Krisenfotografin Heidi Levine

Ganz nah und ohne Glamour

Die Krisenfotografin Heidi Levine
Die Krisenfotografin Heidi Levine © picture alliance / dpa / International Women's Media Foundation
Von Torsten Teichmann · 25.06.2015
Afghanistan, Irak, Gaza-Streifen - Heidi Levine berichtet als Fotografin aus den Krisengebieten der Welt. Für ihre beeindruckenden Aufnahmen wird sie mit dem Anja-Niedringhaus-Preis ausgezeichnet.
Ein Liebeslied in dunkler Nacht. Das Foto zeigt Asra'ah Al-Namilah. Die Palästinenserin sitzt in einem Rollstuhl. Sie hat beide Beine verloren, bei einem Angriff der israelischen Armee am 1. August 2014 auf die Stadt Rafah im Gaza-Streifen. Neben Asra'ah auf dem Bett liegt ihr Ehemann Wael. Ärzte haben sein rechtes Bein amputiert. Das Paar hört Musik. Sie singen für einander.
Das Bild aus Rafah hat die Fotografin Heidi Levine im Januar geschossen. Sie blieb bei der Familie - auch über Nacht.
"Du bekommst einen anderen Einblick. Wenn du im Hotel übernachtest, gibt es dort einen Generator und Strom. Viele Menschen in Gaza haben aber keinen Generator. Das Beispiel der Al-Namilah Familie: Ich hätte doch diese Liebeslieder spät nachts nie gehört, wenn ich gekommen wäre für ein paar Stunden und zurück gehe ins Hotel. Und die Familien sind begeistert, wenn ich bleibe."
Für ihre Arbeit erhält Heidi Levine den Anja-Niedringhaus-Preis. Die Auszeichnung wird zum ersten Mal vergeben, benannt nach der deutschen Fotografin und Pullitzer-Preisträgerin, die im April 2014 in Afghanistan von einem Polizisten erschossen worden war.

Reportagen aus Afghanistan, Irak, Gaza

Heidi und Anja - die Frauen kannten sich. Sie verband die Arbeit und eine Freundschaft. In der Begründung der Jury heißt es, Levine habe sich bei der Arbeit denselben Gefahren ausgesetzt, wie ihre Fotomotive. Sie habe die Menschen oft über längere Zeiträume begleitet und setze sich persönlich für sie ein. Wie nah muss man ran für ein gutes Bild?
In der Wohnung der Fotojournalistin in Jaffa liegen Speicherkarten auf dem Tisch. Speicher voll Fotografien. Levine hat aus Ägypten und Libyen berichtet. Die Amerikanerin hat in Afghanistan und im Irak gearbeitet. Aktuell ist ihr Name sehr stark mit den Bildern des letzten Gaza-Kriegs verbunden, mit dem Sommer 2014.
"Das ist Raher, ich habe sie zu Beginn des Krieges getroffen, für eine Geschichte über Verletzte. Und als ich in ihr Zimmer kam, waren ihre Beine eingegipst. Sie hat ihre vierjährige Schwester und zwei Tanten bei einem israelischen Angriff auf das Wohnhaus der Familie verloren. Selbst mit den Wunden ist sie noch schön. Sie konnte sich nicht bewegen. Ich musste mich über sie stellen."
Das Gesicht des Mädchens ist übersäht mit kleinen roten Punkten, Verletzungen durch den israelischen Bombenangriff. Levine holt die junge Frau ganz nah ran.
"Es ist einfach für eine Familie, mich aufzunehmen. Denn ich bin eine Frau. Ich kann bei Frauen bleiben. Vielleicht ist da eine Verbindung, etwas in unserer Biologie. Es ist leicht eine Verbindung herzustellen. Es ist wichtig, dass sich die Menschen mit Dir wohlfühlen, Dir vertrauen und wissen, dass Du sie ernst nimmst."

Wie viel Distanz muss sein?

Levine hat während des Krieges nicht nur gearbeitet. Sie hat für ihren Fahrer in Gaza eine Wohnung gesucht, als die Familie ihr Haus verloren hatte. Glamourös sei der Job einer Krisenreporterin auf keinen Fall: Man leide unter schrecklichen Launen, Panikattacken und einige Kollegen auch unter Depressionen. Kann ein Journalist den Menschen, dem Geschehen zu nahe kommen?
"Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Wenn Du mit der gleichen Person zusammenarbeitest für lange Zeit, wie mein palästinensischer Fahrer. Und er beschützt Dich seit über zehn Jahren. Du siehst seine Kinder aufwachsen, er fragt immer nach Deinen. Wie kann man dann nicht eng verbunden sein. Ist Nähe falsch?"
Krisenfotografen sind Beobachter, sind Journalisten. Sie können sich nicht vereinnahmen lassen. Trotzdem geht Levine einen Schritt weiter. Ein Schritt der notwendig ist. Parteiisch sei sie deshalb nicht.
Nach dem Krieg hat Heidi Levine ein neues Projekt begonnen - zunächst für sich selbst: Fotos aus Gaza zeigen die Widerstandskraft der Menschen. Es gebe etwas in jedem Menschen, das könne auch der Krieg nicht zerstören, sagt die Preisträgerin. Das zeigt auch das Bild des Paares aus Rafah, das sich nachts, ohne Strom Liebeslieder vorsingt. Die Washington Post hat die beeindruckenden Bilder auf einem Fotoblog bereits veröffentlicht.