"Krisen führen zu einer höheren Mediennutzung"

Werner Wirth im Gespräch mit Marcus Pindur · 07.09.2011
In Zeiten der Krise erhalten Medien mehr Aufmerksamkeit, sagt der Medienpsychologe Werner Wirth. Allerdings kann bei einer zu großen Häufung schlechter Nachrichten auch der gegenteilige Effekt eintreten, nämlich dass die Leute abschalten. Dem könnten die Medien nur begegnen, indem sie die Hintergründe verständlich erläuterten.
Marcus Pindur: Journalisten sind Herdentiere, die meisten jedenfalls, auch wenn sie sich oft als schrullige Individualisten tarnen. Und es gibt ein paar journalistische Grundregeln, die nicht immer ernst gemeint sind, oft aber schon und von den meisten auch beherzigt werden. Eine der meist zitierten Regeln ist, nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Das will sagen: eine schlechte Nachricht hat einen hohen Nachrichtenwert, weil sie ein außergewöhnliches Ereignis beschreibt. Wenn alles gut ist, dann interessiert das die Hörer oder den Leser eben nicht.

Was ist aber, wenn die schlechte Nachricht zur Regelnachricht wird, so wie bei der Euro-Krise? Eine schlechte Nachricht reiht sich an die andere, so wie die Börsenabstürze und die Krisengipfel.

In unserem Mediengespräch wollen wir mit Werner Wirth reden. Er ist Medienpsychologe an der Universität Zürich. Guten Morgen, Herr Wirth!

Werner Wirth: Guten Morgen, Herr Pindur.

Pindur: Ja, was machen die Hörer, die Leser, die Zuschauer daraus, wenn Nachrichten so konsequent schlecht oder bedrohlich sind, wie das bei der Euro-Krise der Fall ist?

Wirth: Zunächst ist ja interessant, dass die Asymmetrie, von der Sie sprachen, dass nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind, sich bei der Wahrnehmung von schlechten Nachrichten beim Publikum ja fortsetzt. Schlechte Nachrichten werden aufmerksamer verfolgt und auch stärker gewichtet als positive. Beispielsweise wird eben ein Rückgang der Wirtschaft um drei Prozent als bedrohlicher eingestuft, als man sich über das Wachstum der Wirtschaft von drei Prozent freuen würde.

Dafür gibt es in der Regel zwei Erklärungen, die da angeführt werden in der Wissenschaft. Zum einen geht man eben davon aus, dass Menschen tendenziell leicht optimistisch sind. Das heißt, insgesamt geht man davon aus, dass die Dinge sich eher in eine positive, als in eine negative Richtung entwickeln werden. Und von dieser Ausgangserwartung aus gesehen ist natürlich eine negative Entwicklung immer eine gravierendere Abweichung als eine positive.

Und die andere Erklärung geht eher von einer generellen Verlustaversion aus, dass Verluste eben stärker wahrgenommen werden als Gewinne in gleicher Höhe.

Pindur: Was weiß man denn dann über die Mediennutzung während solcher Krisen? Flieht das Publikum vor den schlechten Nachrichten, hört es sich fasziniert die Krisenberichterstattung an, oder die einen eben so und die anderen so?

Wirth: Zunächst ist es natürlich schon so: Krisen führen zu einer höheren Mediennutzung. In großen Krisen sammelt sich das Volk vor den Medien, heute auch vorm Internet, früher war das das Radio vor allen Dingen. Ob es dann aber darüber hinaus noch zu einem Sättigungseffekt kommt, dürfte wohl vor allem vom persönlichen Interesse abhängen. Aber es ist natürlich schon so, dass die Häufung negativer Nachrichten auch schlechte Stimmung verbreitet und zum Beispiel am Frühstückstisch das natürlich nicht sehr willkommen ist, und da ist es schon verständlich, wenn man dann das Radio ausschaltet, oder eben umschaltet.

Pindur: Wenn der Tag schon mit einer Krise anfängt, das soll ja eigentlich nicht sein. Stumpft das Publikum denn irgendwann auch mal ab, wenn es diesem ständigen medialen Strom, vielleicht auch sogar einem Overkill von schlechten Nachrichten ausgesetzt wird?

Wirth: Ja, es gibt in der Tat Studien, aus denen man schließen kann, dass bei einer Häufung von negativen Nachrichten jede einzelne negative Nachricht dann nur noch geringe Wirkung aufweist. So könnte man vermuten bei der Euro-Krise eben, dass das Publikum durchaus irgendwann auf Durchzug schaltet und auf die Nachrichten nur mit einem Achselzucken oder einem Kopfschütteln reagiert, also mit einem gewissen Zynismus. Aber dieser Zynismus bleibt natürlich auch nicht ohne Folgen.

Auch das Weghören ist nicht folgenlos, denn die Häufung solcher negativer Nachrichten kann dazu führen, dass das Vertrauen in die Politik, in die Politiker eben sinkt, in die Lösungskompetenz der Politiker sinkt. Im übrigen: Die Medien tun ihr eigenes dazu. Negative journalistische Kommentare verstärken diese Tendenz noch. Wenn die Medien negative Ereignisse verstärkt aufgreifen, verstärkt berichten und kommentieren, kann diese Negativentwicklung noch verstärkt werden.

Pindur: Wie sollten denn Ihrer Ansicht nach Medien diese Krisen dann aufbereiten, in welcher Form sollte das passieren, um einerseits zu gewährleisten, dass überhaupt noch zugehört wird, und andererseits auch, die Hörer bei der Stange zu halten?

Wirth: Ja, das ist eine schwierige Frage, denn es ist ja nicht so, dass die Medien das aus bösem Willen tun, sondern es ist mehr oder weniger eine Konstante sowohl des Medienbetriebes, aber eben auch der menschlichen Wahrnehmung, dass auf Negatives stärker geachtet wird wie auf Positives. Vielleicht ist dies eine Sache, die speziell bei Finanzberichterstattung ein Problem ist, dass diese eben im Gegensatz zum Beispiel von negativen Katastrophenmeldungen ist, wenn es um menschliche Opfer geht, um menschliches Leid geht. Das kann jeder gut nachvollziehen, das kann man gut einordnen, man empfindet Mitleid mit den Opfern. Wir wissen ja, dass in solchen Fällen die Spendenbereitschaft immer ganz besonders groß ist, dann, wenn über große Katastrophen berichtet wird.

Aber eben Nachrichten über Finanzmärkte sind komplex, sind schwer zu verstehen. Der Laie kann dort nur das Plakative und das Vordergründige überhaupt aufnehmen und verstehen, zum Beispiel "der Euro ist wieder gefallen" oder "der Krisengipfel ist wieder gescheitert". Die Hintergründe sind schwer zu begreifen, und hier könnten die Medien vielleicht etwas leisten, indem sie dann doch versuchen, eben die Hintergründe zu beleuchten. Ich weiß, das ist schwierig, weil ja auch die Experten die Hintergründe oft nicht begreifen, aber in diese Richtung müsste es eigentlich gehen.

Pindur: Wir versuchen es auf jeden Fall jeden Tag aufs Neue. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wirth.

Wirth: Bitte schön!

Pindur: Unser Mediengespräch heute mit Werner Wirth, Medienpsychologe an der Universität Zürich.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.