alicja Kwade?
"Eigentlich geht's darum, was Realität ist und wie wir die definieren. Und was andere Möglichkeiten der Realität wären. Und da gehört diese Idee der Doppelung hinzu. Also wär ein Moment in der gleichen Zeit doppelt möglich, wären wir als Schicksal, als Mensch auch anders möglich oder gibt es nur eine Linie?"
Spiegelungen und Doppelungen durchziehen die Ausstellung. Auch die zwei inzwischen berühmten silberfarbenen Nissan Micras sind da: Beulen, Dellen, Rostflecken jeweils an der gleichen Stelle. Und auch das Innere ist identisch: mehrere Wasserflaschen im Fußraum, zwei farbige T-Shirts auf der Rückbank. Alicja Kwades Freund hatte eine Delle in seinen Nissan gefahren, daraufhin kaufte die Künstlerin einen Wagen gleicher Marke und machte ihn zum Doppelgänger. Jetzt stehen sie in der Mannheimer Kunsthalle, leicht voneinander abgewendet, als wollten sie in Parallelwelten starten.
Alicja Kwades Objekte, Skulpturen, Installationen sind physisch immer sehr konkret und einfach. Und zugleich ist da Magie am Werk, eine Welt hinter den Dingen. Zum Beispiel wenn sie 1000 in Berlin gefundene Straßensteine und Kiesel im klassischen Facettenschnitt polieren läßt und sie als Teppich auf dem Boden ausbreitet. "Bordsteinjuwelen" hat Alicja Kwade diese Installation genannt.
"Wer sagt denn, dass gewisse Werte Werte sind, und wer stellt diese Behauptung auf und wer nimmt sie wahr, wer befolgt diese, wie wird das weiter kommuniziert, wie wird diese Information vererbt, wie erkennen wir Dinge, wie finden wir uns mit Dingen ab, warum denken wir, dass wir uns so verhalten müssen und nicht anders."
412 zermahlene Champagnerflaschen
Wenn Alicja Kwade ihre Gedanken raussprudelt, wirkt sie wie eine Enkelin der 68er-Generation, die alles in Frage stellte, was Eltern und Gesellschaft ihr einzutrichtern versuchten. Doch bei ihr geht's eigentlich gleich ums ganze Universum, das bezweifelt, zerrieben, dekonstruiert und aufgeklappt werden soll. Die 412 Champagnerflaschen, die sie im Finanzkrisenjahr 2008 als Leergut eines Berliner Restaurants gesammelt hat und zu Sand zermahlen ließ, bilden in der Ausstellung einen wunderschön aufgeschütteten grünen Spitzkegel. Das könnte man eine politische Arbeit nennen. Es ist aber eher ein Meditationsstück: ein japanischer Garten zum Thema Überschwang und Ernüchterung.
"Natürlich ist mir der Rausch, in dem sich da viele auch befanden, auch im Kunstmarkt usw. doch durchaus aufgefallen, hat mich vielleicht auch dazu beeinflusst. Aber so arbeite ich auch nicht, ich würde nie eine wie auch immer politische oder ökonomische Situation mit einer Arbeit im Nachhinein kommentieren, da interessiert mich das auch gar nicht mehr so sehr."
Schließlich stößt man am Ende der Ausstellung, am Eingang zur Alten Bibliothek, auf zwei Holztüren mit Glasfenstern, zusammengerollt wie ein Bogen Papier. Ein humoristischer Kommentar der Künstlerin zum Thema des gekrümmten Raums, wie ihn Albert Einstein oder der Mathematiker Jakob Bernoulli untersuchten. Es macht Spaß zu sehen, was Alicja Kwade unter Skulptur versteht: Die leichte Welt der abgedrehten Dinge, die uns aber schwer zu denken gibt. Und diese Welt hinter den Spiegeln ist keine Gag-Werkstatt, sondern ein beeindruckender Philosophie-Workshop. Das dürfte der Schlüssel für Alicja Kwades Erfolg in der Kunstwelt sein: Ihre animierenden Gedankenflüge verbinden sich mit einer handfesten skulpturalen Gegenstandswelt.
Aber wie geht die Künstlerin damit um, dass sie grade so angesagt ist? All die Ausstellungen, Preise, Sammlerinteressen, Erwartungen? Macht ihr das keine Angst?
"Ich denke sowieso von einer Ausstellung zur anderen, von einem Tag zum nächsten, und nicht auf die nächsten Jahre. Klar, wenn ich jetzt realistisch und statistisch das betrachte, wäre vielleicht durchaus ein Grund da, um gewisse Befürchtungen zu haben. Aber so kann ich ja gar nicht anfangen zu denken. Da würde ich ja mit mir selber spekulieren, das will ich ja gar nicht."
Informationen der Kunsthalle Mannheim zur Ausstellung "hectorpreis 2015 Alicja Kwade"
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