Kriminalistik

Den Tätern auf der Schliche

Von Pieke Biermann · 02.12.2013
Kaum ein Fernsehkrimi kommt ohne einen Profiler aus, der ein "psychologisches Täterprofil" vom Mörder erstellt. Mit der Realität hat das allerdings nur wenig zu tun, wie der Journalist und Historiker Joachim Käppner in seinem aktuellen Buch hervorhebt.
Kriminalität und wie man damit umgeht: Das ist seit je ein Kernthema des Narrativs, mit dem sich Gesellschaften über ihr Zusammenleben verständigen. Aber hierzulande unterliegt das Erzählen von allem, das mit "Krimi-" kombinierbar ist, dem paradoxen Gesetz: Spannend ist nur, was fern der Realität siedelt. Das "wahre Leben" sollen Erzähler - in Fiction wie Non-Fiction, Text wie Film - am besten "gar nicht erst ignorieren". Das ist langweilig und macht auch mehr Arbeit als locker gehäkelte Märchen über genialische Monsterbestien und ihre noch raffinierteren Jäger. Folglich ist derlei "Krimi" allgegenwärtig und das lesende und fernsehende Publikum gehirngewaschen, es ahnt nicht mal, dass seine Kriminalitätsangst weniger von der Realität gespeist wird als von solchem "Geschwätz", wie Joachim Käppner es angenehm klar nennt.
Käppner, seit 2010 durch seine Berthold-Beitz-Biografie auch Nichtlesern der Süddeutschen Zeitung wohlbekannt, gehört zu den wenigen Journalisten, die keine Mühe scheuen, um den Gegenbeweis anzutreten: Aus Verbrechen und Polizeiarbeit wird erst dann richtig spannende Erzählung, wenn man mit klarem Blick tief in die Wirklichkeit eintaucht. Er tut das seit Jahren in Reportagen. Jetzt hat er sich die neben der Kriminaltechnik mythenumwobenste Disziplin vorgenommen, die operative Fallanalyse, kurz: OFA.
Es geht vor allem um die Verknüpfung von Daten
Mit immenser Sachkenntnis erzählt er die Geschichte eines kriminalistischen Werkzeugs, das in den 80er-Jahren in den USA und Kanada entwickelt wurde, damit Ermittler schnell an möglichst alles Wissen über Mörder, speziell Sexualmörder, kommen. Die digitale Revolution brachte den Quantensprung: eine Datenbank. Davon konnten die Vordenker, Ernst Gennat in den 20er-Jahren zum Beispiel, nicht mal träumen. Aber die Frage ist die alte analoge: Was sagen uns der Zustand von Tatort und Opfer und die Art des Tötens über den Täter, haben andere Taten gleiche Merkmale, ist er ein Serientäter?
Fakten lassen sich digital ungleich besser als analog sammeln und verknüpfen, entscheidend bleiben aber exakte Analyse und Interpretation. Nur so kann man auf das Profil eines Täters schließen und den Mordermittlern Hinweise geben, wo sie nach ihm suchen sollten, auch um eine Serie zu unterbrechen. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.
Seit Mitte der 90er Jahre hat auch die deutsche Polizei die Methode übernommen. Käppner schildert das anhand vieler, teilweise umstrittener Akteure im In- und Ausland, differenziert, gerecht und unaufgeregt. Genau das macht sein Buch zur aufregenden Lektüre. Das fünfte Kapitel über den Arbeitsalltag der Teams gehört jedem "Krimi"-Kombinierer auf die Festplatte getackert.
Joachim Käppner: Profiler – Auf der Spur von Serientätern und Terroristen
Hanser Berlin, Berlin 2013
352 Seiten, 21,90 Euro
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