Kritik an BND-Reform

Maßlosigkeit per Gesetz

Radarkuppeln stehen am 07.05.2015 in Bad Aibling (Bayern) auf dem Gelände der Abhörstation des Bundesnachrichtendienstes (BND).
Der BND soll unrechtmäßig Daten erhoben haben. © dpa / picture-alliance / Angelika Warmuth
Von Ulf Buermeyer · 21.09.2016
Während die US-Regierung ihn lebenslang wegsperren will, ist er für andere ein Held: Edward Snowden. Deutschland habe aus den Enthüllungen ziemlich fragwürdige Konsequenzen gezogen, sagt der Jurist und Berliner Richter Ulf Buermeyer.
Als vor mehr als drei Jahren die ersten Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden die Runde machten, war die Empörung weltweit mit Händen zu greifen: Die NSA, der für High-Tech-Spionage zuständige US-Geheimdienst, bemüht sich, den gesamten Internet-Verkehr weltweit zu überwachen und diese Daten auf Vorrat zu sammeln. "Informational supremacy", also Überlegenheit in Sachen Informationen ist das erklärte Ziel. Man weiß ja nie, wozu die Daten-Berge einmal nützlich sein mögen.
Inzwischen wissen wir, dass auch deutsche Dienste keine weiße Weste haben, wenn es um massenweise Eingriffe in die Privatsphäre geht: Insbesondere der Bundesnachrichtendienst hat seine elektronischen Ohren ebenfalls an vielen Kabeln und Satellitenleitungen. Juristen außerhalb von Sicherheitsbehörden und Kanzleramt sind sich einig, dass sich vieles davon weit jenseits der Grenzen des Rechts abspielt. Kürzlich wurde bekannt, dass die Bundesdatenschutzbeauftragte bei der Kontrolle eines einzigen BND-Abhörzentrums mehr Rechtsbrüche feststellte als sonst in der gesamten Bundesverwaltung in einem ganzen Jahr.

Immer mehr Befugnisse für den BND

Und genau das kann ein Rechtsstaat nicht einfach hinnehmen. Wird das Recht nicht nachdrücklich durchgesetzt, so verliert es seine Legitimität. Wie soll man etwa einem Ladendieb plausibel machen, dass seine Tat gesühnt wird, während die Rechtsbrecher im Dienste des BND ungeschoren bleiben? Damit stand die Bundesregierung vor der Entscheidung, entweder die Arbeit des BND wieder auf das gesetzlich erlaubte Maß zu beschränken – oder aber Hand an die Rechtsgrundlagen der BND-Spionage zu legen.
Die Große Koalition hat sich für den zweiten Weg entschieden und einen Gesetzentwurf vorgelegt, der in seiner Maßlosigkeit neue Maßstäbe setzt. Geht es nach diesen Plänen, soll der BND in Zukunft auf bloße Anweisung des Kanzleramts jede Internet-Leitung weltweit abhören dürfen. Was der BND mit den Daten dann anstellt soll hingegen weitgehend ihm überlassen bleiben: Wirtschafts-Spionage ist nicht erlaubt, Daten von Deutschen müssen eigentlich ausgefiltert werden, auch für Europäer sollen gewisse Schutzmechanismen greifen. Aber der BND gibt offen zu, dass seine automatischen Filtersysteme nicht treffsicher arbeiten – und bei Millionen täglich mitgeschnittener Verbindungen bedeutet selbst eine Treffsicherheit von 99,9 Prozent, dass jeden Tag die Daten tausender unbescholtener Deutscher in BND-Computern gerastert werden.

Evaluation? Findet nicht statt

Die Regierung plant damit eine Ermächtigung per Gesetz, wie wir sie in der Bundesrepublik bisher nicht kannten. Es wird nicht nur die rechtswidrige Praxis des BND und seiner Kooperation mit der NSA legalisiert. Mehr noch: Ein ganzes Grundrecht, nämlich das der vertraulichen Telekommunikation, wird für den BND de facto abgeschafft. Das Konzept markiert die Abkehr vom Prinzip gezielter Grundrechts-Eingriffe gegenüber einzelnen konkret Verdächtigen, hin zu einer prophylaktischen Überwachung potentiell aller Menschen.
Das dürfte mit dem Grundgesetz kaum vereinbar sein. Aber vor der juristischen Bewertung sollte die politische Diskussion stehen, ob wir eine Behörde mit solchen Befugnisse wirklich wollen. Dies gilt umso mehr, als den hohen rechtsstaatlichen Kosten ein völlig unklarer Nutzen gegenübersteht. Zwar berufen sich Politiker gerne auf den "Kampf gegen den Terror". Bisher aber findet keine Evaluation statt, ob der BND auf diesem Gebiet mit der bisher bereits durchgeführten verdachts-unabhängigen Massenüberwachung überhaupt irgendwelche Erfolge erzielt. In den USA waren die Ergebnisse solcher Evaluationen der NSA-Spionage mehr als ernüchternd. Außerdem haben der NSA-Untersuchungsausschuss und zuletzt der Bericht der Bundesdatenschutzbeauftragten deutlich gemacht, dass der BND bisher nicht wirksam kontrolliert wird, sondern weitgehend nach Gutdünken agiert. Warum sollte man einen derart entfesselten Dienst noch weiter von der Leine lassen?

Ulf Buermeyer, geboren 1976 in Osnabrück, ist Richter am Landgericht Berlin. Von der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt/Main wurde er mit einer Arbeit über "Informationelle Selbstbestimmung im Strafvollzug" promoviert, an der Columbia Law School in New York City absolvierte er einen Master of Laws (LL.M.). In Schwerpunkten seiner Arbeit befasst der Jurist sich mit Fragen des Datenschutzes und der Informationsfreiheit. Ulf Buermeyer ist Fellow des Center for Internet and Human Rights an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.

Der Berliner Richter Ulf Buermeyer
© Friedrich Naumann Stiftung
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