Kriminalitätsprävention

Der Stadtteil-Cop als Erfolgsfaktor

Ein berittener Polizist überquert am 17.08.2013 die Kreuzung Seventh Avenue und 26th Street in Chelsea, New York City.
Dank erhöhter Polizei-Präsenz konnte New York die Verbrechensrate senken. © picture alliance / dpa - Alexandra Schuler
Von Georg Schwarte  · 27.06.2016
In den 1980ern schien New York nahezu in Gewalt versunken. Dann setzte die Stadt konsequent auf Prävention: Stadtteil-Polizisten gingen zu Fuß auf Streife, kleine Verbrechen wurden zügig geahndet. Die Kriminalitätsrate sank um über 70 Prozent.
New York Mitte der 80er-Jahre. Eine Stadt blutet aus. Die Bronx brennt. Die Mordrate ist mörderisch hoch. Auf 100.000 Einwohner kommen über 30 Morde. Da, wo heute Touristen nachts um drei Fotos machen, am New Yorker Times Square, trauten sich damals nach Einbruch der Dunkelheit nicht einmal die New Yorker selbst hin. Die Subway in New York. Mitte der 80er-Jahre eine einzige "No-Go-Area”:
"Leute, die die Subway benutzten, sagten offen, dass sie Waffen gekauft haben, um sich in der Subway verteidigen zu können. Niemand fühlte sich da sicher."
Professor Eric L. Piza, Kriminologe am John Jay College hat noch mehr Beispiele, aus dem New York von damals, wo nicht der Staat, sondern der Mob reagierte.
Bryant Park. Heute eine Touristenattraktion hinter der New Yorker Public Library. Da, wo sie jetzt im Sommer Schach spielen und im Winter Schlittschuh fahren, gings damals in den 80ern anders zu, sagt der Professor:
"Das übliche Bild morgens war der Polizeipathologe, der einen Leichensack aus dem Park schleppte. Kein Eislaufring, keine Weihnachtsmärkte. Das sah anders aus."

Die Kriminalitätsrate implodierte

Bis er kam, Bill Bratton. 1994 wurde er Polizeichef der Stadt und dieser Bill Bratton traf damals auf New Yorker, die, so sagte er, "die Schnauze voll hatten".
"Die New Yorker", sagt Bratton, "wollten ihre Straßen, ihre Viertel zurück." Und Bratton und der damalige Bürgermeister Rudy Giuliani nahmen den Kampf an und auf. "Community Policing" hieß das Stichwort: Stadtteil-Polizisten zu Fuß auf Streife. Die großen Verbrecher bekämpfen, aber die kleinen Vergehen nicht mehr übersehen:
"So dass Leute, die glaubten, wir können ungestraft Alkohol öffentlich trinken, wir können umsonst U-Bahn fahren, in Ecken pinkeln, dass diese Leute lernen: Jetzt haben wir einen Gegner, und der Gegner ist die Polizei."
Die Broken-Windows-Politik war geboren. Wörtliches Motto: Ist erst eine Scheibe eingeworfen, liegt bald das ganze Viertel in Trümmern. Wehret den Anfängen. Die Kriminalitätsrate implodierte über die Jahre auf beindruckende Weise, so der Kriminologe Eric Piza:
"Die Zahl schwerer Straftaten sank von den 80ern bis Ende der 90er-Jahre in New York um über 70 Prozent. Anfang der 2000er-Jahre fragten sich manche, wie tief kann die Kriminalitätsrate eigentlich noch sinken?"
Prävention statt Reaktion. Ein Erfolgsfaktor. Jahrzehntelang hatten sie in New York mehr auf die Aufklärungsrate geschielt, darauf wie schnell Notrufe beantwortet, die Bürokratie funktionierte, Polizisten vor Ort waren. Weniger auf die Möglichkeit, Verbrechen erst gar nicht geschehen zu lassen. Ein Zauberwort: sicht- und ansprechbare Polizeipräsenz erhöhen; der Cop, der sein Viertel kennt, und ein Viertel, dass seinem Cop vertraut, sagt Soziologie-Professor Gerald Landsberg von der New York University.

Zahl der Polizeikräfte drastisch erhöht

Dass New York damals die Zahl der Polizisten dramatisch erhöhte, zeitweise 38.000 Polizeikräfte beschäftigte, gehört auch zur Wahrheit dazu, sagt Kriminologe Eric Piza:
"Es ist die größte Polizeieinheit der USA, dreimal so gross wie das gesamte FBI, die Bundespolizei."
"Broken Windows". Giuliani nannte es später "Zero Tolerance", Null-Toleranz. Es war die schärfere Variante einer frühen Erfolgsformel. Bill Bratton übrigens ist heute - 22 Jahren später - wieder Polizeichef in New York City. Die Bronx brennt nicht mehr. Times Square und Bryant Park sind sicher. Armut, Mangelnde Bildung, Rassismus, hohe Arbeitslosigkeit in ärmeren Schichten – alles noch da. Polizeichef Bratton aber hatte schon vor Jahren seine ganz eigene Theorie:
"Ich glaube wir haben 25 Jahre falsch gelegen, haben gedacht gesellschaftliche Probleme schaffen Kriminalität. In New York wars umgekehrt. Kriminalität schaffte gesellschaftliche Probleme."
Kriminalitätsbekämpfung in New York – eine Erfolgsgeschichte in und für New York. "Im Rahmen der Möglichkeiten", sagt der Kriminologe:
"Wir haben immer noch Armut, Ungleichheit, aber wir haben jetzt Polizeistrategien gegen Kriminalität, auch ohne diese sozialen Krankheiten heilen zu können."
Aber ist die Erfolgsgeschichte übertragbar auf jede andere Stadt. "Ja, aber", antwortet Kriminologie-Professor Eric Piza:
"New York hat ein paar Alleinstellungsmerkmale. Die Größe. Bevölkerungsvielfalt. Die Polizeistärke. Zu sagen, wir machen einfach was New York City gemacht hat und alles ist gut, wäre zu einfach. Aber die Ideen, kleine Vergehen zu ahnden, um grössere Verbrechen zu verhindern, diese Ideen sind grundsätzlich übertragbar."