Krise auf Zypern "nicht ganz so krass wie in Griechenland"

Dagmar Borrmann im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 06.07.2012
Wer das Stück "Die Kinder Agamemnons" mit wachen politischen Sinnen anschaue, erkenne die Bezüge zur aktuellen Politik in Griechenland und Zypern, sagt Dagmar Borrmann, Dramaturgin am Staatstheater Wiesbaden. Die Krise betreffe auf Zypern aber derzeit vor allem die Baubranche.
Jan-Christoph Kitzler: Es ist zwar inzwischen etwas abgedroschen, wenn man über die Krise in Griechenland spricht und Parallelen zieht zur klassischen griechischen Tragödie, aber irgendwie liegt das ja auch nahe. Auch auf der Mittelmeerinsel Zypern spielt sich gerade eine Tragödie ab: Zwar hat der unabhängige Teil gerade die EU-Ratspräsidentschaft übernommen, das ist ehrenvoll, gleichzeitig aber steht das Land vor der Pleite, braucht dringend Gelder aus dem Euro-Rettungsschirm, hat den Antrag dafür gestellt.

Trotzdem wird auf Zypern auch oder gerade in Krisenzeiten Theater gespielt. Gerade hat ein Festival begonnen für antike griechische Dramen, und das Eröffnungsstück spielte ausgerechnet eine Truppe aus Deutschland: Das Staatstheater Wiesbaden hat ein Stück mit dem Namen "Die Kinder Agamemnons" auf die Bühne gebracht. Gespielt wird übrigens in Open Air in antiken Theatern. Mit dabei ist Dagmar Borrmann, die das ganze als Dramaturgin betreut. Mit ihr bin ich jetzt auf Zypern verbunden. Schönen guten Morgen!

Dagmar Borrmann: Guten Morgen!

Kitzler: Wie muss man sich das denn praktisch vorstellen? Spielen Sie auf Deutsch?

Borrmann: Wir spielen auf Deutsch, und das wird in Griechisch und in Englisch übertitelt.

Kitzler: Die Deutschen haben ja jetzt nicht gerade den besten Ruf in Europa zurzeit, sie gelten in der Krise so ein bisschen als die unbarmherzigen Zuchtmeister - und jetzt kommen Sie auch noch und zeigen den Leuten, wie man die griechischen Tragödien aufführt. Haben Sie da auch mit Vorbehalten zu tun? Kommt Ihr Stück gut an?

Borrmann: Also das Stück kam sehr, sehr gut an in Paphos, wo wir die erste Vorstellung hatten, und wir haben von diesen Vorbehalten eigentlich nichts gespürt. Aber die Leute, die zu so einem Festival kommen und sich eine Aufführung anschauen, die sind vielleicht auch nicht diejenigen, die dann so mit groben Rastern arbeiten.

Kitzler: Sie haben ja eine große Ehre sogar bekommen: Sie durften den Eröffnungsabend des Festivals bestreiten.

Borrmann: Ja.

Kitzler: Wie kommt denn die deutsche Sprache an? Die gilt ja auch als sehr hart und wenig zugänglich.

Borrmann: Ja, also da haben wir keine Rückmeldung bekommen, also die Leute lesen das natürlich eher durch die Übertitel auf Griechisch. Aber wir haben uns sehr bemüht, in der Fassung, die die Regisseurin Konstanze Lauterbach und ich gemacht haben, den Sprachduktus des Originals beizubehalten. Also wir haben das nicht irgendwie übersetzt in eine moderne Prosa, sondern der Text ist in Versen und hat damit auch diese Melodie und, ja, den Rhythmus des griechischen Originals.

Kitzler: "Die Kinder Agamemnons" - das ist ziemlich starker Tobak, wenn ich mich richtig erinnere, vor allem die Geschichten der Elektra und des Orest sind ja ziemlich blutig zum Teil.

Borrmann: Ja.
Kitzler: Da werden Opfer zu Tätern. Wie inszenieren Sie das eigentlich? Gibt es da auch vielleicht Bezüge sogar zur aktuellen Politik, oder ist das ganz klassisch aufgeführt?

Borrmann: Nein, die Bezüge gibt es sicher, ohne dass wir die sozusagen gewaltsam explizit jetzt auf die Bühne bringen. Aber wenn man sich dieses Stück mit wachen politischen Sinnen anschaut, dann ergeben sich eigentlich die Assoziationen fast von selber. Also es geht am Anfang um die Ausfahrt nach Troja, die Griechen wollen Troja überfallen, und wie es im Stück heißt, geht es eigentlich um Gold und Eisen, und dafür werden sozusagen im Verlaufe des Stückes Menschen geopfert, es wird Rache dafür geübt und eine ganze Familie geht drauf wenn man so will, die Familie Agamemnons, um sozusagen ursprünglich eigentlich nur günstigen Wind für die Ausfahrt der Flotte nach Troja zu erzwingen.

Kitzler: Gold und Eisen - haben Sie da wenigstens an die Staatspleite ein bisschen gedacht?

Borrmann: Als wir das inszeniert haben in Wiesbaden, da haben wir daran noch nicht gedacht, aber hier ist das natürlich sehr nahe, wenn man das auf Zypern spielt. Also wir haben natürlich mit unseren Betreuern vom Festival gesprochen, wie die Krise durchschlägt, also es ist offenbar hier noch nicht ganz so krass wie in Griechenland. Die Krise betrifft vor allem das Baugewerbe, da gibt es eine hohe Arbeitslosigkeit, und das wiederum betrifft vor allem junge Leute, was natürlich immer besonders brisant und auch tragisch ist. Aber die Krise ist noch nicht so beim Mittelstand angekommen, wie man das sicher über Griechenland inzwischen absolut sagen muss.

Kitzler: Und die Menschen kommen noch gern ins Theater?

Borrmann: Die Menschen kommen Gott sei Dank gerne ins Theater, und wie gesagt, ohne Ressentiments, und ja, heute Abend werden wir schauen, da spielen wir in einem wesentlich größeren Theater in Nikosia - mal schauen, wie es da ist, ob da eine andere Stimmung herrscht.

Kitzler: Heute Abend also die zweite Aufführung des Wiesbadener Staatstheaters, "Die Kinder Agamemnons", in Nikosia auf Zypern. Das war Dagmar Borrmann, die das Ganze als Dramaturgin betreut. Vielen Dank für das Gespräch!

Borrmann: Ich danke auch!

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