Kritik des reinen Gewinnstrebens

Wie falsch Geld redet

ILLUSTRATION - Ein Eurozeichen spiegelt sich am 08.01.2014 in Frankfurt am Main (Hessen) im Auge einer Frau (Aufnahme gespiegelt). Foto: Daniel Reinhardt/dpa
Mit Euro-Zeichen in den Augen © dpa/Daniel Reinhardt
Von Wieslaw Jurczenko · 17.09.2015
Ob "AAA" oder "Zombiebank" - bei normalen Bankkunden sorgen solche Begriffe eher für Verwirrung. Für Aufklärung sorgt John Lanchester mit seinem neuen Buch, in dem er finanzwirtschaftliche Fachtermini nicht nur erläutert, sondern zum Teil auch als "bullshit" entlarvt.
Wenn es um die Wirtschaft, insbesondere um das Bankwesen geht, erkennen wir schnell, dass wir in einer durch und durch sokratischen Situation sind, wir wissen plötzlich, dass wir nichts wissen. Und diese Situation ist Ausgangspunkt für dieses Buch, das zunächst einmal versucht, geldwirtschaftliche Zusammenhänge allgemeinverständlich zu vermitteln.
Und so beginnt dieses Buch auch damit, sich auf kritische Weise mit den wesentlichen ökonomischen Geistesströmungen der letzten dreißig Jahre auseinander zu setzen. Insbesondere der Neoliberalismus und Keynesianismus werden grundlegend erklärt, um dann die Einordnung der Wirtschaftswissenschaften als eine die Wirklichkeit erfassende Sozialwissenschaft aufs Korn zu nehmen. Denn Lanchester widerspricht ihrem eigenen immer wieder suggerierten Anspruch, eine Disziplin zu sein, die ökonomische "Naturgesetze" formuliere. Das sind die Theorien der Wirtschaftswissenschaften nämlich laut Lanchester keineswegs.
Entmystifizierung finanzwirtschaftlicher Begriffe
Vor diesem Hintergrund bietet Lanchesters Buch vor allem: Ein kleines Wörterbuch, in dem die wichtigsten Begriffe aus der Finanzwirtschaft und der Wirtschaft im Allgemeinen erläutert werden, mit denen die Öffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten immer wieder konfrontiert war, von "AAA" - also das Triple-A, mit der Bewertung der drei großen Ratingagenturen für Schuldner, die ihren Verpflichtungen auch nachkommen können - bis hin zu "Zombiebank", also eine Bank, die so viele faule Aktiva in ihrer Bilanz hat, dass sie nicht länger als Kreditgeber funktionieren kann.
Dabei beschränkt sich Lanchester nicht darauf, dem Leser diese Begriffe auf möglichst einfache Weise zu erklären, sondern liefert auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Terminus und schildert seine Bedeutung und Rolle für das Finanzsystem. Vielfach und gut nachvollziehbar stellt Lanchester Bezüge zur Finanzkrise her, beziehungsweise ihrer Entstehung. In diesem Teil wird so mancher Begriff restlos entmystifiziert oder einfach als "bullshit" entlarvt.
"Bullshit" oder wie man Begriffe in ihr Gegenteil verkehrt
Letztgenannter Begriff erfährt ebenfalls eine Erläuterung. Als Beispiel für "bullshit" sei hier die immer wieder strapazierte Vokabel "Synergie" erwähnt, die er genüsslich als das Gegenteil von dem demaskiert, was sie suggerieren soll.
Lanchester setzt sich immer wieder mit der ursprünglichen Bedeutung verschiedener Fachbegriffe auseinander und beschreibt ihren Wandel bis hin zum Gegenteil dessen, was sie ursprünglich bedeutet haben. Lanchester nennt dies süffisant "Gegenteilisierung". Insoweit eignet sich das Werk nicht nur für den interessierten Laien, sondern auch für Bankkaufleute, oder diejenigen, die es noch werden wollen. Sie erhalten eine kompakte Zusammenstellung der wichtigsten Begriffe aus der Finanzwelt, die nicht nur erklärt, sondern zugleich kritisch beleuchtet werden.
Im letzten Teil des Buches, den Lanchester "Nachwort" betitelt, findet der Leser einen Appell, sich kritisch mit der herrschenden Ideologie des Neoliberalismus auseinanderzusetzen, anstatt sich im Gefühl der Ohnmacht und vermeintlichen ‚Alternativlosigkeit' des derzeit herrschenden Denkmodells unserer Wirtschaftswelt auszuliefern. Das Buch zeigt zwar keine Lösungswege für die Probleme des Finanzsektors und unseres Wirtschaftssystems auf, aber es stellt der noch herrschenden Lehre des Neoliberalismus klar und deutlich den Menschen in seiner Vielschichtigkeit gegenüber.
Lanchester geißelt die Ideologie des reinen Gewinnstrebens als eine Denkrichtung, die eher für verheerende Schäden sorgt, als Nutzen für die Gesellschaft zu stiften. Hierin liegt auch der wesentliche Denkanstoß, den das Buch gibt, nicht alle Vorstellungen, die einem in den Medien oder durch die Politik präsentiert werden, einfach unkritisch hinzunehmen, sondern sich eigene Gedanken zu machen. Also im besten Sinne ein aufklärendes Buch.

John Lanchester: Die Sprache des Geldes und warum wir sie nicht verstehen (sollen)
Aus dem Englischen übersetzt von Dorothee Merkel
Klett-Cotta, Stuttgart 2015
352 Seiten, 19,95 Euro

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