Kritik an Leistungsvorgaben des Leichtathletikverbandes

Claudia Lepping im Gespräch mit Nana Brink · 06.08.2013
Dass in der Bundesrepublik in der Vergangenheit massiv gedopt wurde, hat die ehemalige Leichtathletin Claudia Lepping als Jugendliche selbst erfahren. In einem Umfeld, "in dem organisierte Verantwortungslosigkeit herrscht", sei es leicht, Jugendliche entsprechend zu manipulieren.
Nana Brink: Nach dem Wirbel um die Studie über die Dopingvergangenheit in der Bundesrepublik ist nun Bewegung in den Fall gekommen. Seit gestern steht ja der Abschlussbericht auf der Homepage des Bundesinstituts für Sportwissenschaft. Eine Forschergruppe der Berliner Humboldt-Universität hatte ja die Dopingvergangenheit in der Bundesrepublik untersucht, und nun ist wieder die alte Frage entbrannt, wie systematisch wurde denn in der alten Bundesrepublik gedopt?

Der Deutsche Olympische Sportbund hat schon auf diese Studie reagiert und spricht jetzt in Gestalt des Präsidenten Thomas Bach ganz deutliche Worte, und zwar: Wir wollen Klarheit und Offenheit. Das wollen wir auch. Claudia Lepping, ehemalige Leichtathletin, Journalistin und Initiatorin der Plattform "Dopingalarm", schönen guten Morgen, Frau Lepping!

Claudia Lepping: Schönen guten Morgen!

Brink: Auf Ihrer Plattform versammeln sich vor allem Athleten, die sprechen über Doping auch in der Vergangenheit. Gab es ein Doping-System in der Bundesrepublik?

Lepping: Es gab nicht dasselbe Doping-System, wie es im Osten gab. Trotzdem sollte man die beiden Systeme durchaus vergleichen, aber halt nicht gleichsetzen. Es ist irgendwie für einen Athleten kein großer Unterschied, von wem er genötigt oder überredet oder ins Boot geholt wird. Aber im Osten gab es das Doping-Regime, dieses Staatsplanthema 25 oder 14/25, und im Westen hat sich das quasi von unten organisiert, und von oben, von den Verbänden aus wurden entsprechende Normen, Leistungserwartungen und Qualifikationen vorgegeben, die im Grunde nicht mit Bordmitteln, also mit sauberen Mitteln zu erreichen waren.

Brink: Können Sie uns das noch mal ein bisschen genauer beschreiben, auch aus eigener Erfahrung, wie hat das funktioniert?

Lepping: Also, ich war damals beim SC Eintracht Hamm in einer Sprinterinnengruppe, die sehr klein und überschaubar sein sollte und auch blieb. Das waren sieben bis acht Athletinnen, und die sollten erklärtermaßen eben zur Sprinterinnenhochburg heranwachsen. Dort hatte ein Trainer im Grunde alles in der Hand, da ging es um Training, da ging es um Prämien, da ging es um Ausstattung und eben auch um Medikamente.

Und die Normen, die der Deutsche Leichtathletikverband in dem Fall vorgibt, die sprechen bis heute dafür, dass nicht jemand, der mit normalen, üblichen Trainingsmethoden auf der Bahn unterwegs ist, auch tatsächlich hier eine Finalkampfchance hat, die eben der Deutsche Leichtathletikverband im Grunde bei jeder Nominierung voraussetzt. Also man kann natürlich auch diese Normen so hoch setzen, dass sie eben mit normalen Mitteln nicht erreichbar sind.

Brink: Das heißt, haben Sie dann etwas wie Nötigung empfunden, oder die meisten Ihrer Kolleginnen, das dann zu tun? Hat man das reflektiert?

Lepping: Ja natürlich. Also, die Nötigung, die hat sich manchmal dadurch erledigt, dass einfach das – Gottvertrauen, hätte ich fast gesagt – dieser jungen Leute in dieser Lebensphase größer ist als die Furcht. Wenn Sie in einem Umfeld aufwachsen, in dem die, wenn man so will, organisierte Verantwortungslosigkeit herrscht. Wenn Sie den Eindruck haben ...

Brink: Haben Sie das denn so empfunden, pardon, dass das verantwortungslos war?

Lepping: Ja, in der Tat. Es hat ja niemand, wenn man so will, die Konsequenzen daraus getragen bis eben auf die Athleten selbst. Also es gibt ja niemanden, der am Ende dem Sportler tief in die Augen schaut und sagt, das habe ich aber falsch gemacht und das tut mir sehr leid, dass du heute krank, geschädigt oder wie auch immer zu Schaden gekommen bist.

Ich erinnere nur an Birgit Dressel, die ja, als sie starb, mit 103 Medikamenten im Körper drei Tage lang wirklich einen qualvollen Tod gestorben ist. Da waren natürlich Ärzte im Hintergrund, und es waren auch Trainer im Hintergrund. Aber es gibt niemanden, der den Sportler selbst von dieser Entscheidung befreien kann, sich entweder dafür oder dagegen auszusprechen.

Brink: Ja, es gehören ja immer zwei dazu, nicht? Also, Sie haben es angedeutet, der, der Doping verordnet oder auch nötigt, und der, der es nimmt, nämlich der Athlet auf der Jagd nach Medaillen. Sieht man da vielleicht auch über vieles hinweg?

Lepping: Ja, das ist aber fast … dem Sport nun mal eben sehr zu eigen. Das ist ja kein Zuckerschlecken, wenn Sie jetzt täglich oder wöchentlich dermaßen an Ihre körperliche Leistungsfähigkeit herangehen und natürlich auch das erklärte Ziel haben, immer besser zu werden. Und wenn Sie dann auf ein Umfeld stoßen, in dem auch die Parole ausgegeben wird, es dopen sowieso alle und das macht gar nichts und es ist auch kein Betrug, dann ist es natürlich sehr leicht, Kinder, und darüber reden wir ja auch, oder Jugendliche in dem Sinne zu manipulieren.

Brink: Wie sieht das heute aus?

Lepping: Also auf der Plattform Dopingalarm melden sich nach wie vor sehr junge Leute, die natürlich auch so diesen euphorischen Habitus haben, es der Welt auch ohne jede Hilfsmittel zeigen zu wollen und zu können. Ich bin aber auch ganz erleichtert, dass sich der eine oder andere Trainer meldet, um mit dem Eindruck aufzuräumen, dass die alle nur noch einfallslos und stur nach alten Trainingsplänen vorgehen. Ich hoffe, dass sich da eine kleine Trendwende abzeichnet.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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