Kriminalliteratur

Labiler Schwerölmotor

Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser im Sommer 1938 in Nervi, wie er an einem Tisch mit Schreibmaschine sitzt.
Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser im Sommer 1938 in Nervi © picture-alliance / dpa
Von Tobias Lehmkuhl · 08.01.2014
Durch die veröffentlichten Briefe von Friedrich Glauser wird klar: Der vermeintlich labile, morphiumsüchtige Schriftsteller arbeitete ehrgeizig an seiner Karriere. Bekannt wurde der Schweizer Autor durch seine Studer-Romane.
Berühmt ist der Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser für seinen Wachtmeister Studer, den ersten bedeutenden Fahnder der deutschsprachigen Kriminalliteratur. Fünf Studer-Romane sind in den dreißiger Jahren entstanden, angeregt durch die Lektüre der frühen Maigret-Romane Georges Simenons. Tatsächlich teilt Glauser mit Georges Simenon nicht nur das Talent, mittels weniger kräftiger Striche eine dichte Atmosphäre zu kreieren, wie sein belgisch-französisches Vorbild treibt ihn ebenfalls die Lust an der einfachen, aber schlagenden Figurenpsychologie: „Sie, Inspektor, sind wie ein Schwerölmotor. Es braucht lange, bis Sie eine hohe Tourenzahl erreicht haben, aber dann laufen Sie, dann nehmen Sie jedes Hindernis wie ein Traktor, ein Tank.“
Nicht zuletzt ähneln auch die Ermittlungsmethoden von Maigret und Studer, der Hang, gelassen-weise abzuwarten, einander sehr. Und doch ist Friedrich Glauser viel mehr als bloß ein eidgenössischer Simenon. Ihm fiel das Schreiben längst nicht so leicht. Er versuchte sich zwar am Simenon-Tempo, scheiterte aber regelmäßig. Nur mithilfe erhöhter Morphium-Dosen gelang ihm überhaupt die Fertigstellung der Manuskripte. Die waren dann meist zu lang für die Zeitungsabdrucke, für die sie gedacht waren, also musste er wieder ran und kürzen. Der Diogenes Verlag hat nun sämtliche Studer-Romane in einem schönen Schuber herausgebracht - allerdings in der Version der Erstdrucke, die sicher nicht exakt den ursprünglichen Vorstellungen Glausers entsprechen. Doch haben sie freilich auch etwas für sich, manche Kürzung dient tatsächlich der Straffung. Auch Glausers Hang drei Punkte ans Satzende zu hängen, ist hier gebändigt.
Will man aber die Typoskriptfassungen lesen, kann man zur schön edierten Taschenbuchausgabe im Unionsverlag greifen.
Entblößende Briefe
So oder so sind Glausers Romane von einer Gewitztheit und Ironie, wie man sie bei Simenon nicht findet. Das bedeutet freilich auch, dass mehr Arbeit in ihnen steckt als in den Maigrets, Arbeit, die der mophiumsüchtige Glauser nicht dauerhaft leisten konnte. Überhaupt ist sein Leben so interessant wie seine Romane es sind, und in der erweiterten Neuauflage seiner Briefe lässt sich das auch wunderbar nachvollziehen. In ihr erlebt man Glauser in den unterschiedlichsten Rollen. Mal devot gegenüber seinem Vater, mal sachlich im Umgang mit vom Vater eingesetzten Vormund, mal als einfallsreichen und charmanter Schnorrer, als etwas weinerlichen Liebhaber oder auch, gegenüber Kritikern, als einen Meister wohlgesetzter Beleidigungen.
Vor allem aber lässt sich in diesen Briefen beobachten, wie zäh Glauser, dieser vermeintlich labile Morphinist, an seiner Karriere als Schriftsteller arbeitete, wie ausdauernd er darum kämpfte, veröffentlicht zu werden. Nun, 75 Jahre nach seinem Tod, liegt sein Werk so offen und umfangreich vor uns wie nie zuvor. Es lohnt die Lektüre.

Friedrich Glauser: Die Kriminalromane mit Wachtmeister Studer.
Diogenes Verlag, Zürich 2013
1216 Seiten, 28,90 Euro

Friedrich Glauser: Briefe. 2 Bände.
Unionsverlag, Zürich 2013
1632 Seiten, 28,95 Euro