Küchenchef

Stress mit Sternen

Ali Güngörmüs
Ali Güngörmüs © dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler
Von Axel Schröder · 18.04.2014
Ali Güngörmüs hat einen Stern im Michelin-Gourmetführer. Für den Hamburger Koch bedeutet das Stress vom Einkauf bis zum Abwasch. Jeder Handgriff muss sitzen, jede Deko auf dem Teller ein Kunstwerk sein.
Ali Güngörmüs kauft nur den besten Fisch. Der Sternekoch parkt seinen schweren Geländewagen vor einem langgestreckten Ziegelbau an der Großen Elbstraße. Hier hat der Österreicher Johann Nußgraber seinen kleinen, aber feinen Laden. Der massige Fischhändler wischt sich die Pranke an der weißen Schürze ab, drückt Ali die Hand:
Johann Nußgraber / Ali Güngörmüs: "Alles klar? / Angeschlagen ... / Dir geht's gut, hä? / Nein. Guck mal, wie fertig ich aussehe ... / Willst mir Konkurrenz machen? / Hab ich zugenommen? Nein, ich hab abgenommen... Seit einer Woche liege ich im Bett! / Das kann ich mir nicht leisten ..."
Der Chef des Spitzenrestaurants "Le Canard Nouveau" nickt rüber zum Kühlraum, schließt den Reißverschluss seiner dicken Daunenjacke. Nebenan lagern die Fische, Muscheln und Meeresschnecken in klobigen Styroporboxen, zugedeckt mit einer dicken Schicht kleingehacktem Eis.
Ali Güngörmüs: "Mein Lieber! Ich brauche vier Zander. Einen Skrei. − Skrei ist der norwegische Kabeljau. Da ist jetzt Saison und da ist auch Top-Qualität auf dem Markt. Den bereiten wir heute so leicht asiatisch zu: Garnelen-Dim Sum geben wir dazu und ein bisschen Limonen-Ingwer-Nage. Das ist im Menü-Zwischengang drin und das brauche ich. − Die Miesmuscheln? Sind die schön sauber?"
Nußgraber nickt, reicht dem Koch eine schwarze Muschel. Zum Testen mit Daumen und Zeigefinger.
Ali Güngörmüs: "Da muss man einmal so eine Druckprobe machen. Einmal drauf drücken, zwei Sekunden halten, aufmachen. Und wenn die sich dann richtig öffnet, dann ist die schlecht. Dann muss man sie aussortieren."
Nußgrabers Miesmuscheln bleiben geschlossen. Alles ist frisch. Auch der Zander, den der Österreicher aus dem Eis fischt. Ein schlankes, silbrig glänzendes Tier, einen halben Meter lang vom Kopf bis zur Schwanzspitze.
Johann Nußgraber: "Guck Dir mal die Augen an! Die Augen sind ganz klar! Da kann man fast durchgucken. Wenn die Augen richtig trüb sind, dann sieht man es. Und wenn ich den Fisch vor mir liegen habe, dann drücke ich da mal hier rauf mit dem Finger. Oder hier. Und das kommt alles wieder sofort hoch das Fleisch. Und wenn der alt ist, kommt da nichts mehr hoch, weil sich das zersetzt. Dann bleibt die Kuhle..."
Aber bei seinen Fischen, versichert der Österreicher, bleibt keine Kuhle. Und wenn, dann werden sie aussortiert. Genau deshalb kauft Ali, der Spitzenkoch, nur bei ihm seinen Fisch. Vor acht Jahren, als er von München nach Hamburg kam, machte er sich auf die Suche nach den besten Lebensmittelhändlern der Hansestadt. Nußgraber gehört dazu.
Ali Güngörmüs: "Danke dir! Mach's gut. Ciao! / Tschüss!"
Nußgrabers Angestellter hat die Styroporkiste schon in Alis Kofferraum verstaut, es geht zurück auf die Elbchaussee, zum Restaurant Le Canard. Es ist Samstag, der anstrengendste Wochentag für Ali Güngörmüs. Aber der Stress beginnt für den Sternekoch erst am Abend.
Halbmond auf rotem Grund: Hinweis auf seine Herkunft
Links, am Elbhang liegt das Restaurant. Zur Straße hin prangt der Name in weißen, schmalen Buchstaben auf rotem Grund. Das große "C" von "Canard" in extra großer, rundgeschwungener Schrifttype. Wie ein weißer Halbmond auf rotem Grund, ein Hinweis auf Alis Herkunft: ein kleines Dorf, im fernen Osten Anatoliens. Er lenkt den Wagen runter in die Tiefgarage, nimmt den Hintereingang.
Händewaschen, Umziehen. Weiße Hose, schmale weiße Jacke: Über der Brust prangt sein Name, eingestickt mit rotem Zwirn. Dann beginnt der Rundgang durch die weißgekachelte Küche, das Herz seines Unternehmens. Es ist elf Uhr morgens, seine Leute sind schon seit zwei Stunden im Einsatz. Sieben junge Männer, Anfang 20, alle in Weiß, stehen am Herd, arbeiten an blanken Edelstahltresen, hacken Gemüse, füllen die Schränke mit all den Zutaten, die abends schnell zur Hand sein müssen. In einem ersten Raum rollt der Patissier, der Feinbäcker Thomas Ludwig, Teig aus, hauchdünn, ein halber Millimeter.
Ali Güngörmüs: "Hier ist die Patisserie. Hier machen wir unsere Gewürzplatten für den Empfang. Das sind so Strudelblätter. Die werden jetzt verschieden − Morgen, Erik! − verschieden belegt. Mit so Thymian-Rosmarin, ein bisserl Parmesan. Ein bisserl mit Gewürzen und schwarzem Kümmel. So dass die Gäste, gleich, wenn sie reinkommen, die nehmen können. [beißt ab] Schön knusprig. Dann haben die gleich so ein bisschen salziges Gebäck."
Der junge Patissier präsentiert die selbstentworfenen Süßigkeiten, die den Gästen nach dem Essen, zum Espresso gereicht werden. Kleine runde Bällchen: weiß oder gelblich, umhüllt mit Puderzucker, bedeckt mit fein ausgestochenen Scheiben aus Aprikosengelee.
Thomas Ludwig: "Das sind Petit Fours, kleine Pralinen. Da kann ich machen, was ich möchte: Schokoladenkuchen oder ganz kleine Pralinen. Hier habe ich Florentiner. Nougatpraline, Cassis-Himbeere... Hier Passions-Frucht, Himbeer-Macarons... Immer etwas anderes. Was ich gerade machen möchte. Das probiere ich aus, man kann da ein bisschen spielen ..."
Einen Raum weiter steht der Herd. Nicht mit Gas wird gekocht, sondern mit Induktionshitze. So wird es auch bei Hochbetrieb nicht unerträglich heiß in der Küche. Und die Hitze ist − wie beim Gas − sofort da. An den Tresen neben dem Herd arbeiten fünf weitere Spezialisten: für Fisch, Fleisch, die Saucen, das Gemüse. Auf dem Herd köchelt Wirsingkohl. Ali Güngörmüs wirft einen kurzen Blick in den flachen Topf, zieht die dichten dunklen Brauen hoch, atmet den Duft des Kohls, nickt zufrieden:
"Da werden die äußeren Blätter abgenommen, im Salzwasser blanchiert. Mit Eiswasser nochmal abgeschreckt, damit die grüne Farbe erhalten bleibt. Und aus dem Herzen wird dann ein schöner geschmorter Wirsing zubereitet. Und das kommt dann in das Blatt rein, schön von allen Seiten zugemacht. Das sieht aus wie eine schöne kleine Praline. Und das ist die Beilage zum Zander heute."
Ali Güngörmüs
Ali Güngörmüs© dpa / picture alliance / Tobias Hase
Der erste Fisch liegt schon vor dem Koch auf dem Tresen. Ali greift sich einen Schleifstab, schärft sein Messer, zerlegt das Tier mit routinierten Schnitten. Erzählt von den Anfängen seiner Karriere. Mit 14 entschied er sich für das Kochen, gleich nach der Schule. Gelernt hat er in einem kleinen Landgasthaus, mit einem tyrannischen Sous-Chef, dem stellvertretenden Küchenchef. An dessen Ohrfeigen erinnert er sich noch heute. Aber das, erzählt Ali und filetiert wie nebenbei den dritten Zander, habe ihn nur härter gemacht, für den nötigen Biss gesorgt. Dieser Biss bringt ihn als Jungkoch ins Sterne-Restaurant "Glockenbach" von Karl Ederer. Der ist überzeugt vom jungen Ali Güngörmüs, wird sein Förderer.
Der Fisch ist zerlegt, Ali bringt Schneidebrett und Messer nach hinten zur Spüle. Bestellt sich einen Kräutertee und genießt die Ruhe vor dem Sturm in einem Nebenraum. An einem runden Tisch mit blütenweißer Decke. Hinter den Panoramascheiben öffnet sich der Blick auf den Hafen in der Abenddämmerung: kleine Fähren pflügen durch die Elbe, Containerfrachter werden entladen, grellgelbe, orange Lichter erleuchten die Szene, Tag und Nacht. Ali erzählt vom elterlichen Bauernhof im türkischen Tunceli. Eine Kleinstadt im Osten der Türkei:
"Wir hatten Tiere. Schafe, Ziegen, Kälber. Wir hatten Hühner, Das war schon alles toll! Wir hatten Obstbäume, wir hatten Gemüse angebaut. Wir hatten Walnussbäume. Ich habe eine einfache, aber gute Kindheit gehabt."
Die besten Rezepte entstehen im Bett
Nur den Vater hat er vermisst. Als Schweißer hat er in München sein Geld verdient. Und seine Familie 1986 hinterhergeholt. Ali Güngörmüs war gerade zehn Jahre alt. Seine türkischen Wurzeln, erzählt er beim Tee, sind natürlich Bestandteil seiner Kochkunst. Und die ist auf gar keinen Fall abgehoben, beteuert er. Sondern durchaus bodenständig. Woche für Woche entwirft er neue Gerichte. Feilt an Geschmacksvariationen, probiert aus. Und die besten Ideen entstehen spätabends, kurz vor dem Einschlafen, manchmal im Traum:
"Kann ich ja ehrlich sagen: ich habe ein neues Gericht jetzt im Kopf. Hab ich heute Nacht im Kopf entwickelt. Da wollte ich eine Rote Beete halb trocknen. Nicht ganz knusprig, aber auch nicht so... wie nennt man das? So ‚knatschig', mit leichtem Biss noch. Dann möchte ich eine Pflaume dazugeben. Dann möchte ich griechischen oder türkischen Joghurt noch mal abhängen, daraus eine Nocke nehmen, das abschmecken mit ein bisserl Salz, Pfeffer und Cayenne. Und dann möchte ich aus Zitronen-Thymian, schwarzem Kümmel ein Sumak, so ein Gewürz, machen. Und das wird dann oben drüber gestreut. Und dazu noch: Staudensellerie. Ganz fein geschnitten, roh. Als zusätzliche Textur, die dann im Mund knusprig ist. Und dann noch ein paar Tropfen vom Granatapfelsirup mit Olivenöl vermischt und das so ganz leicht oben drüber, ein bisserl Fett braucht das Ganze ja auch. Das ist also gestern entstanden. Das wird bestimmt schmecken. Das weiß ich, dass es schmeckt!"
Und wenn es ihm schmeckt, dann schmeckt es meistens auch seinen Gästen, so der Sternekoch. Allerdings darf man ihnen eine Vorspeise wie die neueste Rote-Beete-Kreation nicht ohne Bedacht vorsetzen. Immerhin kommt es nicht nur drauf an, welches Gericht Ali neu erfindet, sondern auch darauf, wie es serviert wird:
"Weil, wenn es auf einem flachen Teller ist, dann nimmt er vielleicht erst mal einen Joghurt und sagt: ‚Hm, Joghurt...', dann nimmt er ein Stück Rote Beete und sagt: ‚Hm, ja... Rote Beete...' Aber in einer Schale wird er mit einem Löffel reingehen und einen Teil von dem Gericht in den Mund führen. Und dann hat er so verschiedene Geschmacksexplosionen. Dann schmeckt er Thymian − der ist sehr dominant. Dann die Säure vom Sumak und dann kommt die Frucht, die Rote Beete, Pflaume - Pflaume unterstreicht den Rote-Beete-Geschmack. Da sagt er: ‚Wow, nicht schlecht!' Und dann, zwischendurch, beißt er dann auf was Erfrischendes. Und das ist der Sellerie."
Und während Ali das erzählt, lässt er sich die imaginäre Rote Beete auf der Zunge zergehen. Fast fängt er an zu kauen, so greifbar ist der komplexe Geschmack. Von seiner Kreativität, seinem sicheren Gespür für Geschmack und dem Wissen darum, wie man ihn herstellt, sind auch die Testesser des Guide Michelin überzeugt. 2006 bekam Güngörmüs einen Stern für seine Kochkunst im Le Canard. Ein Jahr nach seiner Ankunft in Hamburg, ein Jahr, nachdem er den Sprung in die Selbständigkeit gewagt und das pleite gegangene Restaurant von seinem Vorgänger Josef Viehhauser übernommen hatte. Morgens früh zeigte ihm sein Handy jede Menge Anrufe an. Er rief zurück und hatte Gewissheit, seinen ersten "Michelin-Stern".
Ali Güngörmüs: "Das war eine Riesenfreude! Da bin ich ins Restaurant, habe meinen Mentor angerufen, den Karl Ederer in München. Dem habe ich das erzählt und ich war so stolz! Ja. Das ist wirklich eine tolle Auszeichnung, ist so! Und ich hab's auch gebraucht hier. Wenn der Stern nicht gekommen wäre, weiß ich nicht, wie wir dann finanziell dagestanden hätten. Also, der kam anderthalb Jahre nach der Eröffnung und das war ganz gut! War einer der schönsten Tage meines Lebens. Als ich den Stern bekommen habe und natürlich die Geburt meines Sohnes. Das war auch toll!"
Und so toll der Stern ist, so sehr verpflichtet er auch. Der Koch gießt sich den restlichen Tee ein, fährt mit der Hand über die gebügelte Tischdecke:
"Es ist auch Druck! Der Druck wird immer mehr. Nicht nur von den Gästen und Journalisten. Du wirst beobachtet, du wirst draußen erkannt. In der Küche hast du dann Druck, weil du immer, immer und immer den anderen einen Schritt voraus sein musst."
Zwei Sterne, und sein Restaurant wäre ein anderes
Ihm reicht der eine Stern. Den will er halten. Denn schon für den zweiten Stern müsste er das Le Canard ganz neu konzipieren, müsste investieren, die Anzahl der Tische reduzieren, die Preise anheben. Noch bekommt man im Le Canard ein Hauptgericht für 40 Euro, vier Gänge gibt es für 80 Euro, sechs Gänge kosten 100 Euro. Mit zwei Sternen wären diese Preise nicht mehr machbar, versichert Güngörmüs. Das Publikum wäre ein anderes. Er schüttelt den Kopf, steht auf. Bringt Teetasse und Kanne zurück in die Küche, bespricht den Abend mit seinem Stellvertreter, dem Sous-Chef Florian Pöschl. Alle Tische werden besetzt sein, es wird voll werden. Hamburger Lokalprominenz, eine Reisegruppe aus der Schweiz und der international gefeierte Architekt Meinhard von Gerkan haben sich angekündigt.
Um 17 Uhr steht Ali am offenen Fenster, schaut raus auf den Hafen, auf die andere Flussseite. In einer Stunde kommen die ersten Gäste. Die Anspannung wächst:
"Der Blick ist ja nun mal traumhaft. Herrlich! Unvergesslich. Bei uns können die Gäste gemütlich sitzen, sich entspannen, aufs Wasser gucken. Auf den Containerhafen gucken. Was Besseres gibt es doch eigentlich gar nicht."
Hinter Ali versammelt sich das Servicepersonal an der kleinen, runden Bar. Bespricht die Aufteilung auf die 16 Tische und die Besonderheiten des Abends:
Restaurantleiter: "Ich mach links, du machst rechts, Steffi macht Mitte. Alicia und Max sind Runner. Dann: Tisch 10 hat Geburtstag, die sitzen bei mir."
Die Anspannung steigt vor allem bei Sebastian Schmitz, dem stellvertretenden Restaurantleiter. Der hagere junge Mann trägt schwarzen Anzug, Krawatte, weißes Hemd. Er ist erst seit drei Wochen mit dabei und wenn alles gut läuft, steigt er bald auf, zum Leiter des Restaurantbereichs. Schmitz schiebt die Schwingtür zur Küche auf. Zwei dieser dunklen Holztüren gibt es, mit großen Bullaugen. Zwei Türen, die heute Abend die brodelnde Anspannung in der Küche von der entspannten Atmosphäre im Restaurant trennen. Draußen im Service geht es darum: immer zur Stelle sein, unaufdringlich, hellwach, ohne Fehl und Tadel. Hinter den Bullaugentüren darf es auch anders zugehen:
"Hier hinten sind wir, hier können wir auch mal ein anderes Gesicht ziehen, auch mal durchatmen. Und vorne müssen wir auch unseren Mann stehen. Und spielen, besser gesagt. Das kommt dazu."
Schmitz geht in die Hocke, öffnet die Schränke für das Besteck, die Teller, kontrolliert, ob alles an seinem Platz ist. Dann, um 18 Uhr 30, schließt er die Tür auf. Auf 16 Tischen brennen die Kerzen, Wasser- und Weingläser sind eingedeckt, gefaltete Stoffservietten liegen bereit. Gedämpftes Licht fällt aufs glatte breite Parkett mit schwarzen Fugen, wie auf das Deck eines Schiffes.
Die ersten Gäste treten ein, werden von Schmitz und seinen Kolleginnen begrüßt. Freundlich, zurückhaltend, dabei familiär. Viele Stammgäste sind dabei, man kennt sich. Mäntel werden abgenommen, zum Tisch begleitet. Fünf Minuten später stehen die Wasserflaschen auf dem Tisch und der erste Gast beißt in die hauchdünnen Gewürzplatten vom jungen Patissier. Schmitz nimmt die ersten Bestellungen mit in die Küche.
Güngörmüs steht am mittleren Tresen, heftet die Zettel mit Magneten auf eine Tafel hinter sich:
"Schick mal die Essenz, bitte! Acht Essenz und einmal die Linsensuppe! Ravioli reinlegen. Neu: vier Mal à la Carte. Zwei Essenz, eine Tasche, danach zwei Lamm, ein Zander, ein Kalb."
Alis Mannschaft hört genau zu, konzentriert, dann geht jeder ans Werk. Sous-Chef Florian Pöschl bereitet den Fisch. Greift in die Schublade, wirft die vorgeschnittene Butterportionen in die Pfanne, Thymian, Limonen. Setzt feine dünne Schnitte in die Haut des Fischs, salzt das Tier und lässt es in die Pfanne gleiten.
Hinten im Patisserie-Bereich bestreicht Thomas Ludwig die Kanten hauchdünner Teigplatten mit Eigelb, füllt die feine Entenmasse hinein, formt so eine Tasche nach der anderen. Die Vorspeise für das Menu, kurzgebacken im Steinofen, bei 250 Grad. Die Taschen blähen sich auf, werden knusprig. Der Patissier schaut auf die kleine Digitaluhr auf seinem Tresen, öffnet die Ofenklappe:
Thomas Ludwig: "Wir gucken mal nach, ob die wirklich alle aufgehen. Und sie gehen alle auf! Wenn nicht, müssen wir nachschieben. Wir haben extra mehr gemacht, eine mehr. Aber wir haben Glück!"
Routiniert holt Ludwig die goldbraunen Taschen aus dem Ofen, bringt das Tablett nach vorn auf Alis Tresen. Der beugt sich über die vier bereitgestellten Teller, setzt in die Mitte einen hellen Klecks Chicorée-Creme, darauf die Ententasche. Gibt mit dem Esslöffel in der ruhigen Hand rundherum eine dunkle Soße, drei Tage lang eingekocht, eine Enten-Demi-Glace. Fertig, ein Schritt zurück, Blick zur Magnettafel.
Ali Güngörmüs: "Das geht bitte an Tisch 6. Position 2. Der Herr: Tasche. Zwei Essenz, eine Tasche. Wir lassen laufen. Weiter: zwei Taschen. Eine davon ohne Haselnüsse und Aprikose. Allergie, ja?"
Um 20 Uhr sind alle Vorspeisen raus, Ali Güngörmüs, wie alle anderen mit hellblau-blau-kariertem Küchentuch über der Schulter, fühlt sich wohl:
"Die Vorspeisen und Zwischengänge gehen zügig raus, das ist sehr wichtig, weil die Gäste am Anfang Hunger haben! Brot und Butter muss zügig kommen und dann die Vorspeisen, die ersten Gänge. Wenn sie sechs, sieben Gänge essen, müssen die ersten zwei Gänge schnell kommen!
Nochmal, nochmal, nochmal, ganz kurz! Habt ihr? Tisch 20: Position 1: Jakobsmuscheln, Position 4: Tasche. Position 3: Garnele, Position 2: Tasche. Richtig? So. Und sie gehen an 11."
Sein Sous-Chef kümmert sich um die Jakobsmuschel. Florian Pöschl setzt das kreisrunde hellrosa Fleisch in die schaumige Butter, schöpft dabei das Fett mit dem Löffel über das Fleisch, achtet auf Farbe, Konsistenz.
Florian Pöschl: "Es gibt gebratene Jakobsmuschel, dann gibt es gebackene Jakobsmuschel. Und dann ist da noch ein Eigelb dabei. Und ein bisschen Trüffelsauce."
Hier entschuldigt sich der Chef persönlich
Pöschl nimmt die Pfanne vom Herd, schiebt sie in den Salamander, eine Art Grill, der die Muschel mit Ober- und Unterhitze sanft gart. Trotzdem steht eine viertel Stunde später fest: die Jakobsmuschel ist vielleicht perfekt zubereitet. Aber der Gast beschwert sich, lässt sie umgehend zurückgehen. Die erste und einzige Reklamation an diesem Abend sorgt für ein kurzes Durcheinander.
Ali: "Angeblich hat die Dame ohne Trüffelsauce bestellt. Aber ich hab dazu keine Informationen, da muss ich nachhaken. − Können wir einmal schnell Jakobsmuschel machen, eine schnelle?"
Pöschl nickt, greift sich eine neue Pfanne, Butter, eine neue Muschel. Fünf Minuten später nimmt der Chef persönlich den Teller, rauscht ab durch die Bullaugentür, mit der Jakobsmuschel:
"Guten Abend! Tut mir leid. Die Information ist bei mir nicht angekommen. Guten Appetit wünsche ich Ihnen."
Etwas verdutzt nickt die Frau, lächelt kurz, schon ist Ali auf dem Rückweg in die Küche. Wo das nächste kleine Drama wartet. Der aufwendig drapierte Vorspeisenteller mit einem Kranz von frischen Früchten hat einen Klecks, wo keiner sein soll. Der Chef schüttelt den Kopf, vergisst das Mikrofon:
"Das ist Scheiße, echt! Guck mal, wie der Teller aussieht... Also, ich könnte mich jetzt echt wieder ärgern! Kann passieren... Aber ist ärgerlich! Darf nicht passieren. Das dauert doch jetzt ewig, bis du das fertig kriegst. [atmet pfeifend aus]"
Viel Zeit zum Ärgern bleibt nicht. Alis krause Stirn entspannt sich schon wieder, ein Schulterblick auf die Magnettafel, die nächsten Bestellungen:
"Leber, Garnele, wie lange? Okay. Da sind die nächsten Zwischengänge, bitte: Fünf Kabeljau, ein Zander. Und dann die Gruppe, Florian: sechs Kabeljau, zwei Risotto. Sieht super aus! Halt, bisschen Pfeffer noch obendrauf... Boah. Bei solchen Gerichten würde ich auch gern Vegetarier werden! [lacht]"
Kurz vor elf legt sich die Anspannung. Zeit für Ali Güngörmüs, sich draußen bei den Gästen zu zeigen. Die einen im Anzug, kaum einer mit Krawatte, die Frauen elegant, dezent geschminkt. Eine Gruppe junger Schweizer Köche, bunte Mischung. Ali hält Smalltalk mit Bekannten und Unbekannten. Neugierig, professionell:
"Hallo, guten Abend! Ali Güngörmüs! Ah... Chinatime. Oder was ist das? Ich bin in München aufgewachsen..."
Die Gäste genießen seine Nähe. Freundliche, bewundernde Blicke.
In der Küche räumen die Köche schon auf. Die Spülmaschine läuft auf Hochtouren, zuallererst ist der Tresen für die Vorspeisen saubergewischt. Der letzte Hauptgang ist in Arbeit und Sous-Chef Pöschl beschreibt das Feierabend-Ritual im Le Canard:
"Wenn es hier so grob sauber ist, dann gibt es Samstagabend immer das erste Bier in der Küche. Dann ist die Woche fast vorbei! Da freuen sich auch alle drauf! Verständlich!"
Es ist ein Uhr am Morgen, den letzten Gästen wird in die Mäntel geholfen. Drüben auf der anderen Elbseite rumort noch immer der Hafen. Orangegelb strahlen die Lichter der Kräne, von Transportern, Laternen. Und Ali Güngörmüs steht draußen auf der Terrasse, schaut rüber. Eine Hand auf dem Geländer. Er holt tief Luft, genießt den Ausblick:
"Der Körper fährt jetzt langsam runter. Und ich trinke jetzt ein Gläschen Wein. Und dann rede ich noch mal mit meinen Köchen und wünsche denen einen schönen Ausgang. Und dann geht es nächste Woche wieder weiter! Ist immer so. Es geht immer weiter. Es muss immer weiter gehen. Sonst geht es nicht."
Den Blick auf die Elbe, in der Hand ein Glas Wein, träumt Ali Güngörmüs von einem zweiten Lokal, ein paar Kilometer flussaufwärts, vielleicht ganz bald. Von gedörrter Rote Beete, mit Zitronenthymian und ein paar Tropfen Granatapfelsirup.
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