Künstler Basim Magdy

Fiktion als Auskunft über die Realität

Astronaut Buzz Edwin Eugene Aldrin (USA) neben der amerikanischen Fahne auf dem Mond während der Mission Apollo 11.
Eine Mondlandung, flimmernde Fernsehgeräte, Schmetterlinge im Schaukasten - in den Installationen des ägyptischen Künstlers Basim Madgy kann vieles zum Spielmaterial werden © Imago Stock & People
Von Jochen Stöckmann · 30.04.2016
"Ich zeige Dinge auf unerwartete Art, als Absurdität", sagt der aus Ägypten stammende Basim Magdy. Er ist „Künstler des Jahres“ 2016 der Deutschen Bank. In der KunstHalle Berlin wird jetzt die erste Einzelausstellung seiner Werke gezeigt.
Hinter Käfiggittern liegt ein Mann im Stroh. Das Gesicht unter einem großen Helm, steckt die lebensgroße Puppe in einem dieser Anzüge für den Druckausgleich. Eigentlich ein Astronaut, kurz vor oder bei der Mondlandung. Dieses Exemplar ist deplatziert – aber gut versorgt mit Wassernapf und Erdnüssen. Wie ein wildes Tier, das man vergessen hat in die Zirkusmanege zu führen. Außerdem flimmert ein Fernsehgerät vor sich hin.
Und der Schaukasten aus der Schmetterlingssammlung gehört hier ganz bestimmt nicht her. Die Installation des ägyptischen Künstlers Basim Magdy, das Durcheinander von Symbolen, zeitgeschichtlichen Artefakten und Alltagsobjekten ist ein einziges Chaos.

Die unterschätzte Dimension der Realität

"Chaos würde ich es nicht nennen. Ich zeige Dinge auf unerwartete Art, als Absurdität, denn das ist eine unterschätzte Dimension der Realität. Und diese neue Sicht hilft den Menschen auf die Welt zu schauen."
Eine künstlerische, weil überhaupt nicht bevormundende Seh-Hilfe also. Aber warum dann das Tableau im Format althergebrachter Schultafeln, darauf wie eine lakonische Spruchweisheit: "Auch Ihr Kopf ist ein Ersatzteil in unserer Fabrik für Perfektion"? Weil die Tafel, the blackboard, auch ein schwarzer Spiegel ist, in dem die Betrachter sich selbst sehen, Köpfe, gruppiert zum Klassenfoto. Zugleich ein repräsentativer Schnitt der Gesellschaft – oder gar der vom Künstler nicht sonderlich goutierte mainstream?
"Ich bin Teil der Gesellschaft – und sehe, wie deren kollektives Gedächtnis manche Dinge einfach vergisst. Es ärgert es mich, wenn Leute wichtige Ereignisse vergessen – aber das passiert mir auch. Also gibt es da keinen Gegensatz."

Variationen über das Vergehen der Zeit

Gesellschaftskritik im Sinne explizit "politischer" Kunst resultiert daraus nicht. Mancher mag das erwartet haben, als es hieß, ein Preisträger aus dem krisengeschüttelten Ägypten sei von der Deutschen Bank als Künstler des Jahres ausgewählt worden. Aber Madgy, aufgewachsen in Kairo, derzeit mit Wohnsitz in Basel, schaut über den Tellerrand des genius loci, hat andere Dimensionen im Sinn:
"Meine Kunst dreht sich nicht um Orte, an denen ich lebe. Sie könnte auch in Japan entstehen. Ob in Kairo oder jetzt in der Schweiz, es geht um das Vergehen der Zeit, nicht um Orte."
Dieses eigenartige Vergehen der Zeit prägt Magdys work in progress. Wobei progress, Fortschritt, eben nicht als geradliniges Vorwärtsschreiten zu verstehen ist. Da sind zum einen Dutzende von Papierarbeiten, kleine Formate mit irgendwie bekannten, seltsam verfremdeten Motiven. Radarantennen und Rasterbauten, Grabmonumente und geisterhafte Erscheinungen. Motive aus dem Internet, vom Künstler collagiert zu unerwarteten, irritierenden Bildern. Und Filme oder Fotos, die wie aneinandergereihte Filmstills wirken. Oft in grellen Farben koloriert oder wie von alchemistischem Farbzauber überzogen. Ein kontrolliertes, formbewusstes, dabei keineswegs unsinnliches Experiment:

"Weil ich weiß, welche Effekte Acryl- oder Wasserfarbe, Pinsel oder Spray hervorrufen, etwa Körnigkeit, kann ich das Bild bestimmen. Genauso beim Analog-Film, der ist flexibel, bietet ungeheure Möglichkeiten. Aber dieser Film stirbt – und sein Potential ist nicht erforscht!"

"Alles, was ich tue, ist Fiktion"

Auf diese Forschungsreisen nimmt Magdy den Betrachter mit, holt ihn an Bord, auf sein schwankendes Schiff. Denn seine Arbeit läuft nicht auf gebahnten Wegen, nach dem eindimensionalen Muster: erst die Idee, dann die Realisierung. Dazwischen tut sich was, geht einiges vor mit dem Material und im Kopf des Künstlers. Durchaus nicht weltfern, ja, auf gewisse Weise dann doch sehr politisch – weil Magdy sich selbst, als Person, nicht allzu wichtig nimmt:

"Alles was ich tue ist Fiktion – und soll Fiktion werden. Elemente aus meiner Umgebung setzte ich zusammen, als fiktionale Situation, die Auskunft über die Realität gibt. Eine interessante Arbeitsweise, Realität rekonfigurieren als Fiktion, die viel über die Realität aussagt."
Nicht der Künstler spricht, sondern sein Werk. Nicht die Welt da draußen wird abgebildet, sondern Bilder verunsichern unseren Blick auf die Realität, die angeblich alternativlose. Und vor allem scheinbar harmlose Texte:
"Welches Gemüse erinnert Sie an Wolken? – Blumenkohl lässt mich immer an Atomexplosionen denken."
So ruft Magdy Imaginationen wach, lässt Bilder entstehen, die tage-, wochenlang im Gedächtnis bleiben, weiterarbeiten, sich selbständig machen.

"Die Sterne standen gut für ein Jahrhundert des Neubeginns"
Deutsche Bank KunstHalle Berlin
29. April bis 3. Juli 2016

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