Künstler raus aus München?

Von Susanne Lettenbauer · 21.04.2011
Das Domagkgelände im Münchner Norden galt in den 1990er Jahren als größte Künstlerkolonie Europas. Doch den Bewohnern wurde jetzt gekündigt. Es gärt in der Kulturszene der bayerischen Metropole.
Riesige Schuttberge bedecken das Gelände an der Domagkstrasse 33. Vor bunt bemalten Bauzäunen rollen die Schwerlaster vorbei. Links die Spiegelfassaden der Firmenhochhäuser, rechts ein mit Graffitti übersätes Haus mit blühenden Bäumen davor:

"Alle möglichen Spielarten von Kunst hatten hier Platz, haben sich gut ergänzt."

Sebastian Segl nutzt eines der Ateliers von der 2008 gegründeten Domagkatelier GmbH. Ihm droht jetzt der Rauswurf aus dem umstrittenen Haus Nr. 49, dem letzten von einst 40 Kasernenhäusern samt Parkanlage und riesigen Freiflächen. Probenräume für Bands, Dachgeschosse für Konzerte, Ateliers für Maler, Bildhauer und Designer, Wohnen und Arbeiten unter einem Dach – alles weg. Außer den Nummern 49 und 50. Die einzigen Unterkünfte in München, die noch erträgliche Mietpreise hatten. Ein Freiraum, sagen die Künstler, der vor zwei Jahren von der Stadt auf ein offizielles und ein geduldetes Haus geschrumpft wurde. Seitdem liegen die Mieten bei 11 Euro pro Quadratmeter, die Mietverträge laufen fünf Jahre, die Ateliervergabe bestimmt eine Jury. Ein Zustand, den Künstler wie Matthias Bergemann ablehnen:

"Hier stehen schon die Kartons bereit, vieles ist noch nicht trocken, dann muss ich sehen, falls es doch zu einem überstürzten Auszug kommen, wie das geht."

Bergemann lebt und wohnt seit fünf Jahren auf dem Domagkgelände, gründete die Künstler GmbH mit, versuchte das Gelände in ein Ökodorf zu verwandeln:

"In den Domagkateliers, speziell Haus 50 oder auch wenn man mit anderen Künstlern redet, dann ist das ziemlich verfehlt dieses Konzept, immer nur für fünf Jahre und dann wieder auf der Straße stehen. Künstler fühlen sich, als würden sie künstlich in Bewegung gehalten werden und wären eine Manövriermasse."

Am 1. Juni rollen auch für das letzte geduldete Haus Nr. 49 die Bagger. Eine Demonstration der Künstler auf dem Marienplatz brachte fast 2000 Unterschriften gegen die Räumung.

Auf der eigenen Webseite, per youtube und in den Internet-Netzwerken läuft die Unterstützung nach Aussage der Künstler auch international sehr gut. Denn München bietet künftig nur noch rund 300 ausgewählten Künstlern Arbeitsmöglichkeiten, kritisiert Bergemann:

"Also dass ist jetzt gerade ein flächendeckender Kahlschlag. Dachauer Strasse/Schwere Reiter-Straße sind betroffen, dann die Couvertfabrik in Pasing, das Optimol-Gelände am Ostbahnhof, der Kunstpark Ost und eben hier, verschiedene andere Sachen sind auf der Kippe, hier in der Nähe, Heidemannstraße waren viele Ateliers, in der Blumenstraße, sind alle weg. Die Zwischennutzung war zwar charmant, solange es noch Alternativen gibt."

Die einzige Zukunftsperspektive: Mittlerweile bieten Immobilienmakler den Künstlern leer stehende Bürohäuser an. Aufgrund des Überangebots können längst nicht mehr alle Gewerbeflächen vermietet werden in München. Eine Chance, die ein Kunstprojekt, die "Plattform 3", zwar nutzt, für viele Künstler aufgrund der sterilen Büroatmosphäre aber nicht akzeptabel ist.

Die anfängliche Idee der Stadt, über Genossenschaftsanteile das Haus für Künstler zu erhalten, scheiterte in diesem Jahr. Über ein Sonderkündigungsrecht der Stadt wurden die regulären Mietverträgen bis Juni 2012 aufgehoben. Denn plötzlich tauchten alte Vertragsklauseln in der hitzigen Diskussion auf, von denen früher nie die Rede war: Das Domagkgelände, 2008 vom Bund erworben, muss abgerissen werden zugunsten von Wohnraum, so Bernd Plank, Sprecher des Kommunalreferates:

"Wir haben das Areal vom Bund gekauft und haben einen ermäßigten Kaufpreis damals bekommen mit der Auflage, die Häuser in Eigenregie abzureißen. Wenn wir das nicht tun würden, wären 500.000 Euro Nachzahlung an den Bund angefallen."

40 neue Atelierräume bietet die Stadt den Künstlern jetzt auf einem anderen Übergangsgelände an. Für zwei Jahre stünden dort 40 Plätze zur Verfügung, betont die Sprecherin des Kulturreferats Jennifer Koszarevicz:

"Wir haben also immer wieder gesagt, sichert euch mit einer zweiten Alternative ab, damit ihr aus dieser temporären Situation heraus auch eure Arbeitssituation dauerhaft gesichert habt. Wir haben jetzt nochmal eine dritte Option eröffnet speziell für die Künstlerinnen und Künstler auf dem Domagkgelände, denen wir jetzt ein Gebiet an der Dachauer Straße anbieten, ein Gebäude, dass auch zur Zwischennutzung ganz kurzfristig zur Verfügung steht und von der Stadt soweit instand gesetzt wird, dass dort Ateliers für die nächsten zwei Jahre entstehen."

Die Künstler fühlen sich verschaukelt. Das künftige zentrale Münchner Kreativquartier wird, so die Finanzierung steht, aus zwei denkmalgeschützten Hallen bestehen. Daran besteht wenig Interesse in der freien Kunstszene Münchens. Lieber zieht man wieder zurück in die Heimat, nach Barcelona, Warschau oder ins Münchner Umland, wie das schon früher Künstler Richtung Murnau, Kochel und Richtung Dachau taten:

"S-Bahn-Endhaltestellen, in solchen Gemeinden findet man noch ein paar Häuser, aber da ist vieles schon von Studenten belagert. Also in Allach haben wir einige Objekte angeschaut, da könnte was möglich sein. Ansonsten sieht es ziemlich schlecht aus. Viele sagen, wenn sie sich die Berliner Preise anschauen, warum nicht gleich nach Berlin gehen, wo man das Gefühl hat, dass Kunst ein bisschen mehr wertgeschätzt wird und mehr Interesse da ist. Es ist in Berlin sicher auch nicht viel besser, da werden ja auch Häuser geschlossen, aber es ist mehr Platz, es ist zwar dieselbe Situation, aber auf einem anderem Niveau."