Künast: Wowereit will "bequemlichen Koalitionspartner"

Renate Künast im Gespräch mit Ute Welty · 06.10.2011
Nach dem Scheitern der rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Berlin kritisiert die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Renate Künast, den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit - und die Politik der rot-roten Koalition.
Ute Welty: Soweit Klaus Wowereit mit dem Vorwurf der Regierungsunfähigkeit und guten Morgen, Renate Künast!

Renate Künast: Guten Morgen!

Welty: Wie ist dieser Morgen für Sie als ehemalige Spitzenkandidatin der Grünen?

Künast: Schade, sage ich, und natürlich sehen wir eines ganz klar: Klaus Wowereit wollte nicht mit den Grünen, Klaus Wowereit sucht einen – ich sage mal – bequemlichen Koalitionspartner, und was Sie gerade eingespielt haben, muss ich sagen, ist schon putzig. Nach zehn Jahren Wowereit als Regierender Bürgermeister bricht dies Land Berlin die Rote Laterne bei Bildung, hat dies mit fast 14 Prozent die höchste Arbeitslosigkeit bundesweit, und wir waren angetreten, dass endlich wieder Wirtschafts- und Industriepolitik gemacht wird, und jetzt äußert er sich so. Also das glaubt ja in Berlin kein Mensch, weil die hohe Arbeitslosigkeit, die schlechte Bezahlung, dass so viele Menschen in Berlin als Aufstocker noch aufs Amt gehen müssen, ist doch gerade das Ergebnis einer von Klaus Wowereit geführten Regierung. Das beklagen alle, auch die Wirtschaft und die Gewerkschaften in Berlin.

Welty: Wann war Ihnen persönlich klar, das wird nix? War das dieser Moment gestern Nachmittag?

Künast: Nein, das geht ja schon einige Tage so, man musste ja in den Sondierungsgesprächen auch zur Kenntnis nehmen, dass Klaus Wowereit immer einen Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück geht. Wir haben über viele Infrastrukturprojekte geredet – und die A100 ist übrigens eine, die von der Industrie- und Handelskammer selber als nicht die vordringliche Frage bezeichnet wird, die man sogar durch einen anderen Straßenausbau da entfernen könnte –, er wollte aber in Wahrheit alles und hat immer drauf gesetzt, dass die Grünen die Nerven verlieren.

Wir haben gesagt, also machen wir mal das, was doch viele SPDler auch auf Bundesebene sagen, selbst ein Ramsauer sagt, wenn er nicht gerade irgendwo reingrätschen will, dass es besser wäre, das Geld für Sanierung auszugeben statt für ein Stück Neubau, den man gar nicht wirklich braucht. Und an der Stelle ging es eben vorwärts, rückwärts, vorwärts, rückwärts. Er wollte nicht, das hat man gemerkt, sonst hätte er mit uns auf unsere Vorschläge für die soziale und ökologische Modernisierung des Landes von Bildung bis Schaffung von Jobs, sonst wäre er darauf eingegangen. Aber das hat ihn gar nicht interessiert.

Welty: Wie muss ich mir als politischer Laie den Moment vorstellen, wenn Koalitionsverhandlungen platzen? Steht dann einer einfach auf und sagt: Jetzt reicht es, jetzt gehe ich?

Künast: Ja, die SPD hat gesagt, sie will nicht mehr, aber ...

Welty: Und dann ist Schluss?

Künast: Und dann ist Schluss.

Welty: Dass das mit dem Bürgermeisteramt nicht klappt, an diesen Gedanken haben Sie sich ja schon eine Weile gewöhnen müssen, jetzt müssen aber auch die Grünen in Berlin ohne Regierungsbeteiligung zurück ins Körbchen, sprich: in die Opposition. Was wiegt schwerer, die persönliche Niederlage oder die der Partei?

Künast: Na ja, Sie müssen mal sehen, wenn man genau drauf guckt, haben wir einen sehr, sehr harten Wahlkampf hinter uns und haben trotz alledem zwar mal 4,5 Prozent Zuwachs, das ist in dem ganzen grünen Kanon dieses Jahres schon noch ein positives Ergebnis. Das haben und wissen wir auch, und natürlich verändert sich, wenn Sie nach weiteren Dingen schauen, verändert sich einiges. Das ist aber ein Prozess, das werden wir jetzt erst mal alles sacken lassen und gucken, wie stellen wir uns für die nächsten Jahre auf?

Welty: SPD-Chef Sigmar Gabriel rät Ihnen, Ihre Haltung zu Infrastrukturprojekten zu überdenken. Auf diesen Gedanken könnte man kommen, wenn man zum Beispiel auch nach Baden-Württemberg, nach Stuttgart schaut. Stellen die Grünen sich da nicht richtig auf?

Künast: Nein, ich bin der festen Überzeugung, dass CDU, FDP und SPD an der Stelle sich nicht richtig aufstellen. Wissen Sie, wir haben eine Schuldenbremse, wir vererben jedem Kind in Deutschland qua Geburt 20.000 Euro Schulden, es wird täglich mehr, und da ist es gar nicht akzeptabel, an der Stelle Millionen oder sogar Milliarden auszugeben für unsinnige Projekte. Wieso einen Bahnhof vergraben, wenn er faktisch nicht mehr Leistung bringt? Und ich kann nur sagen, das ist genau der Punkt, der Grüne ausmacht, für den ich uns jeden Tag neu gründen würde, dass wir wirklich sagen, gehen wir verantwortlich mit Geld um und schauen wir mal an, wofür wir es brauchen. Wir sind diejenigen, die überall, wenn es nicht um Atomenergie geht und Kohle, sondern wirklich um erneuerbare, vorne anstehen und für die Netze kämpfen, aber dafür, und nicht für die Monopole von vier Konzernen und für Kohle- und Atomkraftwerke. Wir sind diejenigen, die für einen Transport auf der Schiene kämpfen. Und ich sage Ihnen mal, ich bin der festen Überzeugung, dass die SPD noch lange nicht auf der Höhe der Zeit ist.

Welty: Haben Sie dann vielleicht ein Kommunikationsproblem? Weil in der Öffentlichkeit kommen Sie schon an als die Nein-Sager und als diejenigen, die gegen Atomkraft sind.

Künast: Ja, aber es ist ja richtig, gegen Atomkraft zu sein, oder? Das will ja ungefähr 80 Prozent der Bevölkerung, keiner will dieses Risiko haben. Das merken Sie mindestens bei der Endlagersuche. Und ich sage einmal, das ist mir zu platt. Frau Merkel macht das ja gerne, das kann der Herr Gabriel mit ihr gemeinsam versuchen, dieses wir sind immer dagegen. Ich sage, wir sind immer dafür.

Die anderen hängen fest in den Asphalt-Ideologien der letzten Jahrhunderte. Aber die moderne Politik heißt doch: Mehr öffentlicher Verkehr, auch mehr Schiene, für Menschen und Sachtransporte, die heißt auch, dass man in den Städten zum Beispiel immer mehr öffentlichen Verkehr für alle braucht, und wir sollten das Geld im wahrsten Sinne des Wortes dafür ausgeben.

Und selbst Herr Ramsauer hat ja noch vor drei Wochen im Bundestag gesagt: Sanierung von Straßen statt noch mal neu, ganz neue Strecken zu asphaltieren. Moderne Verkehrspolitik geht so. Dafür stehen wir Grünen, Mobilität für alle, die bezahlbar ist und die im Übrigen auch den Klimawandel mitdenkt. Und ich sage mal, die Chancen, die wirtschaftlich darin liegen, sich an der Stelle mit modernen Geräten, Fahrzeugen und so weiterzuentwickeln, das macht Grün aus und das schafft die Arbeitsplätze auch im internationalen Wettbewerb.

Welty: Renate Künast von den Grünen. Ich danke für dieses Interview in Deutschlandradio Kultur!

Künast: Ich danke auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.