Krücke mit Chic

Von Sabine Eichhorst · 04.07.2008
Die Welt der Gehhilfen, Badewannensitze und sonstigen Hilfsmittel ist für gewöhnlich beige und grau, trist und trüb. Und der Mensch, der diese Dinge braucht, fühlt sich ebenso. Aber warum? - Ein Hamburger Laden revolutioniert den Markt der Alltagshilfen und Geriatrieartikel.
Der Mensch hat Schwächen, egal, wie alt er ist, und auch Frau M. sitzt an diesem Nachmittag etwas kurzatmig auf einem Stuhl im hinteren Teil des Ladens, eine Hand auf einen Stock gestützt.

"Ich habe zwei Stöcke hier gekauft. Die sehen nicht so primitiv aus wie die aus dem Sanitätshaus… – darf ich gar nicht sagen, oder?"

Frau M. schlägt sich auf den Mund. Dann steht sie auf, geht, nur ein wenig auf ihren Stock gestützt, zu einem Ständer. Faltbarer Reisestock mit ergonomisch geformtem Soft-Derbygriff aus Kunststoff (39.95 Euro) – polierter Kirschbaumstock mit glanzversilbertem Griff (62 Euro) – Herrenstöcke aus deutscher Eiche (33 Euro).

"Wenn Sie von der Kasse einen kriegen … – die sind nicht gerade so berauschend. Aus Metall gibt es die. Und da sind zum Verstellen immer in Abschnitten so Löcher. Sind ein bisschen primitiver. Sind aber, wenn man im Sanitätshaus selbst kauft, nicht wesentlich billiger als hier."

Ihre erste Gehhilfe aus dem Sanitätshaus war sogar teurer. Doch an den genauen Preis erinnert sich Frau M. nicht mehr.

"Das interessiert mich dann nicht mehr, wenn ich es habe, nech."

Sie zupft an ihrem Halstuch und blickt auf ihren Kirschholzstock. Wenn sie denn am Stock geht, soll es ein schöner sein. Auf Schönheit, sagt Frau M., hat sie immer Wert gelegt.

"Ich kaufe jetzt gerade eine Lese-Lotte: Ein supertolles Teil, wo man sein Buch nicht mehr selber festhalten muss."

Diese junge Frau, die mit einer Buchstütze in der Hand zur Kasse marschiert, ist keine Stammkundin wie Frau M. Sie könnte es aber werden – obwohl sie jung ist.

"Ja, genau. Ich war glücklich, dass ich hier für meinen alten Vater einen richtigen Gehstock gefunden habe. Weil ich eben nicht in ein Sanitätshaus gehe und auch gar nicht richtig wusste, wo ich nachgucken sollte – aber dieser Laden ist wie ein Geschenkladen aufgemacht und hat nur nützliche Dinge."

Ihr Vater, ein Herr von 80 Jahren, war begeistert, als er den Designer-Stock sah.

"Der fand ihn super. Wir sind dann hergekommen und er wurde auf die richtige Länge zugeschnitten, und jetzt benutzt er ihn, ja."

Nun mag manch einer denken: Soll der Stock aussehen wie er will, Hauptsache, ich kann mich aufrecht halten …

"Ich finde, mit Design fühlt man sich einfach wohler im Leben."

Sagt’s, bezahlt 29.50 Euro, nimmt die Tüte mit der Lese-Lotte und geht.

Wie schön darf das Alter sein? Nicole Stephani kennt den Schnabeltassen-Charme der Sanitätshäuser, die triste, trübe, beige-graue Welt der Stöcke, Greifhilfen und Badewannensitze, in denen sich der Mensch, die diese benötigt, schnell ebenso trist und trüb und beige und grau fühlt.

Weil Stephani an MS erkrankte, musste sie sich, früher als andere, damit auseinandersetzen, nicht mehr alles allein zu können. Sie kündigte ihren Job in einem Fotofachlabor, eröffnete Nobody is perfekt und verkauft dort schön gestaltete funktionale Dinge, die Menschen mit Handicaps das Leben leichter machen. Sprechende Uhren-Taschenrechner-Küchenwaagen für Menschen mit Sehschwäche. Radios mit nur zwei Knöpfen, einfach zu bedienen. Schnabeltassen – in Popfarben!

"Ich hatte auch schon jemanden, der reinkam und sagte: Ich suche eine mobile Toilettensitzerhöhung. Das würde man, wenn man das erste Mal reinkommt, hier nicht vermuten oder erfragen."

"Der demografische Wandel ist ja als Phänomen wissenschaftlich schon länger beschrieben, aber dass Unternehmen sich darauf einstellen und Produkte entwickeln, die keine speziellen Seniorenprodukte sind, aber trotzdem die Bedürfnisse des Alters berücksichtigen – das ist etwas Neues, was jetzt erst losgeht."

Wie schön darf das Alter sein? Mathias Knigge, Ingenieur und Designer, hat in Hamburg die Agentur Grauwert gegründet und berät Unternehmen, die ihre Produkte "demografietauglich" machen wollen. Denn Kunden suchen Dinge, die das Leben im Alter oder mit Handicaps leichter machen – ohne Schnabeltassen-Charme. Gestandene Menschen wollen sich, wenn sie nach einem Telefon mit größeren Tasten fragen, nicht mehr von jungschnöseligen Verkäufern in die Kinderspielzeigabteilung schicken lassen. Doch die Industrie, so Knigge, reagiert langsam.

"Es geht parallel zum Klimawandel, dass man erst darüber spricht, ob es überhaupt passiert – und damit das, was man tun sollte, die Aktion, im Hintergrund bliebt."

Frau T. fährt vor. Sie parkt ihr Fahrrad vor dem Schaufenster, spaziert zur offenen Tür herein, sie trägt eine schwarze Baskenmütze und einen Mantel mit Posamentenverschlüssen, über ihrer Schulter eine lila Tasche. Frau T. ist auch eine Stammkundin.

"Ich gucke immer: Gibt’s was Neues? Meist gibt’s was Neues. Manchmal komme ich nur zu einem kleinen Mokka vorbei, weil ich ja in der Gegend wohne."

Sie wandelt durch den Laden, deutet hierauf, darauf, dies hat sie schon, das hat sie schon, alles so schön, alles so nützlich. Der asymetrisch geformte Regenschirm zum Beispiel, in dem der Wind sich nicht fängt und den sie sogar bei Sturm auf dem Fahrrad benutzen kann. Der gelb-türkis-gemusterte Einkaufswagen.

"Das Ding ist doch flott. Soll ich da die schweren Taschen schleppen?"

Sie schüttelt den Knopf, schnaubt. Wieso sollte sie alt wirken, wenn sie mit einem Einkaufswagen durch die Straßen zieht? Noch dazu mit einem gelb-türkis gemusterten?

"Ich habe auch ein stehendes Kehrblech, vielmehr: ein Kehrblech, das ich im Stehen benutzen kann. Und habe dann meine 98-jährige Tante, die ihren Haushalt sehr viel besser in Ordnung hat als ich, gefragt, ob sie vielleicht an so etwas mal Interesse hätte. Absolut nicht Sie kam sich alt vor. Dieses Dinge, wofür ich mich begeistere, will die mit 98 nicht haben! Weil sie alt wirken könnte!"

Wie alt ist sie selbst?

"Ja, also 98 bin ich noch nicht."

"Es kommen viele junge Leute, die sagen: Ich brauche was für meine Mutter, meine Oma. Die alte Generation, die jetzt richtig alt sind, die kaufen in der Regel nichts. Weil die sich mit vielen Sachen lieber ein bisschen quälen, bevor sie ein Hilfsmittel in Anspruch nehmen. Die einzige Ausnahme, die ich gerade feststelle, ist bei diesem Saugroboter, da springen sie wirklich über ihren Schatten, weil das eine Erleichterung ist, die ihnen sinnvoll erscheint."

Nicole Stephani nimmt ein flaches kreisrundes Gerät aus dem Schaufenster.

"Das ist ein Staubsauger, der alleine saugt. Er merkt, wenn es besonders schmutzig ist, dann kreist er einmal extra … Er hat eine Software, das heißt: Er fährt jetzt hier kreuz und quer, merkt sich den Raum, scannt mit der Bewegung den Raum und hört erst auf, wenn er jede Stelle drei, vier Mal gesaugt hat."

"Den habe ich, der ist phantastisch. Seitdem kriege ich immer Besuch von Freunden, die wollen alle diesen Roboter sehen. Dann sitzen wir beim Essen, und wenn er ankommt, halten wir die Beene hoch."

Nie, sagt Frau T. und schüttelt den Kopf, nie würde sie die Fußleisten bürsten und wienern wie dieser kleine Saugroboter.

"Und das Schönste ist: Dieses Dreckhäufchen, das er dann da anhäuft – wenn er da, brumm, drübergeht und alles aufsammelt."

299 Euro kostet der kleine Saugroboter. Und – wie alles in Stephanis Laden – ist er nicht auf Kassenrezept, sondern nur für Selbstzahler zu haben.

"Ich habe viele Leute, die sich Sachen angucken und warten oder sich das schenken lassen zu Weihnachten. Oder das zur Kenntnis nehmen und darauf sparen."

"Außerdem haben doch sehr viele Leute auch ein bisschen was zurückgelegt. Was sie meistens für ihre Enkel ausgeben. Dafür werden sie dann beschimpft, dass die Alten die Jungen auffressen! Da leiste ich mir doch gleich vorweg selber was."

Hamburg ist eine reiche Stadt. Stephani hat Kunden, die gehen durch den Laden, sagen: das-das-das-das. Und sie hat Kunden, die von kleinen Renten leben, sich Kleinigkeiten leisten.

"Wenn wir 2030 ein Drittel der Bevölkerung über sechzig Jahren in Deutschland haben, wird es Standard sein, dass man Produkte hat, die sich auf das Alter eingestellt haben. Da immer mehr Produkte der Alltagshilfen selbst bezahlt werden, funktionieren die Mechanismen des Marktes: dass man Auswahl möchte, dass man sich auch nach äußeren Kriterien entscheidet ..."

2030 wird gut ein Viertel der Hamburger Bevölkerung 65 Jahre und älter sein. Wer dann in Rente geht, muss, um die staatlich garantierte Grundsicherung von 660 Euro zu bekommen, dreißig Jahre gearbeitet, durchschnittlich verdient und in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben. Wie schön darf das Alter sein – und wie viel darf es kosten?

"Schönheit ist nicht der wirklich treibende Kostenfaktor bei Produkten. Dass man dadurch Produkte besonders teuer macht. Sondern in vielen Fällen auch billiger, denn wir denken ja nicht nur über Form und Farbe nach, sondern auch über den ganzen Produktionszusammenhang, wie Dinge hergestellt und entwickelt werden – dass da auch Kosten minimiert werden können. Aber damit Dinge Standard werden, muss man natürlich mit diesen besonderen, vielleicht auch teuren Produkten anfangen."

Drei Männer – Typ aufstrebender Manager: dunkler Anzug, gelglänzendes Haar, Sonnenbrillen, weit entfernt vom Otto-Normalrentner – stöbern durch die Regale; was sie sicher nicht täten, wenn sie sich in einem Sanitätshaus wähnten.

"Definitiv nicht. Die Frage ist auch, ob sie es überhaupt merken. Viele Leute kommen zwei, drei Mal her, kaufen Geschenke für Freunde und haben beim dritten Mal noch nicht gemerkt, was das Konzept des Ganzen ist."

Eine Frau mit Kind auf dem Arm sucht einen Deckelöffner für ihre rheumakranke Mutter. Im Kaufhaus hat sie nur Standarddosen- und Flaschenöffner gefunden, im Haushaltswarenladen auch, dann hat sie Nicole Stephanis Laden entdeckt.

"Dann nehme ich doch mal den."

Sie kauft einen Schraubdeckel-Öffner, passend für alle handelsüblichen Verschlussgrößen (6.50 Euro).

"Es kommt mir dann auch nicht auf ein paar Euro an, gerade wenn man was auch verschenken möchte oder weiß, da hat jemand wie meine Mutter eine gewisse Schwäche. Allein würde sie zum Beispiel gar kein Glas öffnen können. Da wäre sie total hilflos, selbst wenn es entlüftet ist, sie hat einfach nicht mehr diese Kraft. Und das ist natürlich ein Stück Lebensqualität, was einem fehlt … Und wenn es schön aussieht, zahle ich auch mehr, weil sie sich freut und denkt: Ja, das kann ich auch in der Küche liegen lassen und keiner denkt, dass ich ein bisschen hilflos bin! Denn das kommt ja auch hinzu …"

Eine Schirmmütze mit Licht – für Sportler, Handwerker oder Rollstuhlfahrer, die beide Hände brauchen, aber nicht im Dunklen stehen wollen (34 Euro). Ein Tablett für Einarmige, mit einem Chromgriff – so gut ausbalanciert, dass man es mit einer Hand halten kann; auch für Zweihänder geeignet, weil man Türen dann nicht mehr mit dem Fuß aufstoßen muss (54 Euro). Mensch-ärgere-Dich-nicht im XXL-Format (85 Euro), Rückenkratzer (8.50 Euro), Anziehhilfe Liftboy (24.50 Euro). Doch das Glanzstück in Stephanis Produkt-Palette ist wohl ein Rollator – der Porsche unter den Rollatoren.

"Er ist vom Design deutlich attraktiver als so ein… - ich sage mal: AOK-Modell. Die sind preislich auch in einer ganz anderen Dimension. Wenn Sie die auf Krankenschein haben, kosten die, glaube ich, 50 Euro. Und dieser kostet 300. Aber die sind auch doppelt so schwer – diesen kann man zusammenklappen. Dann ist er einfach sehr wendig. Sie können auf kleinstem Raum mit ihm drehen …"

"Meine alte Mutter hat sich immer geweigert, einen zu benutzen. Passte auch gar nicht zu ihr. Aber dieser schicke Porsche da, schwarz, federleicht – ich bin sehr viel mit ihr ausgegangen, und den konnte ich mit einem Finger hochnehmen. Den konnte man die Treppen runtertragen, an der Alster, wo wir abends immer Sekt tranken, und ich hielt das Mütterchen auf der anderen Seite."

Es ist wirklich seltsam, sagt Frau T. und in ihrem Gesicht steht nicht nur Staunen, sondern auch ein leiser Abscheu, es ist wirklich seltsam, dass selbst reiche Leute mit diesen billigen Kassendingern durch die Straßen streichen.

"Wenn ich schon gebrechlich bin, muss ich dann auch noch mit diesen entsetzlichen Dingern losgehen? Also wirklich! Wenn ich es mir eben leisten kann, dann nehme ich doch Dinge, die handlich sind und praktisch und quäle mich nicht ab. Ich war mit meiner Mutter beim Zahnarzt, eine steile Treppe hoch – wie hätte sie das wohl machen sollen? Außerdem sehen die ja entsetzlich hässlich aus, diese Dinger, fürchterlich!"

Das allerneueste Modell, sagt Nicole Stephani, ist sogar geländegängig. Schwarz und schnittig durch den Wald. 1000 Euro. Ein Porsche Cayenne sozusagen.

"Ich bin auch nicht reich, ich bin Rentnerin. Aber wer darauf Wert legt, dass es etwas hübscher ist ..."

Design für Reiche, Schnabeltassen-Charme für den Rest? Nein, sagt Frau M. mit dem schicken Stock entschieden.

"Nein, nein!"

Warum legt sie wert auf Design?

"Weil ich immer Wert darauf gelegt habe."

Sagt’s, nimmt ihren Kirschholzstock und verabschiedet sich. Sie muss zum Gedächtnistraining.

Hamburg ist, man muss es in diesem Zusammenhang sagen, eine junge Stadt. Weil es viele 20- bis 30-jährige an die Elbe zieht, altert die Hansestadt langsamer als andere Regionen des Landes. Diese Jungen werden im Alter weniger Geld aus der gesetzlichen Rentenversicherung bekommen als die Rentner heute. Doch weil es – form follows demography – dann schöne und funktionale Produkte für Alter und Gebrechlichkeit als Massenware und somit zu erschwinglichen Preisen geben wird, werden sie ganz selbstverständlich an schicken Krücken durchs Alter gehen können.

"Was ich mir denke ist, dass man in Hamburg ganz gut erleben kann, wie sich das doch paart: dass gerade wenn ältere Menschen sich Zeit und Geld für diese Themen nehmen, man sich darauf aktiv einstellt und Produkte auch annimmt und kauft. Eine gewissen Offenheit… – das erlebe ich jedenfalls gerade bei einem Hersteller für Freiraumelemente, für den wir Fitnessgeräte für öffentliche Anlagen entworfen haben: Wo man ganz klar sieht, dass jemand verstanden hat, was diese Zielgruppe in Zukunft möchte, und es deshalb ja auch genau richtig ist, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen."

"Die sind schon offen. Wobei der Hamburger guckt schon ganz genau, ist nicht gleich sofort Feuer und Flamme, aber wenn sie es dann sind, sind sie es auch für ewig. Aber das heißt nicht, dass sie das Geld locker sitzen haben. Ein Hamburger denkt schon nach. Vielleicht auch länger als ein Düsseldorfer oder Kölner. So lange wie ein Schwabe denkt er allerdings nicht nach …"

Nicole Stephani betreibt ihren Laden im vierten Jahr. Sie wird heiß empfohlen, hat inzwischen einen Katalog im Internet, und ihren Stammkunden gibt sie Visitenkarten mit, weil die immer wieder gefragt werden: Wo haben Sie diese Seniorenhandy her? Wo gibt es dieses formschöne Besteck für Rheumapatienten, diesen mobilen Badewannengriff? Seit kurzem wird ihr Laden sogar als Attraktion in einem Hamburg-Reiseführer beschrieben.

"Die Leute kommen hier rein und fühlen sich nicht kranker als draußen. Das ist kein Ghetto-Geschäft – ein Sanitätshaus ist für mich ein Ghetto-Geschäft."

Wie schön darf das Alter sein? Sehr schön, sagt Frau T. entschieden, stellt ihren Mokka beiseite, der längst kalt geworden ist, und schultert ihre Umhängetasche. Im Vorbeigehen deutet sie auf eine extra leichte Greifhilfe (24 Euro) – die braucht sie nicht, ihre Arme sind gesund, ihre Hände auch, sie kann sich prima bewegen …

"Sie werden lachen: So einen Greifarm, den nehme ich immer, wenn der Knöterich von den Nachbarn von weither auf meinen Balkon kommt. Dann schnappe ich mir diese Ranken, zieh die zu mir rüber und vernichte sie. Ja!"