Kubus oder Kuppel

Von Adolf Stock · 11.08.2012
Seit 2009 wurden laut Islam-Archiv weit über 100 Moscheen in Deutschland gebaut - fast immer begleitet von mehr oder weniger heftigen Diskussionen. Eine Ausstellung in Berlin geht nun der Frage nach, inwieweit die muslimischen Sakralbauten zu einem Kulturtransfer beitragen können.
Das Logo der niederländischen Supermarkt-Kette Albert Heijn besteht aus einem geschwungenen A, das in ein H übergeht. Die Künstler Tarik Sadouma und Bastiaan Franken haben das Logo solange gedreht und verformt, bis das arabische Wort für Allah entstand, danach haben sie das neue Logo auf Kunststoffkacheln geklebt. Mit Hilfe der Kacheln wurde 2001 aus einem Amsterdamer Supermarkt eine temporäre Moschee. Im Rahmen der Ausstellung in der Berliner IfA-Galerie hat Tarik Sadouma von seiner damaligen Aktion erzählt.

"Zufälligerweise spielte ich mit dieser Plastiktüte hier, und wie Sie sehen können, sieht das Logo von dieser Tüte ein bisschen kalligrafisch aus. Durch dieses Spielen bin ich also zu dem Allah-Logo gelangt, und meiner Meinung nach sieht das wirklich wie Arabisch aus, wie eine arabische Schriftart. Wir haben also damit ein bisschen gespielt und dann dieses Muster erschaffen, das eigentlich auf die Plastiktüte zurückgeht, es sieht wie falscher Marmor aus, sehr nach Plastik. Und dann hatten wir also diesen Raum, der mal ein Supermarkt war, der hat sich in eine Moschee verwandelt, weil wir dieses Muster dort eingebracht haben. Und es war eigentlich ein Zufall, wir hatten gar nicht vor, eine Moschee zu bauen, aber es sieht doch überzeugend aus."

2001 wurde lebhaft diskutiert. Nicht alle fanden die Kunstaktion politisch korrekt. Andererseits gibt es in großen türkischen Moscheen manchmal auch einen Supermarkt, dann wird oben gebetet und unten eingekauft. Auf jeden Fall ist die Albert-Heijn-Moschee ein Stück Kulturtransfer, der in diesem Fall die Niederlande mit dem Islam verbindet.

Der Architekt Vedat Dalokay war in den 70er Jahren auch Bürgermeister von Ankara. Sein berühmtestes Bauwerk ist die Schah-Faisal-Moschee in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad. Es ist ein moderner Bau, in der Tradition von Le Corbusier oder Louis Kahn. Die Moschee hat keine Kuppel, sondern ein gefaltetes Dach, dass an ein großes Zelt erinnert. Zur Vorbereitung hatte der Architekt den Koran gelesen. Er wollte wissen, was zu einer richtigen Moschee gehört, aber er fand keinen Hinweis.

Wenn der Koran nicht weiterhilft, muss die Inspirationen aus anderen Quellen kommen. Die ältesten Moscheen sind Pfeilerhallen. Es gibt sie seit dem 8. Jahrhundert, erklärt die Kuratorin der Ausstellung Valérie Hammerbacher. Damals hat sich der Prophet Mohammed eine Moschee gebaut.

"Er hat ein Haus gehabt, das aus vier Flügeln besteht und der Innenhof war ausgestattet mit einem Raster von Palmstämmen. Die Blätter der Palmen haben diesen Hof abgedeckt. Also das Raster von Pfeilern oder Säulen, das ist diese Raumerfahrung, die auch eine genuin arabische Architekturinnovation ist, die Sie in Cordoba finden, die Sie aber auch in aktuellen Beispielen sehen, in Dubai, wo man am Pfeiler noch die faserigen Fortsätze von Palmen sieht, also eine direkte Anspielung, auf welches Architekturelement sich diese Moschee bezieht."

Im Lauf der Geschichte wurden noch zwei weitere Typen entwickelt. In Persien und Mittelasien entstanden die Ivan-Moscheen. Der Ivan ist eine große Halle, eine Art offenes Tor, das zum prägenden Teil der Fassade wird. Und es gibt die osmanische Kuppelmoschee. Sie besteht aus einem quadratischen Raum mit einer Halbkuppel als Dach. Baumeister Sinan, der Michelangelo der Osmanen, hat sie im 16. Jahrhundert entwickelt. Sein Vorbild war die einst christliche Hagia Sophia im heutigen Istanbul. Ein früher Beleg für einen nachhaltigen Kulturtransfer.

Ausgedient haben die traditionellen Vorbilder aber noch lange nicht. 80 Prozent der neu gebauten Moscheen orientieren sich an der architektonischen Vergangenheit. Kurator Christian Welzbacher spricht von einer Diskrepanz, die den Moscheebau weltweit kennzeichnet:

"Einmal der Blick zurück, zur Tradition, der so weit geht, dass Bauten entstehen im historisierten Gewand, die sehen also aus, als wären sie vor 500 Jahren entstanden und gleichzeitig gibt es eben sehr stark kontrastierend eine ganz klare auch künstlerische Aufbruchsstimmung, die durch moderne Experimente bis zum radikalen Bruch mit der Tradition führen."

Die Ausstellung zeigt Beispiele wie die Unabhängigkeitsmoschee in Jakarta aus den 60er Jahren, die eher einem Verwaltungsgebäude gleicht, oder eine Moschee für das Militär in Ankara, die wie ein Bunker aussieht und auf ein Minarett verzichtet. In München und Zagreb gibt es moderne Moscheen aus den 70er und 80er Jahren, die mit dem Kuppelmotiv spielen und zu neuen Formen finden.

Auch die neue Zentralmoschee in Köln besteht aus mehreren Schalen, die sich zu einer Kuppel formen. Um den Bau wird heftig gestritten, einige Kölner Bürger halten ihn für einen Angriff auf die Mehrheitsgesellschaft, dabei stammt der Architekt Paul Böhm aus einer alten Kirchenbaudynastie. Sein Großvater Dominikus Böhm hatte schon Anfang des letzten Jahrhunderts Papst Paul IV. gegen sich aufgebracht, weil seine sakralen Bauten der katholischen Liturgie widersprachen.

Traditionsbewusst oder modern, eines wird in der Ausstellung auf jeden Fall deutlich, die Zeit der Hinterhof-Moscheen ist vorbei. Die muslimischen Gemeinden wollen sich nicht mehr verstecken, sondern ein sichtbarer Teil der Gesellschaft sein.

Der Architekt Murat Korkmazyürek ist Mitte 30 und steht am Beginn seiner Karriere. Er hat eine Moschee für Echterdingen bei Stuttgart entworfen, die demnächst gebaut werden wird. 200 Muslime gehören zur Gemeinde. Zum Freitagsgebet besuchen aber deutlich mehr Gläubige die Moschee, vor allem weil die Stuttgarter Messe und der Flughafen ganz in der Nähe sind. Als die neue Moschee geplant wurde, war die Besorgnis groß: Was passiert, wenn die Muslime ihre Hinterhof-Moschee verlassen und in einen repräsentativen Neubau ziehen.

"Natürlich verstehe ich, dass die Leute ein bisschen Angst haben, dass da zum Beispiel jetzt eine klassische Moschee kommen würde. Es gibt leider in Deutschland auch ein paar Beispiele, was ich als Architekt auch nicht akzeptiere. Beispielsweise, dass die klassische Moschee in Istanbul hier nachgebaut wird, in einer kleineren Version. Das passt hier nicht rein."

Murat Korkmazyürek hat einen Kubus entworfen, der – wenn überhaupt – nur ganz entfernt an die Kaaba in Mekka erinnert. Der Architekt ist in Schwaben geboren und fühlt sich mit beiden Kulturen verbunden. Sein Entwurf will zwischen ihnen vermitteln.

"Die junge Generation, da gibt es überhaupt kein Problem, natürlich bei den älteren Generationen ist es immer noch im Kopf dieser große Kubus, aber nachdem wir die Interpretation mit den Minaretten, der Fassade, nachdem ich die Sache erläutert habe, haben die … och, dann ist es wiederum schön."

Um zu beten braucht man keine Moschee, ein ausgelegter Teppich gen Mekka reicht. Aus dieser Tatsache hat Azra Akšamija mit ihrer Dirndl Moschee eine überraschende Konsequenz gezogen. Die Künstlerin und Architektin stammt aus Bosnien, hat aber später in Wien studiert. Kuratorin Valérie Hammerbacher steht vor einem prächtigen Dirndl und erklärt, wie sich das alpenländisches Kleidungsstück in eine Mini-Moschee verwandeln lässt.

"Indem man nämlich diese Schürze, abnehmen kann und auslegen kann, sodass sich drei Gebetsteppiche ergeben, und dann kann man dieses Schultertuch auch als Kopfbedeckung anwenden, und dann, diese Messer, sagte sie mir, seien Accessoires vom Wolfgangsee, die verbunden sind mit dieser Perlenkette, die für das Gebet wichtig ist, also so ähnlich wie man das vom Rosenkranz kennt, können zum Beispiel die 99 Namen Allahs in einem Rhythmus damit abgezählt werden, um eben diesen Ritus auszuführen."

Doch der Kulturtransfer funktioniert bisweilen auch umgekehrt. In der Ausstellung wird auch dem Stuttgarter Hauptbahnhof ein Kapitel gewidmet. Da geht es allerdings nicht um Wutbürger und den Protest der Stuttgart 21-Gegner, sondern um den Architekten Paul Bonatz, der Anfang des letzten Jahrhunderts in Stuttgart eine der letzten Kathedralen des klassischen Bahnzeitalters bauen konnte. Zurückgekehrt von einer Reise nach Kairo und Istanbul hatte der Architekt seine Baupläne geändert. So wurde der Ivan der Sultan Hassan Moschee in Kairo zum Vorbild für den Stuttgarter Hauptbahnhof.

"Das kann man erkennen, indem man das verschieden gestreifte Mauer-werk sieht, die Gewölbebögen, die sich hier im Inneren vollziehen, aber auch die Fensterreihen, die rechts und links sind. Und es ist eben ganz wunderbar, dass dieser Kulturtransfer aus der islamisch geprägten Welt seinen Niederschlag in Stuttgart gefunden hat und sozusagen einen alternativen Weg für die Moderne auch gebildet hat."

Doch am Ende ist Kulturtransfer keine architektonische Frage. Gebäude sind nur Räume für Begegnung. Dass diese dann auch stattfinden, dafür müssen die Menschen sorgen.


Weitere Informationen rund um die Ausstellung:

Kubus oder Kuppel. Moscheen Perspektiven einer Bauaufgabe.
Bis zum 30. September 2012 in der IfA-Galerie Berlin, Linienstraße 139/140

Katalog:
Institut für Auslandsbeziehungen e.V. (Hg.):
Kubus oder Kuppel. Moscheen – Perspektiven einer Bauaufgabe

Wasmuth Verlag, Tübingen/Berlin 2012
144 Seiten, 145 Abbildungen, 16,00 Euro


Weitere Infos im Web:

Website des Instituts für Auslandsbeziehungen

Tarik Sadouma auf YouTube: Verwandlung des Albert Heijn Logos
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