Krisentraining für Entwicklungshelfer

Stresstest in Hammelburg

Ein Soldat der Infanterieschule Hammelburg sichert am 16.07.2010 während einer Vorführung beim "Tag der Infanterie" im Bundeswehr-Übungsdorf Bonnland ein Gebäude.
Ein Soldat der Infanterieschule Hammelburg sichert während einer Vorführung ein Gebäude. © picture-alliance / dpa / David Ebener
Von Peter Marx · 07.09.2015
Weltweit sind sie im Einsatz: Fachleute aus Deutschland, die in ihren Berufen Entwicklungshilfe leisten. Weil sie in Krisenregionen in bedrohliche Situationen kommen können, erhalten sie vor ihrer Entsendung ein spezielles Sicherheitstraining.
Die deutsche Entwicklungshelferin merkt nicht, dass sie beobachtet wird, als sie vor ihrem Kabuler Büro in ein Auto steigt. Plötzlich reißen bewaffnete Männer die Wagentüren auf, zerren die Autofahrerin aus dem Wagen, entführen sie.
Ein Taxi unterwegs auf den Schotterstraßen im Hinterland von Kundus, einer Provinzstadt in Afghanistan. Die Fahrt endet abrupt: Bewaffnete Taliban-Kämpfer stoppen das Taxi und entführen den Fahrgast, einen deutschen Entwicklungshelfer. Der Mann von der Gesellschaft für internationale Beziehungen kann nach sechs Wochen Geiselhaft fliehen.

Das sind nur zwei Beispiele aus den letzten sechs Monaten, die Stabsfeldwebel Jens Stieg während des Sicherheitskurses in Hammelburg eigentlich gar nicht mehr erzählen muss, um die 20 Teilnehmer um ihn herum zu motivieren. Diese Frauen und Männer sind es – bis in die Zehenspitzen. Sie sind Teilnehmer eines Sicherheitslehrgangs im Vereinten Nationen-Ausbildungszentrum der Bundeswehr im fränkischen Hammelburg. Trotzdem: der Stabsfeldwebel ist sauer, so richtig sauer, wie es nur Feldwebel werden können, wenn Übungen misslingen, ganz gleich ob von Soldaten oder Zivilisten. Und weil es ein internationaler Lehrgang ist, schimpft Stieg auf Englisch, damit ihn auch wirklich alle Teilnehmer verstehen.
Überfälle von Milizen, Minenfelder, Entführungen, Verhöre, Kämpfe

Dabei ist nichts Schlimmes passiert, denken sich die Teilnehmer. Man kann doch mal einen Bürgermeister nach seinem Ausweis fragen? Kann man nicht, herrscht Jens Stieg die Teilnehmer an, weil sowas als Beleidigung angesehen wird und im schlimmsten Fall die gesamte Mission gefährdet. Die Frauen und Männer schlucken Fragen oder Proteste runter – nicht zum ersten Mal an diesem Tag.

Stresstest im Hammelburg - Entwicklungshelfer proben das Verhalten bei einer Kontrolle durch Bewaffnete
Stresstest im Hammelburg - Entwicklungshelfer proben das Verhalten bei einer Kontrolle durch Bewaffnete© Deutschlandradio Kultur / Peter Marx
Die Bundeswehr bietet zivilen Mitarbeitern von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, die in Krisenregionen eingesetzt werden, dieses fünftägige Sicherheitstraining an. Die Entwicklungshelfer oder Wahlbeobachter werden dabei mit Situationen konfrontiert, die sie in ihren Einsatzländern nie erleben möchten: Überfälle von Milizen, Minenfelder, Entführungen, Verhöre, Kämpfe:

"Inzwischen ist es so, dass alle die in einen solchen Einsatz gehen bei uns ein Sicherheitstraining durchlaufen müssen. Und da gibt es unterschiedliche Kurse. Unter anderem gibt es einen sogenannten Head-Kurs, wo diese Expertinnen und Experten vorbereitet werden auf einen Einsatz in Krisen- und Konfliktländern, wo man lernt, wie man sich verhält, wenn man angegriffen wird bei einer Geiselnahme, wie man deeskalieren kann, wie man sich selber schützen kann, wie man solche Situationen möglichst früh wahrnimmt."

Das sagt Almut Wieland-Karimi. Sie ist die Direktorin des Berliner Zentrums für Internationale Friedenseinsätze, kurz ZIF. In ihrem Expertenpool stehen die Namen von über 750 Fachleuten wie Polizisten oder Verwaltungsbeamte sowie von 750 Wahlbeobachtern, die, wenn sie nicht benötigt werden, ihrem zivilen Beruf nachgehen:

"Wir haben zurzeit bei der OSZE ungefähr 80 Personen im Einsatz. Die größte Mission ist die Special Monitoring Mission in der Ukraine. Und dann haben wir etwa die gleiche Zahl bei der EU im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Einsatz, die in Ländern sind wie Georgien, wie Afghanistan, im Kosovo und in Palästina. Einige von denen sind Politik-Wissenschaftler, andere sind Juristen. Wir haben aber auch Logistiker, Strafvollzugsbeamte, Richter und Richterinnen, Leute die sich mit Menschenrechten auskennen."

Stabsfeldwebel Stieg treibt an. Die nächste Gruppe, das nächste Gespräch mit dem Bürgermeister. Vier Frauen, sechs Männer, Dorfbewohner, stehen um den Bürgermeister, reden russisch, wirken bedrohlich. Die Lehrgangsteilnehmer sind verunsichert, was Jens Stieg wieder freut. Die Laienschauspieler aus der Region machen ihren Job gut:

"In der Regel reagieren Gruppen, egal von welcher Organisation sie kommen, immer gleich, weil wir versuchen, auch ihnen ein Basis-Wissen mit zugeben, was ich eigentlich in allen Situationen anwenden kann. Deshalb auch die Zusammenstellung des Personals, das wir hier einsetzen. Ein Teil sind Soldaten, ein Teil sind extra ältere Angestellte des Bundes, die hier für uns das Rollenspiel darstellen."
Ein Übungsdorf mit Kirche, Kindergarten und Rosen im Vorgarten

Bonnland, das Übungsdorf der Bundeswehr mit Kirche, Kindergarten, mit frisch verputzten Fachwerkhäusern, mit Mülleimern auf der Straße und Rosen im Vorgarten. Hier üben Soldaten den Häuserkampf und hier lernen die künftigen Wahlbeobachter, wie sie sich verhalten müssen, wenn auf sie geschossen wird. Wie jetzt.

Nicht jeder Baum oder jede Mauer schützt wirkungsvoll vor Gewehrkugeln. Anna Mentzi aus Zürich robbt sich hinter eine Steinmauer, wartet ab. Die Kugeln waren echt, aber niemand in Gefahr: Alles eine Übung, ein Spiel:

Stresstext im Hammelburg - Entwicklungshelfer proben das Verhalten bei einem Überfall
Stresstext im Hammelburg - Entwicklungshelfer proben das Verhalten bei einem Überfall© Deutschlandradio Kultur / Peter Marx
"Es ist sehr, sehr echt. Es fühlt sich sehr echt an. Und die Stress Reaktion im Körper wird echt und sobald diese Stress Reaktion ausgelöst ist, reagieren der Körper und dementsprechend auch das Hirn. Oder halt eben nicht mehr. Genau und dann merkt man das."
Maria Brähmer kommt hinter einem Busch hervor. Sie schüttelt den Staub aus ihrer Kleidung, schildert ihre Erfahrungen:

"Ich habe zwei Jahre in Äthiopien gearbeitet und bin jetzt zurück in Berlin und habe eben diese Wahlbeobachtung neben meinem Beruf. Und da gehe ich in gefährliche Gebiete, wo Wahlen sind. Und oftmals in Ländern, wo die Wahrscheinlichkeit höher ist als hier in Deutschland, dass solche Szenarien eintreten."

Maria Brähmer arbeitet in Berlin bei der Hertie-School of Governance - "ihr normales Leben", das, sie sie sagt, sich ändert, wenn das Zentrum anruft. Neben ihr nickt Janja Pawels, die den jeweiligen Wahlbeobachtungsauftrag mit ihrer Doktorarbeit verbindet:

"Ich war z.B. Wahlbeobachterin in Ost-Timor. Das war jedoch bevor ich im ZIF aufgenommen wurde. Und ich komme jetzt gerade aus Trinidad-Tobago, was nicht ein gefährliches Land an sich ist. Aber ich bin Doktorandin und mache Forschungen zu Gangs. D.h. Ich halte mich tatsächlich in den gefährlicheren Regionen des Landes auf. Man kann sich natürlich fragen, wer macht das? Ist das Risiko erhöht? Es ist tatsächlich erhöht, jedoch mit ein bisschen mehr Lebenserfahrung und natürlich mit dem richtigen Training und einer Prise Menschenverstand kann man das Sicherheitsrisiko schon deutlich minimieren."

Janja Pawels rückt ihren roten Rucksack zurecht, sucht die Stelle, von wo aus die Schüsse kamen. Sie hat schon mehrere Einsätze hinter sich. Was reizt die Endzwanzigerin an den Einsätzen, die für sie "ein anderes Leben“ sind, in das sie ganz allmählich reinrutschte:

"Es gibt Leute, die wollen nur nach Mallorca Urlaub machen, und es gibt andere, die fahren von Anfang an nach Indonesien, um dort zu backpackn. Und dann sucht man das nächste Abenteuer, das nächste Abenteuer. Und irgendwann möchte man nicht mehr Touristin sein, sondern auf tiefere Ebenen kommen, das Land anders kennen lernen. Und Wahlbeobachtung ist eine der Möglichkeiten, das Land in einer Situation zu sehen, wenn Ausnahmezustand herrscht. D.h., wenn Wahlen anstehen, ist die ganze Situation schon noch ein bisschen anders, und man kann tiefer eintauchen, man kann politische Prozesse beobachten."
Eine Herausforderung, bei der auch Adrenalin ausgeschüttet wird
Anna Mentzi drückt sich von der Mauer ab, klopft sich den Staub von ihrer grauen Hose, richtet die weiße Bluse. Die Schweizerin arbeitet derzeit als Notfallpsychologin, hilft Menschen nach Unfällen oder Katastrophen. Jetzt sucht die 29jährige Züricherin eine neue Herausforderung, wenn möglich eine, bei dem auch Adrenalin ausgeschüttet wird:

"Der Aspekt des Adrenalins ist, wenn man ehrlich ist, nie auszuschließen. Und mich persönlich motiviert die Dynamik in solch zugespitzten Situationen und ich finde die Dynamik total spannend, weil viel innerhalb kurzer Zeit passiert, und man da gut beisammen bleiben muss, weiterdenken muss, und das kann man trainieren. Und es ist mit eine Erfahrung, die ich hier mitnehmen möchte."

Die Schweizerin ist nicht die einzige in der Gruppe. Janja Pawels gibt zu:

"Also viele Leute würden wahrscheinlich jetzt sagen nein. Aber natürlich ist das Teil der Sache."

Nur Alexej Jusufof, der neben der Züricherin Mentzi steht, fühlt sich nicht angesprochen:

Ich würde nicht sagen, dass ich den Kick suche. Aber natürlich ist es ein ganz anderes Arbeiten als in einem Büro in Prag oder in einem sicheren Land oder in Deutschland selbst.

Vielleicht findet die Schweizerin Anna Mentzi einen Job bei der Direktorin des Zentrums für Internationale Beziehungen. Die Voraussetzungen würden reichen:

Wir nehmen Leute, die mindestens fünf Jahre Berufserfahrung haben, weil diejenigen, die in so einer Mission sind, ja ihren lokalen Counterparts, ob das nun Richter in einem bestimmten Land sind oder Menschenrechtsexperten auch etwas beibringen sollen. Und dazu natürlich die neuesten professionellen Entwicklungen bei uns kennen müssen über die entsprechende Fachkenntnisse verfügen. Das heißt: Die Jüngsten sind Anfang 30 und das geht hoch bis Mitte 60.

Almut Wieland-Karimi sitzt hinter ihrem Schreibtisch am Berliner Ludwig-Kirch-Platz, blättert in Plastikordnern, die aussehen wie Bewerbungen. Sie spricht von einer privilegierten Situation, weil es derzeit mehr Bewerber gibt als benötigt werden.

"Auf der anderen Seite suchen wir auch gezielt Leute mit bestimmten Kenntnissen, also Sprachkenntnisse Arabisch, Russisch, Französisch. Wir suchen aber auch Leute mit professionellen Hintergründen, zum Beispiel suchen wir immer Leute, die Verwaltung- und Finanzerfahrung haben."

Die Zif-Direktorin zögert bei der Frage, wie viele Zif-Mitarbeiter bei ihrer Arbeit im Ausland das Leben verloren: bei Entführungen, Bombenanschlägen, Schießereien, Unfällen. Das kann, so Wieland-Karimi, immer passieren. Aber bislang hatten Zif-Mitarbeiter Glück, abgesehen von den Helfern, die auf Haiti Opfer eines Erdbebens wurden. Was treibt die Menschen an, sich bei Zif oder anderen Organisationen zu melden:

"Manche haben die Motivation auch selber sehr viel zu lernen, was man ja tun kann über Begegnungen in einem anderen Land. Manche haben einfach die Freude daran entdeckt, immer in diesem internationalen Kontext zu arbeiten. Und ich würde sagen, dass die Motivation individuell unterschiedlich von denjenigen, die vielleicht in jüngeren Jahren von einer Neugier auf das Fremde geprägt sind, bis hin zu denjenigen, die sehr idealistisch mal in ihrem Leben in einer Zeit ihres Berufsalltages einen Beitrag zum Frieden leisten wollen - international - bis zu denjenigen, die einmal diesen Karriereweg eingeschlagen haben und dann gar nicht mehr auf den deutschen Arbeitsmarkt zurück können oder auch wollen."

Finanzielle Gründe schließt die Zif-Direktorin, die ihre Experten und Entwicklungshelfer nicht selbst bezahlt, weitgehend aus:

"Die schließen einen Sekundierungsvertrag mit dem Auswärtigen Amt, bekommen eine Aufwandsentschädigung und bekommen dann noch zusätzlich von der EU Tagegelder, die da hinzukommen. In der Zukunft wird sich das ändern, weil das ZIF eine Entsendeorganisation wird. Das ist eine gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt beschlossene Reform. Das heißt unsere Mitarbeiter bekommen ein Gehalt in Deutschland mit dem entsprechenden Sozialversicherungspaket und bekommen weiterhin eine Aufwandsentschädigung von den Missionen. Aber ich glaube, für die wenigsten ist es tatsächlich der finanzielle Anreiz, sondern es ist mehr der Anreiz, eben in so einer Mission zu arbeiten."
Wie findet man in einer fremden Umgebung das Haus des Bürgermeisters?

Aber wie kommen Zif und andere Gesellschaften an die interessierten Frauen und Männer. Volker Jacobi, Zif-Ausbildungsleiter sucht auf keinen Fall "todesmutige Menschen":

"Wir haben auf unserer Website und in unserem Netzwerk, dass wir Kandidaten und Kandidatinnen für diese Kurse suchen. Und dann haben wir im Regelfall Bewerbungen direkt von Individuen die für Organisationen oder als Einzelperson rausgehen wollen. Aber wir haben auch Kontakte zu den großen Organisationen wie OSZE, EU und Vereinte Nationen. Und laden direkt in Zusammenarbeit mit denen auch deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein."

Stresstext im Hammelburg - ein Entwicklungshelfer wird kontrolliert
Stresstext im Hammelburg - ein Entwicklungshelfer wird kontrolliert© Deutschlandradio Kultur / Peter Marx
Der gedrungene Körper von Stabsfeldwebel Jens Stieg vibriert, während er das Ergebnis der Gruppenübung zusammenfasst. Es geht diesmal um die Frage, wie man in einem fremden Ort das Haus eines Bürgermeisters findet. Stieg gehört zu den erfahrensten Ausbildern in Hammelburg. Und vieles was er hier erzählt oder in Übungen durchspielen lässt, hat er selbst erlebt. Hier in Hammelburg trennt sich, sagt der Stabsfeldwebel, sehr schnell die Spreu vom Weizen. Ganz gleich ob Mann oder Frau. Plötzlich lächelt er. Nicht über die Teilnehmer, sondern über die Frage: Wer ist härter, Frauen oder Männer?

Die Frauen, eindeutig. Immer. Ist so. Frauen sind in der Regel… Die fühlen sich vielleicht immer körperlich unterlegen, sind aber in der Regel immer taffer als die Männer. Und immer, habe ich den Eindruck, vielleicht noch zehn Prozent engagierter. Frauen nimmt man anders war, zu mindestens in unserem Kulturkreis. Deshalb haben sie es bei Verhandlungen in der Regel leichter.

Nach Ansicht von Stieg hat es sich die Gruppe hat es sich zu leicht gemacht. Während Stieg die letzten Fehler bespricht, macht die Gruppe bereits neue. Keinem der Teilnehmer fällt auf, dass immer mehr „Dorfbewohner“ auf den Platz kommen und die Gruppe einkreisen.

Die friedliche Atmosphäre kippt. Bewaffnete Männer bedrohen drei Teilnehmer und drängen sie in eine Seitenstraße. Keine Entführung, ein Überfall: die Räuber verschwinden mit Rucksäcken, Brieftaschen, Laptop und Handis. Ein fast alltäglicher Vorgang in Kriegs- und Krisengebieten. Die Überfallenen wirken erschrocken. Sie haben längst vergessen, dass es hier in Bonnland alles nur ein Spiel ist, aus dem jeder aussteigen kann, sagt der Stabsfeldwebel:
"Bei bestimmten Ausbildungen, die stressig werden, gibt es auch immer ein Code-Wort, um aus der Ausbildung rauszukommen."
Training als Eignungsprüfung für den Einsatz
Zwischen den Häusern versteckt steht Volker Jacobi, der Trainingsleiter des Zentrums für internationale Friedenseinsätze, und beobachtet die Kandidaten. Ein halbes Dutzend Kurse jährlich macht er für das Zif in Hammelburg.
"Mir fällt auf, dass die Leute, die hier mit uns in den Kursen sind, dass die einen irrsinnigen Erfahrungsschatz mitbringen und das wir alle aufgerufen sind, eigentlich voneinander zu lernen. Dass es eben nicht darum geht, dass es ein Trainer gibt, der alles weiß und dann diesen Wissenstransfer macht, sondern dass wir voneinander lernen können und müssen. Und das wir dann auch dieses Netzwerk bilden, was wir dann auch in dem Feld einsetzen, auch wirklich brauchen, um sicher einigermaßen über die Runden zu kommen."
Jacobi lobt die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr, die nicht von allen Entwicklungs- und Friedensorganisationen geteilt wird.
"Es gibt natürlich von Seiten von Entwicklungsorganisationen zuweilen ein bestimmtes Zögern, wenn es um die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr geht. Ich persönlich kann das natürlich verstehen, aber es ist nicht zielführend. Denn wir haben, wenn wir in Krisenländern zum Einsatz gehen, haben wir einfach sehr, sehr oft sehr gemischte Sicherheitslagen, wo wir einfach eng zusammenarbeiten müssen, mit der Bundeswehr, mit der Polizei. Sonst können wir unsere Arbeit selbst gar nicht machen, als zivile Experten und Expertinnen."
Die Situation auf dem Dorfplatz wird gefährlich. Bewohner umlagern die Gruppe, Gewehre werden hochgehalten, Schüsse aus Pistolen fallen. Stress pur für den Gruppen-Sprecher, der immer noch versucht ein Gespräch mit dem Bürgermeister zu führen. Das Rollenspiel macht einigen der Wahlbeobachtern und Entwicklungshelfern Angst. Eine Frau sagt das Codewort, steigt aus. Sie weint, ist mit den Nerven fertig. Ärzte kümmern sich um sie. Alexej Jusufof, Leiter des Kabuler Büros der Friedrich-Ebert Stiftung hält tapfer durch:
"Es ist ja nur gesund, wenn man Angst hat in bestimmten Situationen. Grundsätzlich hat man keine. Man hat auch einen Alltag in Kabul. Man gewöhnt sich an sehr vieles. Man muss sich dessen bewusst sein, es gibt ein abstraktes Risiko. Es ist immer da. Und man kann bestimmte Dinge tun, um das zu minimieren. Aber es kann immer was passieren."
Volker Jacobi beobachtet den Ausstieg aus dem Rollenspiel, macht sich Notizen.
"Natürlich haben wir sowas auch, und das ist dann auch gut. Denn wenn jemand das in dem Trainingszusammenhang nicht ertragen kann, dann ist für ihn oder sie wahrscheinlich der mögliche Einsatz auch gar nicht so eine gute Idee."
Soldaten stürmen den Dorfplatz. Wie in einem alten Hollywood-Western kommt die rettende Kavallerie in letzter Minute. Happy End ! Die Dorfbewohner lachen, die Wahlbeobachter und Entwicklungshelfer atmen tief durch.
Feierabend. Olivfarbene Busse fahren auf den Dorfplatz. Die Teilnehmer des Sicherheitstrainings steigen ein, wollen nur noch in ihre Unterkünfte. Duschen, Kaffee, Bier trinken, entspannen. Wieder einen Übungstag überstanden, denken sie. Nur der Stabsfeldwebel weiß, dass zwei Kilometer außerhalb des Dorfes Milizionäre an einem Kontrollpunkt auf die Busse warten. Durchsuchungen, ein langer Marsch durch den Wald, Verhöre – die nächste Übung ist gerade angelaufen.
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