Kritische "Mein Kampf"-Edition

Gefährlich oder hilfreich?

Das Buch "Mein Kampf - 1. Band" von Adolf Hitler wird im Kunstmuseum in Solingen in der Ausstellung "Die verbrannten Dichter" gezeigt.
Die kritische Edition von "Min Kampf" soll ab Januar 2016 erhältlich sein. © picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
Von Matthias Bertsch · 18.02.2015
Historiker, Germanisten und Humangenetiker arbeiten an einer editierten Neuauflage von Adolf Hitlers "Mein Kampf". Doch manche bezweifeln, das diese Ausgabe wirklich hilft, die Schrift zu entmystifizieren und die Debatte zu versachlichen.
Darf man das Buch, in dem Adolf Hitler seine Weltanschauung und seine politischen Ziele dargelegt hat, heute wieder veröffentlichen? Natürlich, sagt der stellvertrende Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Magnus Brechtken, schließlich sei es ein wichtiges historisches Dokument.
"Wenn man im Jahr 2015 sich mit der deutschen Geschichte beschäftigen will, und dann 'Mein Kampf' heute zur Hand nimmt und den Text als fremd empfindet, dann muss man doch zugleich den Anspruch haben, verstehen zu wollen, was damals vor 90 Jahren Millionen von Deutschen bewogen hat, den hetzerischen Thesen, dem Rassismus, all diesen weltanschaulichen Konstrukten, die in 'Mein Kampf' formuliert sind, und die auch in der Öffentlichkeit seinerzeit formuliert wurden, zu folgen."
Um die Enstehungs- und Wirkungsgeschichte des Buches besser verstehen zu können, arbeiten an der kritischen Edition von "Mein Kampf" nicht nur Historiker sondern auch Germanisten, Humangenetiker und andere Wissenschaftler. Jeder Seite des Originaltextes steht eine mit Kommentaren und Erläuterungen gegenüber, dazu gibt es ein umfangreiches Vorwort und Register, so dass aus den ursprünglich knapp 800 rund 2000 Seiten werden. "Mein Kampf" soll entmystifiziert und die Debatte darüber versachlicht werden, betont der Berliner Historiker Michael Wildt, der Teile der Edition schon gelesen hat.
"Die Nüchternheit bedeutet ja nicht, dass man dem neutral gegenüber steht, sondern dass man aber nicht im Modus der Empörung schreibt, sondern im Modus der Erklärung versucht, diesen Text durchsichtig zu machen, um zu sagen, warum war der Text erfolgreich und damit auch ein Stück sichtbar werden zu lassen, wo die Zustimmung zur NSDAP in der Gesellschaft der Zwanziger, Beginn der Dreißiger Jahre lag."
"Furchtbares Beispiel einer menschenverachtenden Schrift"
Doch wer garantiert, dass "Mein Kampf" heute nicht wieder auf fruchtbaren Boden fällt? Hitlers Buch sei ein furchtbares Beispiel einer menschenverachtenden Schrift, heißt es in einem Beschluss der Länderjustizminister vom vergangenen Sommer, eine Verbreitung des Werkes falle unter den Paragraphen der Volksverhetzung. Ob dies nur für unkommentierte Ausgaben gilt oder auch für die kommentierte des Instituts für Zeitgeschichte, ist unklar. Sollte es zur Anzeige kommen, wird ein Gericht entscheiden müssen. Für Magnus Brechtken ist der Vorwurf absurd, machte er bei der Veranstaltung in Berlin deutlich, schließlich könne man sich "Mein Kampf" sowohl im Internet als auch in manchen Antiquariaten besorgen.
"Wenn 'Mein Kampf' Volksverhetzung wäre, dann müsste ein Staatsanwalt jetzt, in diesem Moment, durch Berliner Antiquariate laufen, durch andere Einrichtungen, die Server haben, auf denen 'Mein Kampf' verfügbar ist, und diesen Text beschlagnahmen und dagegen vorgehen. Nach meinem Wissen findet das nicht statt. Ich weiß nicht, was sich 2016 an dieser Lage ändern sollte, deswegen bin ich nicht ganz sicher, ob sich diese Perzeption so durchsetzen wird."
Wie die kritische Edition von "Mein Kampf" aufgenommen wird, wenn sie im Januar nächsten Jahres im Buchhandel erscheint, darüber lässt sich nur spekulieren. Bislang sind weder Auflage noch genauer Preis festgelegt. Klar ist nur, dass das Institut für Zeitgeschichte das Buch auf Selbstkostenbasis herausgeben will. Das Institut möchte sich nicht dem Vorwurf aussetzen, mit dem Verkauf wirtschaftliche Ziele zu verfolgen - anders als Adolf Hitler, der durch die Verkaufserlöse zum Millionär wurde. Und wenn die Neuauflage von "Mein Kampf" doch zum Kultbuch in der Rechten Szene wird? Michael Wildt:
"Man kann nicht dagegen sich schützen, dass Neonazis in aller Welt schon jetzt Hitler zitieren. Aber das, was diese Edition macht, ist genau das Gegenteil, nämlich Hitler gewissermaßen zu kontextualisieren, ihn einzuhegen. Gerade in der Umrahmung, dem Layout, wird es noch einmal ausgedrückt, dass dieser Text gewissermaßen umzäunt wird. Und das ist, glaube ich, eine ziemlich starke Aussage, die nicht den Missbrauch durch andere verhindern wird, aber ne valide Alternative bietet für all die, die sich ernsthaft mit dem Text auseinandersetzen wollen."
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