"Krisenmanagement der EU dramatisch schlecht"

Moderation: Hanns Ostermann · 06.06.2005
Der stellvertretende Vorsitzende und außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Werner Hoyer, hat sich für eine Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses der EU-Verfassung ausgesprochen. Gleichzeitig nannte er das Krisenmanagement der EU "dramatisch schlecht".
Ostermann: "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel", sagt man in Sport, "Nach der Krise ist vor der Krise", so könnte man die politische Stimmung in der EU zusammenfassen. In Frankreich und in den Niederlanden haben die Bürger die Verfassung abgelehnt. Groß ist auch die Skepsis in Dänemark und Großbritannien zum Beispiel. Sollte jetzt auch noch in knapp 14 Tagen der Gipfel keine positiven Signale senden, dann "armes Europa", oder ist die Lage doch nicht so dramatisch? Darüber sprechen möchte ich mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Bundestag, mit Werner Hoyer, guten Morgen Herr Hoyer.
Hoyer: Guten Morgen.

Ostermann: Nun rücken Bundeskanzler Schröder und der französischen Präsident Chirac noch enger zusammen, empfehlen eine gewisse Denkpause. Der Bundespräsident schlägt eine Inventur vor. Was raten Sie?
Hoyer: Denkpause heißt ja, dass man sich zumindest die Mühe macht, die Argumente der Gegner des Verfassungsvertrages in Frankreich und den Niederlanden, ernst zu nehmen und das halte ich auch für dringend erforderlich. Insbesondere die Aussage der Bürgerinnen und Bürger in den Niederlanden war ja so klar, dass man wirklich nachdenken muss, was die Ursachen waren und wie man diesen Bürgerinnen und Bürgern auch entgegen kommen will. Im Übrigen, es wäre ja in Deutschland nicht anders ausgegangen, wenn man ein Referendum hier nicht entsprechend gut vorbereitet hätte. Also, es ist wirklich Zeit für eine Denkpause und insofern stimme ich dem Bundespräsidenten schon zu.

Ostermann: Eine Denkpause bedeutet aber nicht, dass der Ratifizierungsprozess, was die EU-Verfassung betrifft, gestoppt wird?
Hoyer: Ich glaube allerdings, dass es ziemlich dreist ist, dass die Länder, die jetzt bei dem Verfassungsvertragsreferendum sich ein Nein von ihren Bürgern eingehandelt haben und diejenigen, die, wie Deutschland, sich gar nicht getraut haben, den Bürgerinnen und Bürgern die Frage vorzulegen, jetzt denjenigen eine Entscheidung vorgeben wollen, die das Referendum noch vor sich haben.

Also ich würde jetzt diese Frage mal den Staats- und Regierungschefs in Dänemark und all den anderen Ländern überlassen, die jetzt demnächst die Referenden zu bestehen haben. In Dänemark zum Beispiel hatten wir bis vor kurzem eine Situation, die, nach der Geschichte durchaus überraschend, ein klares Ja der Dänen nahe zu legen schien. Jetzt sieht es mittlerweile so aus, dass auf Grund des Referendums in den Niederlanden in Dänemark die Stimmung dramatisch kippt. Das muss man denen aber überlassen. Ich glaube, wir können das denen nicht aufs Auge drücken. Nur, richtig ist, es haben natürlich die Bürgerinnen und Bürger in allen EU-Ländern den Anspruch darauf, ihre Meinung zu sagen.

Ostermann: Generell rächt sich ja auch, dass es keinen Plan B gibt. Schröder schlug einen sechser Gipfel vor, für die Gründungsmitglieder - abgelehnt. Kommissionspräsident Barroso äußert eigene Vorstellungen. Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der EU?
Hoyer: Es ist dramatisch schlecht und der Vorschlag eines sechser Gipfels der Altmitglieder, der Ursprungsmitglieder, das ist natürlich ein Affront gegenüber denjenigen, die mittlerweile dazu gekommen sind, die teilweise ganz besonders integrationsfreudig sind und gewesen sind. Es sind jetzt so viele Vorschläge auf dem Tisch, dass allein die Denkpause erforderlich ist, um diese ganzen Vorschläge mal zu sortieren.

Ostermann: Schwierig wird die Lage ja auch deshalb, weil der Kurs Großbritanniens schwer nachzuvollziehen ist. Tony Blair löst demnächst Jean-Claude Junker in seiner Funktion als Ratspräsident ab. Verschlechtern sich damit die Aussichten für ein geeintes Europa oder kann das auch eine Chance sein?
Hoyer: Auf den ersten Blick verheißt das nichts Gutes, auf der anderen Seite ist Großbritannien während seiner Präsidentschaft in gewisser Weise auch zum Erfolg verdammt und von daher sollte man Tony Blair eine faire Chance geben. Übrigens hat ja auch Jean-Claude Juncker sehr, sehr ernsthaft versucht, das Problem in den Griff zu bekommen. Also, ich würde da nicht von vorne herein die Flinte ins Korn werfen.

Allerdings, ich muss noch mal sagen, es gibt für diese Situation keinen quick fix, keine schnelle, problemlose Lösung, weil die Gründe für das Nein in Frankreich den Gründen des Neins in den Niederlanden geradezu diametral entgegenstehen. Das heißt, wir brauchen hier die Quadratur des Kreises und da wir auf der anderen Seite von dem nach meiner Auffassung sehr guten Verfassungsvertrag so viel wie möglich retten sollten, um nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten, ist es erforderlich, hier noch mal ganz genau nachzudenken.

Ostermann: Geld bedeutet nicht alles, aber doch einiges. Wenn jetzt Deutschland und Frankreich mehr in die Kasse geben wollen, ist das aus Ihrer Sicht ein richtiger Ansatz oder Flickschusterei?
Hoyer: Ich halte es für eine gefährliche Flickschusterei, weil Deutschland nebenbei bemerkt damit auch von einer im deutschen Bundestag gemeinsam getragenen Linie abweicht. Auf den ersten Blick klingt das gut, dass man sagt, man ist hilfreich, das Problem zu bewältigen, aber zum Beispiel wäre in den Niederlanden das Nein-Votum noch stärker gewesen, wenn dieser Vorschlag des deutschen Bundeskanzlers dort bekannt gewesen wäre. Die Niederländer fühlen sich ohnehin finanziell über den Tisch gezogen und von Deutschland im Stich gelassen. Der Vorschlag, man könnte den EU-Anteil am Bruttosozialprodukt jetzt noch erhöhen, geht sehr stark zu Lasten auch der Niederländer, die ja pro Kopf einen noch höheren Nettobeitrag an die EU leisten als die Deutschen.

Also, es erscheint mir sehr unausgegoren und auch nicht glaubwürdig, wenn die Bürgerinnen und Bürger doch offensichtlich das Bedürfnis haben, dass Europa sich stärker zurückhält bei den großen Aufgaben, die es übernimmt und deswegen sollte man ohne Aufgabenkritik und ohne Ausgabenkritik auch nicht auf neue Einnahmen schielen.

Ostermann: Auf den Punkt gebracht, welches Zeichen muss der Gipfel in knapp 14 Tagen setzen?
Hoyer: Er muss das Zeichen setzen "Bürgerinnen und Bürger, wir haben verstanden, wir denken nach, aber wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass wir ein integriertes, tief integriertes Europa brauchen, um die Selbstbehauptung der Europäer im globalen Maßstab zu gewährleisten und wir sind bereit, das dadurch auch sicher zu stellen, dass wir ein demokratischeres, transparenteres, verantwortliches Europa bauen. Und da hat der Verfassungsvertrag eine gute Grundlage für geliefert. Wenn die möglicherweise zu kompliziert war, oder im Zusammenhang mit den Fragen der EU-Osterweiterung und so weiter, den Bürgerinnen und Bürgern zu viel, zu schnell abverlangt hat, sind wir bereit, auf dem Kurs zu bleiben, ihn aber doch zu verlangsamen und den Bürgerinnen und Bürgern besser zu erklären".