Kristi Stassinopoulou & Stathis Kalyviotis: "NYN"

Der Kälte die Stirn bieten

Kristi Stassinopoulou und Stathis Kalyviots auf der Bühne
Kristi Stassinopoulou und Stathis Kalyviots auf der Bühne: Neues Album nach fünf Jahren Pause © Deutschlandradio / Dionissis Stefanopoulos
Von Grit Friedrich · 24.11.2016
Das Duo Kristi Stassinopoulou & Stathis Kalyviotis vermischt traditionelle griechische Musik mit Punk, alternativen Gitarrenriffs und psychedelischen Melodien. Ihr neues Album liegt auf Platz zwei der Europäischen Weltmusikcharts.
"Strati Strati: Das heißt Schritt für Schritt. Dieses Lied erzählt von den nomadischen Schafhirten auf der Balkanhalbinsel, dem Stamm der Sarakatsanen. Das ist eine sehr schöne Geschichte, denn ich bin überzeugt, dass auch ihr Blut in meinem fließt. Von meinen Großvätern. Das Lied hat aber auch damit zu tun, wie die Sprache und die metrische Aufteilung jedes Gedichtes zu bestimmten seltsamen Rhythmen führen. Und diese ungeraden Rhythmen findet man in vielen griechischen Tänzen. Bei 'Strati, strati' singen wir davon, wie dir die Worte in den Kopf kommen, während du Schritt für Schritt auf einem schmalen Pfad entlanggehst. Denn genauso entstand dieser Song."
Kristi Stassinopoulou und Stathis Kalyviotis bewegen sich seit Ende der achtziger Jahre jenseits ausgetretener musikalischer Pfade. Damals waren sie auf die abgelegene Dodekanesinsel Karpathos gekommen und hatten dort Lieder und Tänze entdeckt, die bei ihnen eine bis heute anhaltende Leidenschaft für die Volksmusik Griechenlands geweckt haben. Sie tauchten ein in das "Demotika Repertoire", also die Lieder und Tänze der Dorfbewohner zwischen Kreta und dem Epirus. Damals waren sie blutjunge Musiker - und eigentlich anders sozialisiert, erinnert sich Stathis Kalyviotis.

Reisen in entlegene Dörfer

"Wenn man wie ich in den späten 60er Jahren geboren wurde und in den 70ern in Athen aufwuchs, dann konnte man noch diese alte Musik hören, das war ein Teil des Alltags. Ich habe traditionelle Musik zwar gehört, war aber stärker beeinflusst von der Freiheit und dem Geist des Rock 'n Roll jener Zeit. Allmählich habe ich in den 80ern dann diese Musik auf Partys gehört, wo sie losgelöst war von dieser nationalistischen Seite und der Politik. Und als ich dann in den späten 80ern das Gefühl hatte, dass Rockmusik nur noch ein Verkaufsprodukt ist, begann ich mit Kristi in die entlegensten Dörfer zu reisen, wo wir traditionellen Musikern zugehört haben. Wir waren erstaunt und schockiert zugleich, so hat alles angefangen. Wir haben uns einfach in diese Musik verliebt."
Man spürt, dass Stathis Kalyviotis und Kristi Stassinopoulou seit Jahrzehnten zusammen arbeiten. Mühelos verbinden sie Fragmente traditioneller Musik mit einer punkigen Haltung, den Gitarrenriffs alternativer Musik und durchaus psychedelischen Melodien.
Uralte Instrumente, wie die Laute oder Rahmentrommeln, treffen auf Loops, ein Mellotron-Keyboard und ein indisches Harmonium. Doch das Herz dieser Musik schlägt in den für mitteleuropäische Ohren recht kompliziert klingenden, ständig wechselnden, ungeraden Rhythmen, hierzulande eher aus dem Jazz vertraut. Solche vertrackten Rhythmen finden sich in den Tänzen Kretas, der Kykladen, des Epirusgebirges, aus Thrakien, aber auch aus Kleinasien. Und all diese reichen musikalischen Quellen schwingen in jeder Note dieses Albums mit.
"Wir haben immer unsere Tradition erforscht, aber wenn wir einen neuen Song schreiben, dann setzen wir uns keinerlei Grenzen. Wir sagen nicht, wir werden das oder das machen und dabei kommt etwas heraus, das alles umfasst was wir kennen, es entsteht vielmehr sowas wie eine persönliche musikalische Collage."
"NYN" ist das antike griechische Wort für jetzt. Und die Brüche der Gegenwart will dieses Album auch gar nicht negieren. Kristi Stassinopoulou und Stathis Kalyviotis haben wie viele ihrer Kollegen große soziale Probleme, denn Griechenland ist seit Jahren krisengeschüttelt: Aber eben nicht nur. Zwar ist der Verkehr in Athen wegen Demonstrationszügen häufig blockiert, gibt es ernste Probleme im Gesundheitswesen und bringen die neuen, aus Sicht der Griechen völlig überzogenen Steuern viele Menschen um ihre letzten Ersparnisse, aber der griechische Boden ist fruchtbar für Musik.

Lieder, in bedrückender Zeit geboren

"Es ist kein Zufall, dass wir fünf Jahre lang kein Album gemacht haben, wir hatten keinen Wunsch danach, wir haben nur versucht zu überleben. Aber das hat schließlich doch zu einer Explosion von Liedern und Texten geführt, die genau mit diesen Problemen zu tun haben. Denn Musik funktioniert so für uns, für uns beide, Lieder sind für uns wie Medizin."
"Das Album erzählt durchaus von ernsten Dingen. Aber man bekommt einen Blick dafür, was wichtig ist und was nicht. Die Lieder wurden in einer bedrückenden Zeit geboren, aber sie sind nicht depressiv. Sie sind ein Zufluchtsort, aber nicht, um sich dort zu verstecken, sondern um sich auf das Weitermachen vorzubereiten."
"NYN" ist ein Manifest für die Schönheit und die Kraft starker Wurzeln, alle Songs sind auf Griechisch und bergen eine eigene Geschichte. "Ouden Oida / I know nothing" erzählt davon, dass alle immer alles zu wissen glauben, aber die Sängerin hält nichts von solchen Gewissheiten. Und textet: "Nie werden wir erfahren, wie der Kosmos entstand. Die einzige Wahrheit im Leben ist dieser Satz: Ich weiß, dass ich nichts weiß."
Und die Griechin singt mit einer berückenden Intensität auch darüber, dass der Winter vor der Tür steht. "Winter is Coming" ist der langsame Opener des neuen Albums, der eine seltsame Wärme und fast hymnische Qualitäten entwickelt. Denn man sollte dem Winter und der nicht enden wollenden Krise ruhig die Stirn bieten. Den passenden Soundtrack dazu liefern Kristi Stassinopoulou und Stathis Kalyviotis aus Athen.
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