Kriminologe kritisiert Chat-Überwachung bei Facebook

Moderation: Dieter Kassel · 17.07.2012
Auf der Jagd nach Pädophilen kontrolliert Facebook mit einer speziellen Software die Kommunikation seiner Nutzer. Der Kriminologe Christian Pfeiffer hält das für einen problematischen Eingriff in die Privatsphäre - und fordert, dass Datenschützer dagegen vorgehen.
Dieter Kassel: Das soziale Netzwerk Facebook überwacht die Kommunikation seiner Benutzer mit einer Software. Diese Software erkennt Schlüsselwörter und schlägt Alarm, wenn der Verdacht besteht, ein Erwachsener kommuniziere bei Facebook in unangemessener Weise mit Minderjährigen und es bahne sich eine Sexualstraftat an. Schlägt die Software dann Alarm, kontrollieren anschließend Mitarbeiter des Konzern die online geführten Gespräche, die Chats zum Beispiel, und geben diese dann gegebenenfalls an die Polizei weiter.

Bisher kann Facebook nur mit einem Fall aufwarten, bei dem so tatsächlich ein mutmaßlicher Sexualstraftäter festgenommen werden konnte. Aber überwacht werden weiterhin alle Nutzer. Am Telefon begrüße ich jetzt Professor Christian Pfeiffer, den Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Schönen guten Tag, Herr Pfeiffer!

Christian Pfeiffer: Hallo, Herr Kassel!

Kassel: Ist das angemessen, was Facebook macht?

Pfeifer: Auf den ersten Blick habe ich erhebliche Zweifel, ob das ein richtiger Schritt ist. Wir haben gerade 11.500 Menschen im letzten Jahr befragen können, ob sie Opfer des sexuellen Missbrauchs geworden sind. Da haben wir auch die Anbahnungsformen überprüft. Das, was hier beschrieben wird, ist die extreme Ausnahme. In mehr als 99 Prozent der Fälle läuft die Anbahnung direkt. Der Pädophile interessiert sich für ein Kind, und dann versucht er, an dieses Kind heranzukommen. Und oft gelingt es ihm auch, oft scheitert er. Also von daher ein Riesenaufwand, Millionen Kontakte zu überprüfen aufgrund dieser äußerst selten vorkommenden Geschichte, dass man über das Internet seine Kontaktanbahnung versucht.

Kassel: Nun liefern die Medien natürlich oft ein anderes Bild. Im vergangenen Jahr hat in Baden-Württemberg ein Pädophiler sich als Jürgen Klopp, also dieser Fußballtrainer ausgegeben über Facebook; in Bremerhaven gab es den Fall eines Mannes, der das versucht hat. Da wird wahrscheinlich jemand, der jetzt zu Hause sitzt und uns zuhört, sagen: Ja gut, aber selbst, wenn es nur ein einziger ist, der so von Facebook gefunden wird, dann war es die ganze Sache schon wert.

Pfeifer: Da muss man doch mal innehalten. Die schlichte Kontaktaufnahme ist zunächst nicht strafbar. Ein Pädophiler kann bei Facebook hin und her schreiben, was er will. Solange er nicht das Kind dazu motiviert, oder den Jugendlichen dazu motiviert, sich mit ihm zu treffen und sexuelle Handlungen an sich vornehmen zu lassen oder es auffordert, solche vorzunehmen. Die Kommunikation selber ist nicht strafbar. Also dieser Eingriff in die eigentlich geschützte Kommunikation von Menschen ist zunächst einmal ein problematischer Akt. Und die Nutzer von Facebook müssen selber entscheiden, ob sie unter solchen Bedingungen kommunizieren möchten.

Kassel: Das Ganze hat oft absurde Züge. Es gab in den USA im vergangenen Jahr einen Fall, da wurde ein Mann bei Facebook gesperrt, weil der Mann, er war Mitte 30, auffällig viele minderjährige Freunde hatte, also Facebook-Friends. Und anschließend stellte sich heraus, dass das ein Sozialarbeiter war, der auch über dieses Medium mit seinen Kunden, also den Kindern, die er betreut, kommunizierte. Haben wir manchmal schon fast so einen gewissen Verfolgungswahn, sobald es um Pädophilie oder Ähnliches geht?

Pfeifer: Es wird einfach übersehen, dass aus guten Gründen der sexuelle Missbrauch bei uns drastisch rückläufig ist. Wir hatten früher dreimal so viele Fälle des Missbrauchs wie heute. Die Anzeigebereitschaft hat sich erfreulicherweise um das Dreifache erhöht dank der exzellenten Betreuungsarbeit von Opfern durch einerseits die Opferverbände, aber auch Polizei und andere, die mit den Opfern zu tun haben, haben mächtig dazugelernt. Wir haben eine höchst erfreuliche Entwicklung in jeder Richtung und von daher sind wir nicht gezwungen, auf solch problematischem Wege zu gehen, wenn es darum geht, den Missbrauch zu reduzieren.

Nein, etwas anderes ist viel wichtiger. Die elterliche Erziehung hat sich gewandelt. Die gewaltfreie Erziehung hat sich von 52 auf heute 67 Prozent erhöht innerhalb von 20 Jahren, von 26 Prozent auf 67 Prozent erhöht, und eines gilt: Gewaltfreie Erziehung fördert den aufrechten Gang. Die Leute lassen sich nichts mehr gefallen. Die zeigen Leute an, die sie missbrauchen wollen, die lassen sich auf solche Kontakte gar nicht mehr ein so wie früher. Und das ist der eigentliche Faktor, den wir stärken müssen, und nicht diese zweifelhaften Methoden mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Million, irgendeinen entlarven zu können.

Kassel: Ich ahne, was Sie antworten werden, und frage Sie dennoch: Was sollten Eltern denn tun, die solche Methoden gut finden oder schlecht, die aber beunruhigt sind, ihr eigenes Kind könnte gefährdet sein, wenn es zu viel am Computer sitzt.

Pfeifer: Mit ihm darüber sprechen, dass es im Internet geile Böcke gibt, die sich manchmal auch als 14-Jährige ausgeben, um über schlüpfrige Dinge zu kommunizieren, und die dann ein Treffen herbeiführen wollen, bei dem es nur um Sex geht. Das darf nicht tabu bleiben. Auch die Schulen sind aufgefordert, wenn sie denn Unterricht über die Nutzung des Internet machen, die Schüler aufmerksam zu machen auf das, was da im Internet auch sein kann. Mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit, aber man muss es erwähnen, weil es ja auch schlimme, ganz schreckliche Entwicklungen gegeben hat, dass Frauen oder junge Mädchen sich mit Menschen treffen, die sie im Internet kennenlernen und dann von diesen vergewaltigt oder gar getötet werden. Also, das alles muss Thema sein, dass diese Kontakte zu Fremden über das Internet auch Risiken in sich bergen, wenn man sich dazu entschließt, den Kontaktpartner ganz allein irgendwo zu treffen.

Kassel: Wir reden hier heute Nachmittag hier im Deutschlandradio Kultur mit Christian Pfeifer, dem Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen über die Praxis des sozialen Networks Facebook, sämtliche Kommunikationen seiner Nutzer zu überwachen, um Pädophile zu identifizieren, die da Minderjährige ansprechen.

Nun sind, Herr Pfeiffer, ja nicht nur sexuelle Handlungen an Minderjährigen strafbar, sondern eine Verletzung des Briefgeheimnisses ist es eigentlich auch. Und Facebook argumentiert hier nun damit, dass ja zunächst einmal keine Menschen die Kommunikation der anderen Menschen lesen, sondern ein Algorithmus, eine Software. Macht das einen Unterschied?

Pfeifer: Es macht keinen Unterschied, weil ja das Warnsignal der Maschine, hier gibt es eine Kommunikation, die ihr überprüfen solltet, dann dazu führt, dass Mitarbeiter von Facebook sich des Falles annehmen und dann im Detail überprüfen, was die Menschen miteinander erörtert haben. Das ist eine Verletzung des Briefgeheimnisses in meinen Augen, die hier gerechtfertigt wird mit dem äußerst vagen Hinweis, ja, wir tun es doch zum Besten aller, weil wir hier auf der Suche nach Tätern sind. Also ob alle Facebook-Benutzer darin einwilligen, dass ihr vertrauliches Kommunizieren mit anderen dann von Mitarbeitern von Facebook kontrolliert wird, das wage ich sehr zu bezweifeln. Also die Sache ist strafrechtlich durchaus interessant.

Kassel: Nun ist es immer so, dass dann das Argument kommt, die Server auch der deutschsprachigen Seite stehen in den USA, und die Frage ist dann, gilt US-Recht oder nicht. Aber von diesen juristischen Feinheiten mal abgesehen, kann man denn dieser Form der Überwachung überhaupt noch entkommen? Nehmen wir was viel banaleres, aber nur scheinbar harmloseres: Wer ein Google-Mailkonto einrichtet, willigt ein, dass ein sehr ähnliches Softwareprogramm seine E-Mails liest, um dann ihm besonders auf seine Persönlichkeit zugeschnittene Werbung zuzuschicken. Da hätte ich am Anfang geglaubt, da wird wahrscheinlich niemand sich ein Google-Mailkonto einrichten – so war es aber nicht. Viele Menschen haben das, auch in Deutschland. Also, können wir dieser Maschinenüberwachung überhaupt noch entkommen?

Pfeifer: Nein, eigentlich nicht. Vor allem, es gibt sie ja schon seit ewigen Zeiten. Die Amerikaner arbeiten mit riesigen, ich nenne das mal vereinfacht Staubsaugern, die bei Telefonaten auf Worte reagieren, die ein Hinweis sein könnten auf terroristische Aktivitäten oder früher kommunistische Untergrundaktivitäten und Ähnliches. Und dem stehen wir machtlos gegenüber. Dass da seit Langem es eine Kommunikationskontrolle gibt, die außerhalb unseres Machtbereiches liegt, die aber ständig praktiziert wird. Also wir leben die ganze Zeit ein bisschen mit "Big Brother is watching you", mit dieser Vision von Orwell, "1984". Trotzdem wünsche ich mir, dass die Datenschützer hier engagiert einschreiten, dass sie das prüfen, dass sie uns allen bewusst machen, was hier abläuft und wie wir dem Ganzen Grenzen setzen können.

Kassel: Aber können wir das? Selbst, wenn wir nur über legale Überwachung reden, die illegale ist noch einmal ein Thema für sich. Wenn man zum Beispiel dann sagt, ich nehme jetzt einen besonders geschützten Weg, verschlüssele meine E-Mail, dann macht man sich ja damit vermutlich erst recht verdächtig. Können wir dieser Überwachung überhaupt noch entkommen?

Pfeifer: Schwer, aber ich finde es verdienstvoll, dass Sie das jetzt aufgreifen, dass die Sensibilität wächst, was hier mit uns geschieht, mit allen Facebook-Nutzern. Und erst eine öffentliche Debatte wird dann eine Auseinandersetzung erzwingen, die am Ende vielleicht auch zu Änderungen dieser Praxis führt. Ich selber würde sie nicht akzeptieren. Ich bin kein Facebook-Nutzer, auch aus solchen Gründen, und bin gespannt, was die große Nutzergemeinde so sagt oder ob sie das passiv hinnehmen und sagen, geht mich ja nichts an, ich kommuniziere nicht auf diese Weise. Aber bei den Kindern und Jugendlichen sieht das vielleicht anders aus, und die sind dann schon betroffen, wenn unter dem Vorwand, hier dies und jenes zu tun, Facebook sich geriert als der große Menschenretter, und das Ganze ist ein Reklamegag, weil sie nicht ernsthaft glauben können, sie hätten wirksam damit dem sexuellen Missbrauch entgegengewirkt. Aber sie können sich aufspielen als Retter der Menschheit.

Kassel: Professor Christian Pfeiffer, der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts in Niedersachsen zur Kontrollpraxis von Facebook. Herr Pfeiffer, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Pfeifer: Danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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